Biographie

Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Dichter, Almanachredakteur, Verwaltungsbeamter
* 13. Juli 1748 in Gröningen/Halberstadt
† 18. Februar 1828 in Deutsch Wartenberg/Schlesien

Auch die Literaturgeschichtsschreibung der jüngsten Zeit registriert Goeckingk lediglich als einen Autor innerhalb der Literatengruppe um Gleim. Dabei überlebte der fast 80 Jahre alt gewordene Dichter nicht nur sämtliche Strömungen des Aufklärungsjahrhunderts, sondern auch die klassisch-romantische Bewegung. Doch selbst von „Vater Gleim“, wie man den uneigennützigen Freund nahezu aller Anakreontiker gern nannte, unterschied sich Goeckingk auffallend. In ihrem Reimbriefwechsel konterte er am 27. Oktober 1781 Gleims misanthropischer Schlußstrophe

Die Menschen alle

Sind böse Feinde, die zu Halle,

Zu Bonn, zu Mannheim, zu Berlin,

Zu Düsseldorf, zu Zürich, zu Wien,

Und die zu Mainz in der Karthaus;

Zwei oder dreie nehm ich aus.

seinerseits mit einer weiseren und vor allem grundsätzlich menschenfreundlichen Einstellung:

Dann sieh den Erdball an, wie ein Spital

Voll siecher Narren, Freund, verpflegt von den Gesunden.

Sei Arzt darin! So hast du auf einmal,

Was diese Welt gewähren kann, gefunden.

Aber auch im Vergleich zu Ramler, dessen poetische Werke er 1800 in einer zweibändigen Prachtausgabe edierte, gibt es Unterschiede; von ihm trennte ihn eine eindeutig vom einzelmenschlichen Schicksal her bestimmte aufklärerische Betrachtungsweise des Herrschers, des Krieges oder des Vaterlands, wie die vorletzte Strophe desHerbstlied betitelten Gedichtes zeigt:

Süß mag es sein, fürs Vaterland

Als Held zu sterben mit Freuden!

Doch haben wir so viel Verstand,

Um Fürstengeiz und Vaterland

Ein wenig zu unterscheiden.

Sein Lied eines Invaliden spricht eine noch deutlichere, die Selbstachtung des zum Krüppel Geschossenen unterstreichende Sprache:

Und muß es denn gebettelt sein,

So gebt mir ohne Zählen,

Was ihr mir geben wollt; denn ich,

Wenn gleich ein Krüppel, lasse mich

Von niemand lange quälen!

Das sind Töne, die den selbstgenügsam-ästhetisierenden Standpunkt der Rokokolyrik weit hinter sich lassen. War etwa für Hagedorn die Poesie lediglich „Gespielin meiner Nebenstunden“, so kam es bei Goeckingk zunehmend zur Überwindung dieser Position. Im Unterschied zu Ramlers unverdrossener Preußen-Topik differenzierte der an der Aufklärungsphilosophie und den Moralischen Wochenschriften orientierte Goeckingk in unprätentiöser Ausdrucksweise zwischen formelhaftem Patriotismus und den tatsächlichen Zeitumständen. Der rebellische Geist des „Sturm und Drang“ ist (keineswegs nur auf dasInvaliden-Gedicht beschränkt) schwerlich zu überhören. Doch auch am entscheidenden Qualitätssprung in der Geschichte der Lyrik des 18. Jahrhunderts, dem Einsatz des Erlebnisgedichts, das mit denSesenheimer Liedern des jungen Goethe einen ersten Höhepunkt erreichte, war Goeckingk beteiligt. Sein populärstes Werk, die 1777 erstmals in Buchform erschienenenLieder zweier Liebender, erregten nicht zuletzt wegen ihrer vom eigenen Erleben geprägten Liebesgedichte rundum Aufsehen. Klare Sprache und Form kennzeichnen auch diese neue Lyrische Ich-Aussprache:

Bin ich nüchtern, bin ich trunken?

Wach ich oder träum ich nur?

Bin ich aus der Welt gesunken?

Bin ich anderer Natur?

Fühlt’ ein Mädchen schon so was?

Wie begreif ich alles das?

Die Tonlage Gretchens inFaust I wird in dieser Eingangsstrophe des Gedichtes Nach dem ersten nächtlichen Besuche aus dem eben genannten Zyklus bereits vernehmbar. Zeitgenossen wie der berühmte romantische Theologe und Berliner Hofprediger Friedrich Schleiermacher meinten allerdings, Goeckingk sei „in der Epistel am stärksten; er hat die Regeln und Schönheiten derselben am meisten inne“ (am 9.12.1789 an C.G. v. Brinckmann). Nimmt man noch das Epigramm hinzu, so handelt es sich zweifelsohne um zwei literarische Gattungen, die Goeckingk (gerade wegen seiner Klarheit) besonders angemessen sind. Die Veröffentlichung seiner Gedichte erfolgte zunächst in den Leipziger, Göttinger und Hamburger Musenalmanachen.

