Biographie

Gilly, Friedrich

Herkunft: Pommern, Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Bauforscher
* 16. Februar 1772 in Altdamm/Stettin
† 3. August 1800 in Karlsbad

„Hier ruht/ Vom Vaterlande und von zahlreichen/ Freunden getrennt/ Ein Liebling des Himmels und der Menschen/ Ein Künstler der edelsten Art-/ In welchem die Fülle des Genies/ Mit der Reinigkeit des echten Geschmacks/ Und der inneren Harmonie/ Einer schönen gebildeten Seele-/ Die Kunst mit dem Leben sich innig verschlang“. Mit diesen Worten versucht die Inschrift auf dem Grabstein Friedrich Gillys das Wesen jenes frühvollendeten Architekten und Baumeisters zu erfassen, der vielleicht, wäre er nicht vor 200 Jahren, nur 28jährig, verstorben, das Bild Berlins und Brandenburgs ähnlich entscheidend hätte prägen können, wie das Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff im 18. und Karl Friedrich Schinkel im 19. Jahrhundert gelungen ist.

Friedrich Gilly entstammte einer Hugenottenfamilie, die 1689 in das Kurfürstentum Brandenburg eingewandert war. Er wurde als Sohn des pommerschen Landbaudirektors und Geheimen Oberbaurates David Gilly, des Schöpfers unter anderem der Schloßanlagen zu Paretz und Freienwalde sowie des Vieweg’schen Anwesens in Braunschweig, und dessen Gattin Justine Friederike in Altdamm bei Stettin geboren und verbrachte seine Kindheit zuerst in Stargard, wohin der Vater noch im Geburtsjahr des Knaben versetzt worden war, und dann ab 1782 in Stettin. Hier besuchte er eine Privatlehranstalt, wurde aber auch vom Vater, dem sein künstlerisches und technisches Talent nicht verborgen geblieben war, in die Grundlagen der Architektur und ihrer Nachbargebiete eingeführt und zum Zwecke der direkten Anschauung des Erlernten auf etliche Dienstreisen mitgenommen.

Mit der Übersiedelung der Familie nach Berlin im Jahre 1788 erfuhren diese Impulse eine Vertiefung und Systematisierung. Gilly erhielt Unterricht bei Carl Gotthard Langhans und Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff in der Baukunst und an der Akademie der Künste im Zeichnen, wobei hier Christian Bernhard Rode, Daniel Nikolaus Chodowiecki und Johann Gottfried Schadow zu seinen Lehrern zählten. 1789 zum Baukondukteur beim Königlichen Hofbauamt bestellt, fand er auch Gelegenheit zur praktischen Umsetzung seiner Kenntnisse, so beim Bau des Oranienburger Kanals oder der Berliner Stadtvogtei.

Sein theoretisches Wissen erweiterte Gilly auf zwei Reisen, die ihn 1790 in Begleitung des Oberbaurates Riedel nach Westdeutschland und Holland, 1794 gemeinsam mit seinem Vater nach West- und Ostpreußen führten. Trat er hier erstmals mit geschultem Blick den Werken der Gotik und des norddeutschen Backsteinbaus gegenüber, erlangte er dort tiefere Einsichten in die Technik des Wasserbaus und die Möglichkeiten der Vereinfachung überladen ornamentierter Bauformen.

Stärker als diese Eindrücke, die sich nur indirekt, etwa in der Raumauffassung und dem Streben nach erhabener, aber gleichwohl schlichter Monumentalität, in Gillys späterem Schaffen nachweisen lassen, wirkte die intensive Beschäftigung mit der Architektur der Antike. Der junge Baumeister gelangte im Studium der erhaltenen Denkmäler, zuerst vor allem des architektonischen Schaffens der römischen Antike zu einer bislang unbekannten, auf das Wesen der Werke hin zielenden Anschauung antiker Baukunst, die den sich im wesentlichen auf äußere Nachahmung einzelner überlieferter Formelemente beschränkenden Frühklassizismus revolutionierte. Nicht mehr die bloße Gestalt eines Bauteiles, das als eine Art Versatzstück potentiell beliebigen Zwecken zugeführt werden konnte, sondern die Gesamtheit des Baukörpers als Ausfluß der Ideenwelt ihres Schöpfers trat nun in den Mittelpunkt, Raum und Form verschmolzen zu einer Einheit, der gegenüber Überlegungen des Gebäudeschmuckes und der Ornamentik zunächst in den Hintergrund traten.

