Biographie

Goetzen, Friedrich Wilhelm Graf von (d.J.)

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Generalleutnant, Gouverneur von Schlesien
* 20. Januar 1767 in Potsdam
† 19. Februar 1820 in Bad Kudowa/ Niederschlesien

Er stammt aus der brandenburgischen evangelischen Linie der Familie von Goetzen (auch: Götzen). Sein Vater war Freiherr Friedrich Wilhelm von Goetzen (der Ältere; * 1734 in Grünthal; † 1794 in Glatz), seine Mutter war Louise Dorothea von Holwede (1729-1783). Der Vater Goetzen machte Karriere beim preußischen Militär; er war lange Jahre Generaladjutant Friedrichs des Großen sowie Gouverneur der Grafschaft Glatz; für seine militärischen Verdienste, insbesondere in den Schlach­ten von Leuthen (Lutynia) und Kunersdorf (Kunowice), erhielt er 1771 vom König die Herrschaften (Dominien) Scharfeneck (Sarny) mit Rudelsdorf (Rudowa) und Anteil Tuntschendorf (Tłumaczów) in der Grafschaft Glatz und begründete damit die schlesische evangelische Familienlinie (neben der älteren katholischen Linie mit der Herrschaft Tscherbeney (Czermna).

Da der Vater Goetzen viel bei Hofe in Potsdam wirkte, erlebte der Sohn dort seine Kindheit als Spielgefährte des drei Jahre jüngeren Kronprinzen Friedrich Wilhelm (1770-1840, 1797 König) und genoss eine vielseitige Erziehung. Er war von hagerer Gestalt, ein vortrefflicher Reiter und ein Mann von großer Kraft und Gesundheit, die ihm aber früh abhandenkam.

Als 15-Jähriger begann der junge Goetzen im Leib-Cara­binier-Regiment in Rathenow im Havelland seine preußische Militärlaufbahn; bereits 1784 wurde er zum Leutnant, 1798 zum Stabsrittmeister und 1801 zum Major im Generalstab er­   nannt. Im Jahre 1794, im Todesjahr seines Vaters, wurde er vom König Friedrich Wilhelm II. in den Grafenstand erhoben. Während seiner Abordnung nach Bayreuth 1792/96 bewährte sich Goetzen auch als Topograph; seine militärtopographische Beschreibung von Ansbach-Bayreuth, das 1791 an Preußen fiel, fand hohe Anerkennung. Es folgte 1804 die Ernennung zum Flügeladjutant des Königs Friedrich Wilhelm III. Da er seinen Vorgesetzten durch seine körperliche und geistige Beweglichkeit auffiel, betraute ihn der König im Jahr 1805 mit einer politischen Sondermission an den kursächsischen Hof nach Dresden, wo er mit dem in österreichischem Dienst stehenden Diplomaten Friedrich von Gentz (1764-1832) zusammentraf, der ihn in seinem Widerstandswillen gegen Napoleon bestärkte.

Nach den verlorenen Schlachten von Jena und Auerstedt 1806 war die schlesische Provinz von Truppen nahezu entblöst, die Festungen nicht armiert und die Magazine nur unzureichend gefüllt. So gab König Friedrich Wilhelm III. den Befehl, die schlesischen Garnisonen und Festungen zu ertüchtigen und „bis zum letzten Mann“ gegen die anströmenden französischen Truppen zu verteidigen. Mit dem königlichen Auftrag vom 21. November 1806, „in vollem Vertrauen auf Eure rühmlichen Eigenschaften“ die Verteidigung Schlesiens gegen das feindliche Heer ins Werk zu setzen, trat die eigentliche geschichtliche Aufgabe an den Grafen Goetzen heran. Seit Ende März 1807 war er Generalgouverneur von Schlesien, im Mai zum Oberstleutnant befördert. Goetzen sammelte die versprengten preußischen Soldaten und rekrutierte neue Mannschaften, organisierte deren Kleidung, Nahrung, Bewaffnung, Unterkunft und Ausbildung. Dabei nahm Goetzen wenig Rücksicht auf überlieferte Vorschriften und Institutionen. Das betraf den Offizierseinsatz durch den Aufstieg kampfbewährter, führungsfähiger Männer, die Abschaffung drakonischer Strafen und die Beseitigung des lästigen Trossunwesens, nicht zuletzt aber auch die enge Zusammenarbeit zwischen Militär und Zivilverwaltung. Somit zählt Goetzen neben Neidhardt Graf von Gneisenau (1760-1831) zu den Heeresreformern der Jahre 1807 bis 1813, die mit ihrem praktischen Beispiel den Aufbau des künftigen neupreußischen Volksheeres förderten. Als seine Einheiten feldtauglich und einsatzbereit waren, führte er sie zu Angriffen auf feindliche Linien. So leistete er den Rheinbundtruppen, von denen die Bayern und Württemberger die Hauptlast des Kampfes des französischen Heeres in Schlesien trugen, hartnäckigen Widerstand. Dabei stützte er sich auf den starken Festungsgürtel Silberberg (Srebna Góra) – Glatz (Kłodzko) – Neisse (Nysa) – und Kosel (Kozle).

