Biographie

Görres, Ida Friederike

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftstellerin, Lyrikerin
* 2. Dezember 1901 in Schloß Ronsperg/Böhmerwald
† 15. Mai 1971 in Frankfurt/Main

Ida Friederike Görres wurde am 2. Dezember 1901 geboren auf Schloss Ronsperg (heute Pobĕžovice), im gleichnamigen westböhmischen Landstädtchen gelegen. Sie erhielt den Namen Friederike Maria Anna und war das sechste von sieben Kindern des Grafen Heinrich Coudenhove-Kalergi (* 12. Oktober 1859 in Wien, † 14. Mai 1906 in Ronsperg) und seiner Gattin Mitsuko Maria Thekla (* 7. Juli 1874 Ushigone bei Tokio, † 27. August 1941 Mödling). Die familären Verhältnisse waren in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi entstammte väterlicherseits einem Adelsgeschlecht, das ursprünglich in Brabant verwurzelt war. Mütterlicherseits entstammte er aus dem byzantinisch-kretischen Adelsgeschlecht Kalergi. Graf Coudenhove sprach 16 Sprachen. Seine Tätigkeit im diplomatischen Dienst führte ihn nach Athen, Rio de Janeiro, Konstantinopel, Buenos Aires und schliesslich nach Japan, wo er seine spätere Frau Mitsuko Aoyama kennenlernte. Sie war Tochter eines Antiquitäten- und Ölhändlers. Mitsuko wurde noch in Japan katholisch getauft und erhielt die weiteren Vornamen Maria Thekla. Die Ehe wurde mit Einwilligung des österreichisch-ungarischen und des japanischen Aussenministeriums am 16. März 1892 in der Residenz des römisch-katholischen Erzbischofs von Tokio geschlossen. Das gräfliche Paar hatte ursprünglich nicht die Absicht, nach Europa zurückzukehren. Um nach dem Tode von Graf Franz Carl Coudenove das Erbe antreten zu können, musste Heinrich von Coudenove-Kalergi nach Österreich zurückkehren, da er als Vormund des Erben die Güter in Ronsperg zu verwalten hatte.

Das Ehepaar Coudenhove-Kalergi hatte sieben Kinder. Einer ihrer Söhne sollte für den europäischen Gedanken noch grosse Bedeutung erhalten, der noch 1894 in Tokio geborene Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi. Die Gräuel des Ersten Weltkrieges führten dazu, dass einige auf Rache, andere auf endgültige Wege zur Versöhnung suchten. Zu letzteren gehörte Richard Nikolaus Coudenhove-Calergi. Er hielt zu diesem Thema zahlreiche Vorträge und wusste damit sogar den tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Masaryk als auch seinen Außenminister Evard Beneš zu begeistern. Die ganze Lebenseinstellung der Familie Coudenhove-Kalergi war international geprägt und auf Schloss Ronsperg war eine multinationale Umgebung geschaffen worden. So kamen Lehrer der Kinder aus England und Frankreich, der Sekretär war ein Bayer, der Generaldirektor Tscheche, der Kammerdiener Armenier und häufiger Gast war beispielsweise unter anderem der Pilsner Rabbi. Insgesamt hatte Ida Friederike noch sechs Geschwister, zwei Schwestern und vier Brüder. Ein schwerer Verlust bedeutete der Tod des Vaters, der schon 1906 einem Herzinfarkt erlag, als Ida Friederike erst fünf Jahre alt war. Sie bekannte später in einem Brief an eine Freundin, dass das Vaterbild einfach ausgefallen und nie ersetzt worden sei, ihr Bild des Mannes sei ganz und gar vom Archetyp des Bruders bestimmt worden. Dazu scheint die junge Ida Friederike darunter gelitten zu haben, dass die Mutter die Söhne bevorzugte. Hinzu kam eine Lebensart in damaligen Adelshäusern, die weit verbreitet war, dass Eltern auch nach der Geburt von Kindern weitgehend immer noch eigenen Interessen folgten und die Erziehung der Kinder in die Hand von Ammen und später Hauslehrern übergeben wurde. Nach dem Tode von Heinrich Coudenhove-Kalergi übernahm seine Frau Mitsuko die Verwaltung der Familiengüter in Westböhmen und die Erziehung ihrer Kinder. Die Familie verließ aber Schloss Ronsperg und ließ sich im nahegelegenen ehemaligen Kloster Stockau nieder. Dort lebte Ida von 1906 und 1913. Auf dem Dachboden wurden Schriftstücke aus der Zeit gefunden, als in diesem Anwesen noch Augustinermönche gelebt hatten. Das weckte, eigenen Angabe zur Folge, das geschichtliche Interesse des jungen Mädchens.

