Biographie

Gilly, David

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Baumeister, Architekt
* 7. Januar 1748 in Schwedt/Oder
† 5. Mai 1808 in Berlin

David Gilly – Preuße, Hugenott und genialer Baumeister dazu. Er gehörte ähnlich wie der „olle Schadow“ nach dem viel zitierten Wort Theodor Fontanes zu den Erscheinungen Preußens, die eine „griechische Seele, einen fritzischen Geist und einen märkischen Charakter“ besaßen. Er galt – wie der langjährige Direktor der Berliner Kunstbibliothek, Paul Ortwin Rave, es ausdrückte – als besessen von „Bauträumen, die von der Zeitnähe und zugleich von sagenhafter Heroenferne bestimmt“ waren. Er hat – geschult unter anderem an Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff – dem klassizistischen Element in Brandenburg-Preußen den Boden bereitet. David Gilly – Preuße vom Herzen her, aber doch auch wie Theodor Fontane ein Preuße „mit vielen Tropfen französischen Blutes in den Adern“ – wurde in der Stadt des „tollen Markgrafen“ geboren. Das Leben dieses Baumeisters der Hohenzollern wurde von seltsamen literarischen Zeichen umfangen. Im Geburtsjahr Gillys schrieb Klopstock an seinem Messias und im Todesjahr des Meisters des norddeutschen Klassizismus, 1808, arbeitete Heinrich von Kleist an seiner Penthesilea.

Bevor Gilly sich dem klassischen oder klassizistischen Stil zuwandte – den Goethe einmal im Bezug auf die Dichtung Eckermann gegenüber im Vergleich zum Romantischen „das Gesunde“ nannte – nahm der Hugenottensproß eine Berufung nach Stettin als Königlich Preußischer Baudirektor in der Provinz Pommern an. In der Spätzeit Friedrich des Großen arbeitete er in der „dem Meere zugewandten Provinz“ vor allem im ländlichen Bereich. Er machte sich um den Aufbau und die Gründung von friderizianischen Siedlungen verdient und betätigte sich auch bei der Melioration von sumpf- und hochwasserbedrohten Gebieten.

 

 

Die guten Erfahrungen, die das preußische Herrscherhaus mit dem emsigen Baumeister machte, fanden auch einen Widerhall. Nur zwei Jahre nach dem Tod Friedrich des Großen berief der kunstfreudige und musikbesessene König Friedrich Wilhelm II. – der in Potsdam sogar mit Mozart konzertierte – David Gilly als Mitglied der Obersten Baubehörde nach Berlin. Damit gewann der Baumeister die Möglichkeit, über den Radius des östlichen Brandenburg und Pommerns weit hinauszuwirken bis nach Ost- und Westpreußen hin. David Gilly, urteilte Paul Ortwin Rave, „zählte zu jenen Charaktergestalten, die den schweren Dienst in den vergleichsweise armen Landstrichen des deutschen Ostens mit gewissenhafter Gründlichkeit ausübten und als Ideal der Pflicht nahmen“.

Das Lebenswerk dieses Meisters begann sich bereits damals zu runden – mit der Mitarbeit bei der Trockenlegung des Warthebruchs, mit dem Wiederaufbau des kriegszerstörten Küstrin und der niedergebrannten Zantocher Vorstadt von Landsberg an der Warthe. Aber die Krönung des Werkes stand noch aus. Sie begann sich erst bei der Zusammenarbeit mit Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff abzuzeichnen. Der Meister von Wörlitz, dem Gleim das Wort widmete, „wer ihm ins Auge sah, der mochte ihn zum Freunde haben“, gestaltete im Auftrage der preußischen Krone das Wohn- und Sterbezimmer Friedrich des Großen in Sanssouci im klassizistischen Stile um und schenkte zugleich den Königskammern im alten 1950 zerstörten Berliner Schloß auf der Spree-Insel ein neues Gesicht. Es war die Zeit, in der Carl Gotthard Langhans am Kopf der Straße Unter den Linden in Berlin – „die ohnstreitig die schönste Lage von der ganzen Welt ist“ – sein Brandenburger Tor aufzuführen begann. Es war aber auch die Zeit, in der die durch das Mätressenwesen ihres Gemahls menschlich gedemütigte Königin Friederike Luise – die meist im Schloß Monbijou in Berlin lebte – eine Zuflucht außerhalb der Tore der Hauptstadt suchte. Ihr Blick fiel dabei auf das am Nordhang des Hohen Barnim gelegene geschichtsumklungene Städtchen Freienwalde an der Oder. Schon der Alchimist des Großen Kurfürsten, Johann Kunckel, der auf der Pfaueninsel in der Havel Gold zu machen versuchte und stattdessen das berühmte Kunckel-Glas zu Tage förderte, hatte den Reiz des Freienwalder Kurbrunnens entdeckt. Seit anno 1790 hielt sich Friederike Luise dann des öfteren in Freienwalde auf, ließ sich ein paar Jahre später einen kleinen bewohnbaren Pavillon erbauen und gab schließlich kurz vor der Jahrhundertwende den Auftrag, für sie ein „Lustschloß im Landhausstil“ zu entwerfen. Der Entwurf gefiel ihr, und David Gilly konnte daraufhin nach seinen klassizistischen Intentionen den Entwurf ausführen. Das lose an Marie Antoinettes Trianon erinnernde Schlößchen erwies sich, wie Theodor Fontane notierte, als „ein Bau für eine Königinwitwe, die sich selber leben will, nicht aber für eine Königin, die anderen leben muß.“ In Freienwalde, dem Gerhart Hauptmann „den Glanz königlichen Bürgertums“ zugestand, verbrachte auch der später von Eichendorff als „Romantiker auf dem Königsthron“ gefeierte Friedrich Wilhelm IV. einen Teil seiner Kindheit. Nach Augenzeugenberichten polterte er durch das Schloß, eine Drehorgel vor sich herschiebend, der er zur Freude seiner Großmutter die Papageno-Arie „Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich“ entlockte und damit die Melodie zum Klingen brachte, die so verdächtig an das 1945 untergegangene Glockenspiel der Potsdamer Garnisonkirche – „Üb’ immer Treu’ und Redlichkeit“ – erinnert.