Zunächst versuchte Graf Goetzen vergeblich, sich gegen den in Kamenz (Kamieniec Ząbkowicki) lagernden französischen Oberbefehlshaber Jérôme, den Bruder Napoleons, militärisch durchzusetzen. Nach den Kapitulationen der Festungen Glogau (Głogów), Brieg (Brzeg) und Breslau (Wrocław) vor der militärischen Übermacht der Belagerer zog sich Goetzen mit seinen Einheiten in die unbesetzte Grafschaft Glatz zurück. Die Festung Glatz wurde bald von den französischen Truppen eingeschlossen und belagert, doch trotz der aussichtslosen Situation kapitulierte Götzen nicht. Am 25. Juni 1807 konnte er auf Schloss Hassitz (Jurandów) vor den Toren von Glatz einen Waffenstillstand erzielen, mit dem die Übergabe der Festungen Glatz und Silberberg in den Sudeten sowie Cosel in Oberschlesien verhindert werden konnte. Wenige Tage darauf erreichte die Kontrahenten die Nachricht vom Friedensschluss von Tilsit (Sowetsk/Russland). Somit erlangte Goetzen den Ruhm, Schlesien für Preußen gerettet zu haben, zumal er dort anschließend mit der Reorganisation des Heeres und der Verstärkung der Festungen betraut wurde. Eine bemerkenswerte literarische Erinnerung an diesen Kampf um die Festung Glatz schuf der Waldenburger Heimatschriftsteller und Archivar Heinrich Bartsch (1904-1987) in Form einer dramatischen Szenenfolge Graf Goetzen, der Verteidiger von Glatz; es ist ein „Zeitbild aus Glatzer Notjahren“ über Graf von Goetzen und seine Getreuen während der napoleonischen Besetzung.

Bereits 1806 kam Goetzen mit dem Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst (1755-1813) in der bekannten Berliner „Militärischen Gesellschaft“ in enge Berührung; im Dezember 1807 wurde er in die Militär-Reorganisations-Kommission in Königsberg berufen, wo er an die Stelle des Reformgegners Ludwig von Borstell (1773-1844) trat. Hier führte er auch Gespräche mit dem Reformer Karl Freiherr vom Stein (1757-1831). Als im Juli 1808 ein neuer Konflikt zwischen Napoleon und Österreich drohte, wurde Goetzen wieder nach Schlesien entsendet, zunächst als Adlatus des Generals Julius von Grawert (1746-1821), der im August 1807 als Kommandierender General und Gouverneur in Schlesien berufen worden war. Unermüdlich verstand es Goetzen, den schlesischen Truppen und der Bevölkerung ihr Selbstvertrauen zu stärken. Der König zeichnete ihn dafür durch die Ernennung zum Chef des neu errichteten 6. (2. Schlesischen) Husarenregiments aus. Schon im Herbst 1808 musste er seiner geschwächten Gesundheit Tribut zollen und sich suspendieren lassen. Im September 1810 wurde ihm der Rote-Adler-Orden II. Klasse verliehen und im August 1812 wurde er zum Generalmajor befördert. Zwar wurde er 1813 zum Militärgouverneur von Schlesien ernannt, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr am Feld­zug teilnehmen.