Zur weiteren Ausbildung wurden die Söhne auf das Theresianum nach Wien, die Töchter auf die Mary-Ward Schule Sankt Pölten zur Weiterbildung geschickt. Diese Schule besuchte Ida von 1916 bis 1918. Vorher hatte die „junge Gräfin“, wie es aus den Schulpapieren hervorgeht, ab 1913 das Internat Sacré Coeur in Pressbaum bei Wien besucht. Diese Schule musste sie verlassen, weil sie ein Gedicht über eine Nonne verfasst hatte. Die Schule bei den Englischen Fräulein in Sankt Pölten hat die junge Ida Friederike sehr geliebt. Hier beginnt sie auch eine Brieffreundschaft zu einer Lehrerin und Ordensschwester Mater Adele Strasser. Diese Schule war für Ida so prägend, dass sie sich entschloss, dort ab 1923 als Novizin bei den Englischen Fräulein einzutreten. Bevor sie ins Kloster eintrat, lebte die junge Gräfin ab September 1922 am Rennweg 10 in Wien. In dieser Zeit besuchte sie die 8. Klasse am Mädchen-Reform-Realgymnasium in Wien-Wieden. Hier entstehen die ersten Gedichte der jungen Frau: „Grau der Himmel wie verblaßtes Leid, / Regen peitscht vorbei an nassen Scheiben, / Durch den Sturm, der unablässig dröhnt, / Abgerissen fernes Klagen stöhnt, / Blasse Klagen aus verwehter Zeit …“.

Am 16. Juli 1923 trat Ida Friederike Coudenhove-Kalergi in das Noviziat in Sankt Pölten ein. Aus dieser Zeit ist ein Gebet in Gedichtform erhalten: „Als ich heut, das Herz in bangen Banden / unterm Joche müd und mutlos ging, / bin ich kurz an deinem Bild gestanden / und dein Blick sich jäh in meinem fing. / Deine Füße, wie sie ruhig halten… / Mitten durch den Nagel geht… / Ungewollt sich meine Hände falten, / aller trotz versickert im Gebet.“ In der Rückschau wird Ida Friederike ihren Eintritt ins Kloster als „Kurzschluss“ einordnen. 1925 beginnt sie mit dem Studium der Staatswissenschaften in Wien. Aber prägend für ihr weiteres Leben war die Begegnung mit der Jugendbegegnung „Neuland“. Joseph Ratzinger, der die Traueransprache für Ida Friederike Görres 1971 hielt, betonte mit seinen Worten: „Die große Wende, die ihren ganzen weiteren Weg bis zuletzt bestimmte, brachte das Begegnen mit der Jugendbewegung (Bund Neubund, Quickborn). Nun ging ihr auf, was fortan Zentrum ihres Denkens und Wirkens blieb: die lebendige Kirche. Sie begriff, daß Kirche nicht bloß Organisation ist, Hierarchie, Amt… sondern daß zur Kirche die ganze Gemeinschaft der Gläubigen aller Zeiten und aller Orte gehört.“ Auch wenn Ida Friederike Görres nicht ins Kloster ging, oder irgendein offizielles Amt in der Kirche bekleidete, wurde sie sie zu einer bedeutenden, prägenden Person des deutschsprachigen Katholizismus. Dies geschah vornehmlich auf schriftstellerischem Gebiet. Dazu kam ihre hohe Bildung.

