Der Dichter, Dramatiker, Essayist undÜbersetzer Bruno Goetz wurde vor 100 Jahren, am 6. November 1885, in Riga als Sohn des aus Memel gebürtigen Schiffskapitäns und späterenNavigationslehrers an der Rigaer Seemannsschule Johannes Goetz, geboren. Er besuchte zunächst die v. Eltz’sche Privatschule in Riga, danach das dortige Alexander-Gymnasium. In den Jahren 1904-1910 studierte er an der Wiener und der Münchener Universität Literatur- und Kunstgeschichte; von 1910-1912 war er Feuilletonredakteur, Konzert- und Theaterkritiker an den „Rigaschen Neuesten Nachrichten“, später an der „Riga’schen Zeitung“. Im Jahre 1912 siedelte er als freier Schriftsteller nach Berlin über. Längere Reisen führten ihn nach Italien, Frankreich und in die Schweiz. Im Jahre 1917 ging er als Zeitungskorrespondent in die Schweiz, lebte dort in Zürich und Ascona und heiratete im Jahre 1921 in Italien die Malerin Elisabeth von Ruckteschell, die Tochter eines aus dem Baltikum stammenden, in Hamburg amtierenden Pastors. Von 1921-1923 leitete Bruno Goetz die Literaturbeilage der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ in Berlin, das er 1923 verließ. In Ueberlingen am Bodensee fand er eine neue Wahlheimat und lebte seit 1946 in Zürich, wo er am 19. März 1954 gestorben ist.
Entscheidende Anregungen empfing Bruno Goetz durch den baltischen Indologen Leopold von Schroeder in Wien. Eine bedeutsame Rolle in seinem Leben spielte der baltische Wagner-Biograph Carl Friedrich Glasenapp, durch den er Cosima Wagner kennenlernte und häufiger Gast in Bayreuth war. Karl Wolfskehl und Frank Wedekind waren seine Freunde in seiner Münchener Zeit, mit Werner Bergengruen war er befreundet, und eine nie getrübte Freundschaft verband ihn mit dem Dichterkomponisten Ferruccio Busoni.
Sein Wanderleben war nicht leicht; er machte keine Kompromisse. Wirtschaftliche Unsicherheit verließ ihn fast nie. Die baltischen, deutschen und russischen Wesenselemente der Vorfahren des Dichters verschmolzen im Laufe der Jahre zu einer einheitlichen schöpferischen Persönlichkeit.
Die meisten Geschichten und Dichtungen von Bruno Goetz sind in Zürich, Ascona, Überlingen und Berlin entstanden. Von Überlingen aus führten ihn alljährlich ausgedehnte Vortragsreisen durch ganz Deutschland.
Bruno Goetz veröffentlichte Gedichte, Novellen, Romane, Dramen und Essays, u.a. die Romane „Das Reich ohne Raum“ (1920), „Das göttliche Gesicht“ (1925), die Gedichtbände „Der letzte und der erste Tag“ (1924), „Das Heile Wort“ (1935), „Das Flügelroß“ (1938), die Essays „Neuer Adel“ (1930), „Deutsche Dichtung. Ursprung und Sendung“ (1935), die Novellen „Die Pferde gehen durch“ (1938), „DerPunkt zwischen den Augen“ (1948), das Mysterienspiel „Der Lobgesang“ (1926), Schnurren und Grotesken unter dem Titel „Der siebenköpfige Drache“ (1947) und die Balladen „Der Gott und die Schlange“ (1949). Im Jahre 1916 gab er eine Anthologie neuer baltischer Lyrik unter dem Titel „Die jungen Balten“ heraus. Neben italienischen Dichtungen übersetzte er Gogols „Erzählungen“ und „Anna Karenina“ des Grafen Leo Tolstoi aus dem Russischen.
„Von jung auf bis ans Ende war Bruno Goetz ein Sänger, fast in einem heute verschollenen, urzeitlichen Sinn, ein Hymniker, ein Opferbrand zu Ehren der Gottheit. In allem, was er schrieb, was er sprach, was er wortlos durch sein gesamtes Wesen zu erkennen gab, klang unablässig die kindliche Dankbarkeit auf für das Geschenk des Lebens, unablässig die Ehrfurcht vor dem Wunder der Existenz, unablässig das Lob der Gottheit.“ (Werner Bergengruen)
Lit.: Deutsch-baltisches biographisches Lexikon 1710-1960 (Köln/Wien 1970); Elisabeth Goetz von Ruckteschell (In: „Baltisches Erbe“, hrsg. v. Erik Thomson, Frankfurt/M. 1964), Erik Thomson: Bruno Goetz 65 Jahre (In: Baltische Rundschau, Jg. 1/1950, Nr. 10); Erik Thomson: Bruno Goetz + (In: Baltische Rundschau, Jg. 5/1954, Nr. 5); Kurze selbstbiographische Skizze, 27. 3-1950 (Archiv Erik Thomson, Lüneburg).