Nach dem Sieg über Napoleon 1813 blieb Goetzen noch kurze Zeit Generalgouverneur der Provinz Schlesien, bis er sich krankheitsbedingt in das Bad Kudowa (Kudowa Zdrój), damals noch ein Teil der Gemeinde Tscherbeney, zurückzog. 1814 erhielt er das Eiserne Kreuz für Nichtkombattanten. Im Jahre 1816, also bereits mit 49 Jahren, nahm er seinen Abschied als Generalleutnant (mit einer jährlichen Rente von 1.200 Talern). Eine umfassende Würdigung der militärischen Laufbahn des Grafen von Goetzen schuf 1902 der Militärschriftsteller Hugo von Wiese und Kaiserswaldau (1844-1903) in seinem Werk Graf von Goetzen. Schlesiens Held in der Franzosenzeit 1806-1807.

1819 erwarb Friedrich Wilhelm mit seinem Bruder, dem Landschaftsdirektor Adolf Sigismund Graf von Goetzen († 1847) die Herrschaft Tscherbeney (1937 Grenzeck; tschechisch Čermna; polnisch Czermna); sie umfasste damals rund 1.800 Hektar Fläche und rund eintausend Einwohner. Die Brüder Goetzen legten den größten Teil der Garten- und Parkanlagen sowie die Promenaden an; in dieser Zeit entstanden auch das Annenbad und die Pavillons.

Dort verstarb Friedrich Wilhelm Graf von Goetzen 1820 nach schwerer Erkrankung; er wurde auf dem Friedhof neben der evangelischen Kapelle auf dem Schlossberg in Kudowa beigesetzt. Die gesamte Friedhofsanlage wurde von den Polen nach 1946 zerstört und in den 1970er Jahren eingeebnet. Teile des Götzen-Grabmals, die als verschollen galten, wurden vor einigen Jahren auf dem Grundstück des Pfarrhofes in Tscherbeney wieder aufgefunden. Das Goetzen-Schloss überdauerte das Kriegsende 1945 unversehrt, zuletzt als „Gästeheim für gehobene Ansprüche“ (mit 44 Zimmern) genutzt; heute befindet sich im Schloss ein kardiologisches Hospital, es führt den Namen „Zameczek“ (Schlösschen) – aber im Inneren erinnert nichts mehr an den ehemaligen berühmten Schlossherren Goetzen. In Kudowa führte die „Götzenstraße“ am Kurhotel und dem Schloss vorbei nach Tscherbeney.

In Schlesien gab es noch andere Erinnerungsorte an den Grafen Goetzen. So gab es in Breslau eine „Götzenstraße“ zwischen der Hohenzollernstraße und dem Luisenplatz; nur die südliche Seite war bebaut, die nördliche Seite bildete der hohe Bahndamm der Eisenbahnlinien nach Berlin – Stettin und Hirschberg – Freiburg.

Anlässlich des 100. Jubiläums der Stiftung des 2. Schlesischen Husaren-Regiments Nr. 6 am 21. November 1806, dem 1899 von Kaiser Wilhelm II. benannten Husaren-Regiment „Graf Goetzen“, wurde am 14. November 1908 in Leobschütz (Głubczyce) ein Denkmal des Grafen nach dem Entwurf des Berliner Bildhauers Eugen Börmel (1858-1932) errichtet. Das Standbild zeigte den Generalleutnant in zeitgenössischer Husarenuniform mit Reiterstandarte; es wurde nach 1945 von den Polen beseitigt und verschrottet.

Die Stadt Glatz (Kłodzko) errichtete 1901 in der Minoriten-Parkanlage zwischen der Neiße und dem Mühlgraben einen Obelisken zu Ehren des Generalgouverneurs Graf von Goetzen. Das Denkmal wurde nach 1946 von den Polen nicht zerstört, sondern nur alle Erinnerung an Götzen entfernt und mit Hilfe einer Umhüllung aus Eisenschienen zu einem Denkmal für die Rote Armee umgestaltet; 1996 wurde das Denkmal auf zwanzig Jahre als Werbeträger an die Versicherungsgesellschaft PZU S.A. verpachtet, die zu ihrem Zweck das Denkmal pragmatisch mit durchsichtigen Reklameglasflächen umkleidete, worüber Janusz Dobesz 2005 berichtet hat. Eine verspätete Ehrung in deutscher Zeit wurde Graf Goetzen noch 1938 zuteil, als die Oberrealschule in Glatz in „Graf-Götzen-Schule“ umbenannt wurde.