Wiederholt übernahm Goeckingk die Redaktion besonders einflußreicher Almanache und trat die Nachfolge bedeutender Herausgeber an. Befähigt war er hierzu auch durch seinen beruflichen Werdegang, den man insgesamt als eine beachtliche Verwaltungskarriere bezeichnen kann. Der Sohn eines Kriegs- und Domänenrats in Halberstadt besuchte die dortige Domschule, 1762 das Pädagogium in Halle a.S. und nahm ebenda 1765 ein Jurastudium auf. 1768 kam er als Referendar an die Kammer in Halberstadt, wo er auch zum Gleim-Zirkel stieß und Gottfried August Bürger näher kennenlernte. 1770 wurde er Kanzleidirektor in Ellrich bei Nordhausen (Grafschaft Hohenstein). Seine weitere Laufbahn führte ihn 1786 nach Magdeburg in die Position seines Vaters (Kriegs- und Domänenrat). 1788 wurde er Land- und Steuerrat der Grafschaft Wernigerode, 1793 Geheimer Oberfinanzrat in Berlin, 1798 Mitglied der preußischen Gesetzeskommission und 1803/04 Leiter der Verwaltungsreformen im säkularisierten Hochstift Fulda. Bevor er sich 1809 endgültig ins Privatleben zurückzog, nahm er noch eine Reihe verantwortungsvoller Aufgaben wahr: so die Einrichtung einer Finanzverwaltung in der Provinz Posen und die Neuordnung der Berliner Polizei. Bereits 1789 war Goeckingk aufgrund seiner dienstlichen Leistungen vom preußischen König geadelt worden. Im Ruhestand (zuletzt schwer krank und vereinsamt) lebte er abwechselnd in Berlin und auf seinen schlesischen Besitzungen, um sich endlich wieder der Literatur und den unterschiedlichsten Herausgebertätigkeiten widmen zu können.

Bereits 1775 hatte er die Redaktion des Göttinger Musenalmanachs als Nachfolger Boies übernommen. Hier druckte er seine, für aufklärerisches Engagement zum Pflichtpensum zählenden satirischen Gedichte ab. Im Wiegenlied, für die süßen Herren artikulierte er seine Adelskritik:

Schlummre, du duftendes Herrchen,

Schlummre, du plapperndes Närrchen,

Hast dich ja ritterlich müde gehüpft!

Hast bey den Spielen um Pfänder

Mühsam geknieet, und Bänder

Ueber die Wade der Schönen geknüpft.

Auch Schiller wird in Kabale und Liebe nichts anderes vom Hofmarschall von Kalb zu sagen wissen. Von 1780 an gab Goeckingk zusammen mit Johann Heinrich Voß den besonders für die spätaufklärerische Lyrik bedeutendenHamburger Musenalmanach heraus. 1784 entschloß sich Goeckingk sogar zur Gründung eines eigenen Journals von und für Deutschland. Dazu kam die zeitraubende Betreuung der Nachlässe anderer Schriftsteller, am wichtigsten wohl die 1820 publizierte Edition Friedrich Nicolais’s Leben und literarischer Nachlaß. Der das Buch eröffnende Vorbericht erweist Goeckingks Gewissenhaftigkeit als literarischer Treuhänder. Seine ästhetische Kompetenz und charakterliche Integrität bezeugt auch der Schleiermacher-Kreis. Im Briefwechsel des Theologen heißt es am 4. Dezember 1789 anläßlich der Leipziger Rezension der Selmariana: „und mehr als diese hat mich Göckings Urtheil gefreut; das in seinem wahrheitsliebenden Munde doppelt schmeichelhaft für mich war.“

Werke: Ihr Saiten, tönet fort. Lyrik des achtzehnten Jahrhunderts. Ausgewählt von Ernst Ginsberg. Zürich 1946. – Gedichte von L.F.G. Goekingk. Auf Kosten des Verfassers, gedruckt bey Joh. Gottl. Imman. Breitkopf in Leipzig 1780 ff. – Lieder zweier Liebenden und ausgew. Gedichte. Hrsg. von Matthias Richter, Göttingen 1988.

Lit.: Fritz Kasch: Leopold Friedrich Günther von Goeckingk. Marburg 1909. – York-Gothart Mix: Die deutschen Musenalmanache des 18. Jahrhunderts. München 1987.

Bild: Friedrich Nicolai’s Leben und literarischer Nachlaß. Berlin 1820. – undatiert.

 

  Walter Dimter