Weiter befruchtend wirkte darüber hinaus eine ausgedehnte Studienreise, die den neu zum Oberhofbauinspektor Ernannten anstelle des eigentlich angestrebten, aber aufgrund der Kriegsereignisse verschlossenen Italien nun 1797 bis 1798 nach Frankreich und auf die britischen Inseln führte. Der englische Klassizismus, mehr aber noch die Pariser Revolutionsarchitektur beeinflußten Gilly maßgeblich, er erhielt wichtige Impulse zur Erzielung einer feierlich-pathetischen Raumwirkung mit einfachsten, in ihren Grundzügen auf bloße geometrische Formen zurückgehenden Mitteln. Klarheit der Linie und Festigkeit des Baukörpers wurden Leitbilder, die Gilly auch im eigenen Schaffen umzusetzen bestrebt war.

Seine beiden bedeutendsten Schöpfungen traf jedoch gleichermaßen das Schicksal, niemals realisiert worden zu sein und lediglich als Entwurf überdauert zu haben. Die sicherlich bahnbrechendste und auch zukunftsweisende Lösung zeigte Gillys Konzeption eines Denkmals Friedrichs des Großen aus dem Jahre 1796. Sich völlig von puristischen Vorstellungen einer Imitation antiker Vorbilder lösend, entwickelte er in freier Kombination dorischer, römisch-korinthischer und ägyptisierender Motive einen spannungsreichen Kontrast, der den Bau gleichsam mit dem ihn umgebenden Platz verzahnte. Dieser leitet mit den ihn gliedernden Achsen direkt auf das eigentliche Monument, eine Verbindung von Denkmal und Mausoleum, hin und steigert die Wirkung der Gesamtanlage zu einer Apotheose des preußischen Staates in der Person seines als antiken Heros aufgefaßten großen Königs.

Ähnlich richtungweisend erscheint Gillys Plan zur Umgestaltung des Berliner Schauspielhauses von 1797, der einer gänzlichen Neuschöpfung gleichkam. Unter Wahrung äußerster Einfachheit des Baukörpers nach außen sieht dieser im Inneren einen sich aus konzentrischen Dreiviertelkreisen entwickelnden Zuschauerraum mit vorgelagertem Vestibül vor, der sich eng an die Formensprache antiker Amphitheater anlehnt. Die klassische Trennung von Loge und Parterre wird dabei fast völlig aufgegeben.

Desweiteren existieren unter anderem Entwürfe für einen geplanten Neubau der Berliner Börse und der sogenannten Hundebrücke über die Spree zum Lustgarten, bei der die vorgesehene Verwendung gußeiserner Elemente in größerem Umfang bereits auf die Bauten des Industriezeitalters voraus weist. Außerdem entwarf Gilly noch eine Idealstadt am Meer, die sich durch klare Gliederung der Gebäudekomplexe und eine gestaffelte Abfolge von Straßen und Plätzen auszeichnet.

Was konkret ausgeführte Bauten anbelangt, ist lediglich die für die Königin Luise geschaffene Meierei im Park von Schloß Bellevue annähernd in ursprünglichem Zustand auf uns gekommen. Es handelt sich um ein schlichtes, sich harmonisch in den es umgebenden englischen Landschaftsgarten einfügendes Gebäude in ländlich-idyllischem Stil.

Daneben war Gilly am Neubau des Schauspielhauses in Königsberg und, indirekt, indem ältere Pläne von ihm Verwendung fanden, an dem des Theaters in Posen beteiligt. Neben einigen Wohnbauten in Berlin seien an von Gilly selbst zu seinen Lebzeiten aufgeführten oder zumindest begonnenen Gebäuden noch das Molter’sche Landhaus am Tiergarten und besonders das Palais Lottum in Berlin angeführt, ein durch ein Nebeneinander gliedernder und haltender Elemente an der Fassade schönes Beispiel für die vom Baumeister angestrebte Harmonie in einfachen, aber trotzdem gefälligen Formen.