Die militärpolitischen Leistungen des Gouverneurs Friedrich Wilhelm Graf von Goetzen wurden in der militärhistorischen und heimatkundlichen Literatur ausführlich tradiert, zuletzt in dem Kompendium Soldatische Tradition in Schlesien 1241-1945, 1997 herausgegeben von Arthur Jüttner und Eckehart Münnich sowie in der Geschichte der Festung Glatz 1994 von Eduard Köhl.

Nach 1946 löschten die neuen polnischen Bewohner alle Erinnerungen an den Grafen von Goetzen; seine Verdienste als Gouverneur von Schlesien während der napoleonischen Kriegswirren passten nicht in ihr polnisches nationales Geschichtsnarrativ. Erst neuerdings erinnert man sich wieder in Bad Kudowa (Kudowa Zdrój) seiner berühmten ehemaligen Kurgäste, darunter auch an Friedrich Wilhelm von Goetzen.

Lit.: Norbert Bartonitschek, Das Graf-Götzen-Schloß in Bad Kudowa, in: Jahrbuch Ostdeutsche Heimat „Grofschoaftersch Häämtebärnla“ 57 (2005), S. 77-80. – Norbert Bartonitschek, Grenzeck/ Tscherbeney, Kreis Glatz/Schlesien. Von A bis Z (Grenzecker Hefte Nr. 2), Stolberg 2008. – Heinrich Bartsch, Graf Goetzen, der Verteidiger von Glatz. Ein Dokument deutscher Treue in Jahren deutscher Not (1806-1807), Grafschaft Glatzer Buchring 11. Band, Leimen-Heidelberg 1956. – Janusz Dobesz, Der Umgang mit den Bauten aus der NS-Zeit in Polen, in: Dieter Bingen/ Hans-Martin Hinz (Hrsg.), Die Schleifung: Zerstörung und Wiederaufbau historischer Bauten in Deutschland und Polen (Veröffentlichung des Deutschen Polen-Instituts), Wiesbaden 2005, S. 188-196, hier: Goetzen-Denkmal in Glatz, S. 196 (Digitalisat). – Arne Franke/ Katrin Schulze, Schlösser und Herrenhäuser in der Grafschaft Glatz. Ein Architektur- und Reiseführer, Würzburg 2009, darin: Bad Kudowa/Graf von Götzen, S. 28-32. – Arthur Jüttner/ Eckehart Münnich (Hrsg.), Soldatische Tradition in Schlesien 1241-1945, Berg am Starnberger See-Potsdam 1997. – Heinz Kraft, Götzen, Friedrich Wilhelm Graf von, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 6, Berlin 1964, S. 594 (Digitalisat). – Gerhard Scheuermann, Götzenstraße, in: Das Breslau-Lexikon, Band 1, Dülmen 1994, S. 421-422. – Karl Schindler, Zwischen Glatz und Bayreuth: Eine Untergrundbewegung anno 1807. Friedrich Wilhelm Graf von Goetzen und sein politischer Agent Johannes Bein, in: Jahrbuch Ostdeutsche Heimat „Grofschoaftersch Häämtebärnla“ 39 (1987), S. 47-56. – Hugo von Wiese und Kaiserswaldau, Friedrich Wilhelm Graf v. Goetzen. Schlesiens Held in der Franzosenzeit 1806 bis 1807. Nach seinen eigenen Aufzeichnungen und handschriftlichen Quellen dargestellt, Berlin 1902.

Weblink: Wikipedia/ Friedrich Wilhelm von Götzen der Jüngere (18.6.2021). – Wikipedia/ Preussische Heeresreform (18.6.1821).

Bild: Aus Deutschlands Heerführer (Deutsche militärische Führer), dargestellt von Sprößer, Leipzig 1895.

Manfred Spata