Ab 30. April lebt Ida Friederike in Freiburg im Breisgau. Dort besucht sie die Universität und hört Vorlesungen in Geschichte und Theologie, Philosophie bei Martin Heidegger. Und schließlich legt sie am 29. Juni 1927 das Gelöbnis der Ehelosigkeit ab, um sich ganz an dem Dienst an der Kirche widmen zu können. In Freiburg fand sie auch Zugang zur Jugendbewegung Quickborn, dessen führender Theologe Romano Guardini war. Obwohl sich Ida Friederike Coudenhove sehr offen für die Ziele des Quickborn zeigte, und die geistige Nähe zu Guardini suchte, blieb das Verhältnis zu ihm kühl, was man aus der Rückschau dem Einfluss des Umfeldes Guardinis zuschrieb. Die Verbindung zu Wien blieb während der Freiburger Zeit erhalten. Durch die Verbindung zum Verleger Anton Plattner konnte im Wiener Konzerthaus 1931 Coudenhoves Stück Der Prophet aufgeführt werden. Aber Wien konnte sie nicht halten. Sie empfand die ständigen Erinnerungen an vergangene Grösse als bedrückend. So fand Ida Friederike eine neue Aufgabe als „Diözesansekretärin für die weibliche Jugendpflege“ im Bistum Dresden-Meißen. Sie bekleidete diese Stelle von 1931 bis 1935. In dieser Zeit hat sie sich intensiv mit Lebensformen auseinandergesetzt. Es kristallisierte sich hier die Vorstellung heraus, die christliche Berufung nicht außerhalb der Welt, sondern mitten in ihr zu leben. Damit nahm sie, ohne es zu ahnen, ein großes Anliegen des zukünftigen Zweiten Vatikanischen Konzils vorweg. In die Dresdner Zeit fällt die Zeit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Die Nazis beobachteten die Frau mit den auffällig fernöstlichen Zügen argwöhnisch. Sie wurde vor ihrer Heirat wiederholt von der Gestapo vorgeladen. Diese Erfahrungen führten bei Ida Friederike Coudenhove zu einer entschiedenen Ablehnung des Nationalsozialistischen Systems, wie ihre damalige Freundin Bärbel Wintersinger später bezeugen konnte.

Die Zeit in Dresden wurde auch entscheidend für ihr weiteres persönliches Leben. Sie lernte in der Elbestadt ihren späteren Ehemann, Carl-Josef Görres, geboren in Schönberg bei Berlin, wie es bis zur späteren Eingemeindung nach Berlin 1905 noch hieß. Die Entscheidung, heiraten zu wollen, wuchs allmählich, da dafür der Bischof Ida Friederike Coudenhove von Ihrem Gelübde der Ehelosigkeit dispensieren musste. Sie konnte dieser Auflösung zustimmen, da Carl-Josef Görres versprach, seine Frau nicht nur in ihrer gläubig-kirchlichen Einstellung zu akzeptieren, sondern sie in ihren Tätigkeiten sogar aktiv zu unterstützen. Aus der Rückschau konnte Ida feststellen, dass er diesem Versprechen nachgekommen war. Die Ehe war glücklich, blieb jedoch kinderlos. Diese Kinderlosigkeit deutete sie aus ihrem Glauben dahin gehend, dass sie sich ihrem Versprechen Gott gegenüber weiter verpflichtet fühlen wollte. Das Ehepaar zog 1937 von Dresden nach Leipzig. Bis kurz vor Kriegsbeginn 1939 leitete Carl-Josef Görres als Direktor eine Maschinenfabrik. 1939 zog das Ehepaar Görres dann nach Stuttgart-Degerloch, wo sie bis 1959 zusammenlebten. Die ablehnende Haltung dem nationalsozialistischen Regime gegenüber kommt in einem Gedicht zum Ausdruck, das Ida Friederike Görres nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl ihnen zu Ehren verfasst hat. Im August 1943 nahm das Ehepaar Görres sogar eine Jüdin, namens Margarethe Vogel bei sich auf. Sie konnten allerdings diese Frau nicht vor dem Zugriff durch die Gestapo retten. 1944 wurde Frau Vogel nach Theresienstadt abtransportiert. Ida Friederike Görres deutet den Krieg als Folge eines seelisch-geistlichen Verfalls. Vor den Trümmern in den Städten steht für sie „Frevel und lügende Schuld“, wie sie in einem Gedicht jener Zeit schreibt. Schon ab 1939 war ihr Pfarrer Hermann Breucha ein wichtiger Freund in geistlichen Dingen geworden, später wird ihr noch das Kloster Beuron zu einer geistigen Heimat. Hier hat sie zwischen 1940 und 1950 viele Werkwochen gehalten. Doch ab 1950 lässt das kirchliche Engagement von Ida Friederike Görres sehr nach. Grund dafür ist der Ausbruch einer psychosomatischen Krankheit. Durch Gehirnspasmen und einer schweren Arthritis werden ihre Sprach- und Bewegungsfähigkeit schwer gelähmt. Ein Arzt, den die Erkrankte in Freiburg im Breisgau kennengelernt hatte, verspricht Besserung. So zieht das Ehepaar Görres 1959 nach Freiburg, wo es auf Empfehlung der Mutter Karl Rahners Aufnahme im Alters- und Pflegeheim im „Venzentiushaus“ findet. Der Zustand der erkrankten Schriftstellerin bessert sich ab 1963 allmählich.