David Gilly hat das Werk, das er in Freienwalde hinterließ, Ehre und Ruhm eingetragen. In einem Bericht meldete er, „daß der mir aufgetragene Bau eines Sommerpalais für die Königin Frau Mutter zu allerhöchst derselben Zufriedenheit erledigt sei.“ Gilly konnte sich im selben Jahr daranmachen, vor den Toren Potsdams – in Paretz – ein Tuskulum für Friedrich Wilhelm III. und seine Gemahlin Luise zu erbauen. Der sparsame königliche Bauherr, der die Eigenart besaß, seine Sätze immer in Infinitiv-Formen zu kleiden, ließ den Baumeister wissen, „nur immer daran denken, daß Sie für einen armen Gutsherrn bauen“. Was Gilly jedoch in Paretz schuf und hinterließ, war entschieden mehr als ein bescheidenes Schlößchen – es war ein im klassizistischen Stil geformtes Dorf, ein architektonischesGesamtkunstwerk mit Wohn- und Torhäusern, mit einerSchmiede, einem neugotisch umgebauten Kirchlein und dem Schloß. Das Arbeitszimmer des Königs war auf bescheidenste Weise möbliert und doch lagen auf dem Schreibsekretär die Briefe eines Wilhelm von Humboldt, die Entwürfe eines Karl Friedrich Schinkel und die Hinweise des preußischen Regierungsrates Joseph von Eichendorff. Von diesem Schlößchen aus – eine halbe Meile vor Ütz im Havelland gelegen – regierte der König oft Monate hindurch seinen von Köln bis Königsberg reichenden Staat.

Von David Gillys Werk hat sich bis in die Gegenwart hinein das Schlößchen Freienwalde über dem Odertal erhalten – jedenfalls als Baudenkmal, aber seiner Einrichtung beraubt. Paretz ist nach dem Krieg gänzlich umgebaut und eigentlich als Baudenkmal zerstört worden. So weht um das Leben des Meisters schon ein wenig Tragik – nicht allein um seine Hinterlassenschaft, auch um sein irdisches Dasein. David Gilly geriet nach dem Franzoseneinfall in Preußen in wirtschaftliche Bedrängnis. Selbst seine Bücher, die er dringend brauchte, gingen verloren. So entschloß er sich 1808, an seinen nach Ostpreußen geflohenen König zu schreiben und um Nachzahlung seines noch ausstehenden Gehalts zu bitten. Doch der Brief kam zu spät. Als er im Lande zwischen Nogat und Pregel eintraf, war Gilly schon tot. Noch eine weitere Tragik kommt hinzu. Der in Altdamm bei Stettin geborene Sohn David Gillys, Friedrich Gilly, wurde wohl zum großen Lehrmeister Karl Friedrich Schinkels. Doch es war ihm nicht vergönnt, auch nur ein einziges der Bauwerke, die er ersonnen hatte, zu vollenden. Friedrich Gilly, den Paul Ortwin Rave ein „brennendes genialisches Wesen“ nannte, starb als Frühvollendeter schon mit neunundzwanzig Jahren.

Lit.: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 9 (1879), S. 173.  (Löbe) – Neue Deutsche Biographie, Bd. 6 (1964), S. 399 (Alste Horn-Oncken). –  Hermann Schmitz: Berliner Baumeister vom Ausgang des 18. Jahrhunderts (= Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 2), Berlin1925. – Hans-Ulrich Engel: Schlösser und Herrensitze in Brandenburg und Berlin (= Schlösser und Herrensitze, Bd. 6), Frankfurt a. M. 1959.

Bild: Schloß Freienwalde um 1798; nach einem gleichzeitigen Aquarell.

 

Hans-Ulrich Engel