Biographie

Gering, Hugo

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Prof. f. nordische Sprachen und Literatur
* 21. September 1847 in Lipienica, Heinrichsberg, Schönsee, Kr. Briesen/Westpreußen
† 3. Februar 1925 in Kiel

Nach anfänglichem Unterricht durch Hauslehrer besuchte Hugo Carl Theodor Ludwig Gering die Gymnasien in Thorn (1859-66) und in Kulm (1866-67). Nach dem Abitur studierte er ab Herbst 1867 fünf Semester lang Philologie und Geschichte an der Universität Leipzig. Im Frühjahr 1870 setzte er sein Studium in Bonn fort und beendete es – nachdem er als Kriegsfreiwilliger am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 teilgenommen hatte – in Halle; dort wurde er am 18. Dezember 1873 mit der Arbeit Über den syntaktischen Gebrauch der Partizipien im Gotischen zum Dr. phil. promoviert.

War Gering während des Studiums zunächst besonders mit den klassischen Sprachen beschäftigt, so wandte er sich nach dem Krieg 1870/71 verstärkt dem Studium der germanischen zu. Am 11. März 1876 wurde Gering an der Universität Halle mit der Abhandlung Die Kausalsätze und ihre Partikeln bei den althochdeutschen Übersetzern des 8. und 9. Jahrhunderts für Deutsche Philologie habilitiert.

Nach den beiden Abhandlungen zum Gotischen und Althochdeutschen wollte er sich auch dem Nordischen zu widmen. Familiäre Gründe mögen zu dieser Entscheidung beigetragen haben, denn die Gerings waren wohl Rückwanderer  aus Schweden; der in Stockholm geborene Urgroßvater hatte sich um 1750 als Stadtuhrmacher in Greifswald niedergelassen. Gerings Lehrer Julius Zacher (1816-87) in Halle empfahl ihm dafür mit dem Kieler Ordinarius für Nordische Philologie, Theodor Möbius (1821-90), ein lohnendes Arbeitsthema abzusprechen.

Im Sommer 1877 unternahm Gering seine erste Skandinavienreise. Er besuchte Möbius in Kiel, ließ sich allerlei Ratschläge erteilen, auch den, sich von Guðbrandr Vigfússon, dem Autor des noch immer unersetzten Icelandic-English Dictionary (Oxford 1874), der den Sommer in Kopenhagen verbrachte, über alle seine Fragen belehren zu lassen und insbesondere seinen Altersgenossen Gustaf Cederschiöld (1849-1928) in Lund aufzusuchen. Lebenslange Freundschaft sollte ihn mit Möbius und Cederschiöld verbinden, dagegen zerbrach die mit Vigfússon wegen wissenschaftlicher Differenzen bald krachend. In Halle wurde Gering 1883 zum außerordentlichen Professor und am 9. Januar 1889 als Nachfolger von Möbius zum ordentlichen Professor für Nordische Sprachen und Literatur an der Universität Kiel ernannt. Dort lehrte er vom SS 1889 bis zu seiner Emeritierung zum 1. April 1921 und war im akademischen Jahr 1902/03 Rektor der Universität.

Gerings Publikationen zeigen ihn als breit interessierten Germanisten, als Runologen, Lexikographen, Herausgeber altisländischer Literatur sowie als Edda- und Beowulfübersetzer: trotz der Stabreimversen bleiben Die Edda (o.J. [1892]) und Beowulf (1906, 2. Aufl. 1913, Nachdr. 1929) dicht am Original. Seine Eddaausgaben Die Lieder der älteren Edda (Sæmundar Edda) (1904 als 2. völlig umgearb. Aufl. der Ausg. von Karl Hildebrand, 4. Aufl. 1922) verfolgten einen noch zu Gerings Lebzeiten bald als überholt betrachteten konstruktiven Ansatz, der ihn wissenschaftlich in die Isolation führte. Demnach sind auch das zur Ausgabe gehörige Glossar zu den Liedern der Edda (Sæmundar Edda) (1887, 5. Aufl. 1923) und sein Vollständiges Wörterbuch zu den Liedern der Edda (1903) zu Sijmons Edda-Ausgabe (1888-1906) Schlüssel zu konstruktiven Texten, nicht zur faktischen Überlieferung, wie oft angenommen wird. Gerings Kommentar zu den Liedern der Edda brachte der Groninger Freund und Kollege Barend Sijmons posthum zum Druck (1927-31).