Es folgt ein letztes knappes produktives Jahrzehnt. Auslöser dafür ist der Beginn des 2. Vatikanischen Konzils 1962, das die glaubensbegeisterte Katholikin zunächst vorbehaltlos begrüsste. Ihre späteren Bedenken, angesichts mancher Fehlentwicklung und Missbräuche kommt in einem Aufsatz zum Ausdruck, den sie 1969 für die Karwochenausgabe der Wiener Zeitschrift „Die Presse“ verfasste: Katholizismus zwischen den Kräften der Zerstörung und der Rodung für eine neue Zeit. November 1970 wird Ida Friederike Görres von der deutschen Bischofskonferenz zur Synode nach Würzburg berufen. Sie fährt mit gemischten Gefühlen dorthin. Denn ihre Überzeugung, dass der Glaube lebendig gelebt werden soll, findet dort nur wenig Nahrung, wenn sie erleben musste, dass stundenlang über irgendein Detail der kommenden Geschäftsordnung disputiert wurde. „Ich fühle mich immer fehler (sic!) am Platze.“ So schreibt sie an einen geistlichen Freund, Pater Paulus Gordan in der Erzabtei Beuron. Der Besuch der Würzburger Synode sollte mit dem Tode der Schriftstellerin enden. In einer Kommissionssitzung am 14. Mai 1971, in der sie zu der Vorlage „Gottesdienst und Sakrament“ sehr engagiert Stellung nahm, brach sie zusammen und verstarb am Tage danach. Kein geringerer als Joseph Ratzinger hielt anlässlich des Begräbnisses in Freiburg die Gedenkrede für die Schriftstellerin, die über die Jahre zu einer grossen Gestalt des deutschen Katholizismus herangereift war.

Werke: Gespräche über die Heiligkeit. Ein Dialog um Elisabeth von Thüringen (1931). – Von der Last Gottes (1932). – Das große Spiel der Maria Ward 1932). – Germanische Heiligkeit (1934, über Radegundis und Heinrich von Seuse). – Von den zwei Türmen (1934). – Die siebenfache Flucht der Radegundis (1937). – Der Kristall (1939). – Des anderen Last (1940, verteidigt die Nächstenliebe gegenüber den Anmaßungen der staatlichen Wohlfahrtspflege des Naziregimes). – Johanna (1943). – Das verborgene Antlitz (1944, über Theresia von Lisieux). – Von der Heimatlosigkeit (1945). – Brief über die Kirche (1946). – Von Ehe und Einsamkeit (1949). – Der verborgene Schatz (1949, Gedichte). – Die Braut des Alexis (1949, Mädchenbuch). – Nocturnen (1949, Tagebuch 1937-1947). – Die leibhaftige Kirche (1950). – Aus der Welt der Heiligen (1955). – Laiengedanken zum Zölibat (1962). – Hedwig von Schlesien (1967). – Der Geopferte. Ein anderer Blick auf John Henry Newmann (1949), posthum veröffentlicht.

Lit.: Anna Findl-Ludescher, Stützen kann nur, was widersteht. Ida Friederike Görres, ihr Leben und ihre Kirchenschriften. (Salzburger theologische Studien Bd. 9) Innsbruck 1999. – Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, „O letztes Licht, verschimmernd über mir …“: zum 100. Geburtstag von Ida Friederike Görres am 2. Dezember 2001, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 30 (2001), S. 583-586. – Michael Kleinert, Es wächst viel Brot in der Winternacht. Theologische Grundlinien im Werk von Ida Friederike Görres, Würzburg. – Jean-Yves Paraiso (Hrsg.), „Brief über die Kirche“. Die Kontroverse um Ida Friederike Görres’ Aufsatz. Ein Dokumentationsband. Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte, Bd. 35, Köln-Weimar-Wien 2005. – Ekkart Sauser, Ida Friederike Görres, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Band 17, Herzberg 2000, Sp. 471-473.

Bild: Cover Ida Friederike Görres, Weltfrömmigkeit, hrsg. aus dem Nachlass von Beatrix Klaiber, Knecht-Verlag 1975.

Helmut Gehrmann