Auch auf dem Felde der Architekturtheorie entfaltete Friedrich Gilly ein angesichts der ihm letztlich zur Verfügung stehenden Zeit erstaunliches Maß an Aktivität. Er suchte nicht nur durch die Publikation diverser Abhandlungen auch einem weiteren Kreis seine insbesondere architekturästhetischen Vorstellungen zu vermitteln, sondern strebte in der Gründung der „Privatgesellschaft junger Architekten“ auch die Etablierung eines Forums zur Diskussion innovativer Konzeptionen im Bauwesen an. Diese zu befördern war auch Gillys Anliegen als Dozent an der von Friedrich Wilhelm III. neu errichteten Bauakademie in Berlin, wo er sich vorzugsweise mit den Gebieten Optik und Perspektive befaßte und neben anderen Karl Friedrich Schinkel zu seinen Schülern zählte. Diesem blieb es dann vorbehalten, Ansätze seines Lehrers aufgreifend, den Klassizismus in größerem Rahmen in Brandenburg-Preußen heimisch zu machen.

Friedrich Gilly selbst war dies nicht mehr vergönnt. Seit seiner Studienreise 1797/98 lungenleidend, besserte sich sein Zustand zwar 1799, dem Jahr seiner Hochzeit mit Marie Ulrique Hainchelin, Tochter eines Geheimen Finanzrates aus Berlin, kurzfristig, doch trat bereits im folgenden Frühsommer eine dramatische Verschlechterung ein, die einen Kuraufenthalt in Karlsbad dringend geraten erscheinen ließ. Doch wenige Wochen nach dessen Antritt verstarb Friedrich Gilly und wurde auf dem Friedhof der Andreaskapelle in Karlsbad beigesetzt.

Mit Gilly verlor Preußen einen Architekten, der mit seinen freien klassizistischen Anschauungen ein Bindeglied zwischen den Epochen vor und nach 1800 darstellt. Weniger durch seine Werke als durch seine Ideen beeinflußte er dennoch maßgeblich die Weiterentwicklung des Bauwesens in Preußen und gab durch die ihm eigene Betonung der Form und Simplifizierung der Baukörper, mithin durch Abstrahierung der Architektur Anregungen, die durch ihre zeitlose Modernität bis heute faszinieren.

Lit.: Bothe, Rolf (Bearb.): Friedrich Gilly 1772-1800 und die Privatgesellschaft junger Architekten. Eine Ausstellung im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987. Berichtsjahr 1984. Berlin-Museum 21. September bis 4. November 1984 [Ausstellungskatalog], Berlin 1984. – Clelland, Douglas: David und Friedrich Gilly, in: Ribbe, Wolfgang/ Schäche, Wolfgang (Hg.): Baumeister-Architekten-Stadtplaner. Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins, Berlin 1987, S. 125-146. – Doebber, Adolph: Gilly, Friedrich, Architekt, in: Thieme, Ulrich/Willis, Frederick C. (Hg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker, Vierzehnter Band, Leipzig 1921, S. 48-49. – Holtze, Otto: Friedrich Gilly (1772-1800), in: Hofmeister, Adolf/Braun, Wilhelm (Hg.): Pommern des 18., 19. und 20. Jahrhunderts (= Pommersche Lebensbilder, Dritter Band), Stettin 1939, S. 204-215. – Neumeyer, Fitz (Hg.): Friedrich Gilly. Essays zur Architektur 1796- 1799, Berlin 1997. – Posener, Julius: Friedrich Gilly. 1772-1800, in: Akademie der Künste (Hg.): Berlin zwischen 1789 und 1848. Facetten einer Epoche. Ausstellung der Akademie der Künste vom 30. August bis 1. November 1981 [Ausstellungskatalog], Berlin 1981, S. 105-122. – Rietdorf, Alfred: Gilly. Wiedergeburt der Architektur, Berlin 1940. – Rüsch, Eckart: Baukonstruktion zwischen Innovation und Scheitern. Verona, Langhans, Gilly und die Bohlendächer um 1800, Petersberg 1997. – Schmitz, Hermann: Berliner Baumeister vom Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts (= Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 2), ND Berlin 1980 der 2. Auflage ebenda 1925. – Vogel, Gerd- Helge (Hg.): Friedrich Gilly 1772- 1800. Innovation und Tradition klassizistischer Architektur in Europa. Güstrow 2002. – Mende, Jan (Hg.): Friedrich Gilly 1772- 1800. Kubus, Licht und Schatten, Berlin 2023.

Bild: Friedrich Georg Weitsch: Friedrich Gilly, in: Rietdorf, Alfred: Gilly. Wiedergeburt der Architektur, Berlin 1940, Frontispitz.

Bernhard Mundt