Nach Zachers Tod im Jahre 1888 übernahm Gering zunächst allein, dann mit Oskar Erdmann, später mit Friedrich Kauffmann Zachers Zeitschrift für deutsche Philologie und blieb Herausgeber bis zu seinem Tode. Als geschäftsführender Mitherausgeber betreute er seit 1892 die Bände 1-16 der Altnordischen Saga-Bibliothek.

Als Nachfolger von Möbus war Gering in Kiel der einzige ordentliche Professor für Nordistik im Deutschen Reich, vor der Einrichtung der Berliner und Leipziger Ordinariate. Nordistik war für ihn eine Teildisziplin der Germanistik, und so hielt er es in seinen Lehrveranstaltungen. Im akademischen Unterricht betrieb er die gesamte Germania: Gotisch, Alt- und Mittelhochdeutsch, Altsächsisch und Angelsächsisch; dazu kamen Veranstaltungen zur neueren dänischen und schwedischen Sprache und Literatur, zur germanischen Heldensage und zur Germania des Tacitus.

Erst 1908 konnte er mit preußischem Stipendium nach Island reisen und sich selbst ein Bild von Land und Leuten verschaffen. Bereits 1894 wurde er Mitglied in Det Kgl. Nordiske Oldskriftselskab, nach Cederschiölds Meinung viel wichtiger war jedoch die Aufnahme in Kgl. Vetenskaps- och Vitterhetssamhälle i Göteborg 1907.

Gering wurde im 1. Weltkrieg durch den Soldatentod seines hoffnungsvollen Sohnes Gustaf bereits am 9. Oktober 1914 hart getroffen. Die Niederlage Deutschlands belastete ihn sehr, auch die divergierenden politischen Ansichten der Freunde Cederschiöld und Sijmons, so daß er in intensiver Arbeit am Eddakommentar Ablenkung suchte, wie es aus deren Briefen hervorgeht.

Seine geradlinige Streitbarkeit erreichte gegen Ende seines Lebens ihren Höhepunkt in der Auseinandersetzung mit Eduard Sievers, als Gering glaubte, der allgemein unverstandenen „schallanalytischen Methode“ des Freundes öffentlich entgegentreten zu müssen und damit die alte Freundschaft opferte.

Nachlaß: Universitätsbibliothek Kiel.

Lit.: Olaf Klose: Die nordische Professur in Kiel in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Quellen zur Geschichte der Beziehungen zwischen Kiel und dem Norden, in: De Libris. Bibliofile Breve til Ejnar Munksgaard paa 50-Aarsdagen 28. Februar, København 1940, S. 56-74. – Nachrufe: Barend Sijmons, Arkiv för nordisk filologi 41, 1925, S. 339-345; Friedrich Kauffmann, Zs. für dt. Philologie 50, 1926, S. 339-361 (mit Schriftenverzeichnis), Finnur Jonsson, Maal og Minne 1926, S. 65-70. – Weitere Lit.: Hans Fix: Hugo Carl Theodor Ludwig Gering, in: Internationales Germanistenlexikon 1800-1950. Bd.1 (2003), S. 553-555. – Hochgeehrter herr professor! — Mein lieber Herr Doctor. Ratschläge an einen jungen Philo­logen, in: Studia Nordica Greifswaldensia. Greifswald 2004, S. 195-223. – Die Anfänge der Altnordischen Saga-Bibliothek, in: Verschränkung der Kulturen. Der Sprach- und Literaturaustausch zwischen Skandinavien und den deutschspra­chigen Ländern. Zum 65. Geb. von Hans-Peter Naumann. Tübingen-Basel 2004, S. 305-330. – Eine Freundschaft in Briefen. Hugo Gering und Barend Sijmons 1880-1925, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 67, 2011, S. 343-382. – Gudbrand Vigfusson, Hugo Gering, and German Scholarship – or a Friendship Destroyed, in: Frederic Amory in Memoriam. Old Norse-Icelandic Studies, ed. John Lindow/George Clark, Berkely-Los Angeles 2015: 269-302. – Gustaf Cederschiöld, Briefe an Hugo Gering und Eugen Mogk. Saarbrücken 2016, 630 S.

Bild: Universitätsbibliothek Kiel Cod. MS KB 478, Bl. 18

Hans Fix