Biographie

Goltz-Pascha, Colmar Freiherr von der

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: preußischer Generalfeldmarschall, kaiserlicher osmanischer Marschall
* 12. August 1843 in Bielkenfeld, Kr. Labiau/Ostpr.
† 19. April 1916 in Bagdad

Im Frühjahr 1900 schreibt der damalige Chef des Pionierkorps und Generalinspekteur der Festungen, General der Infanterie Freiherr von der Goltz, in einem Brief an einen befreundeten türkischen Offizier: „Ich habe eben eine sehr interessante Reise beendet. Sie führte mich durch Masuren, den südöstlichsten Winkel von Ostpreußen, ein Land der Berge, Walder und Seen. Ich machte die Reise nach guter alter Art zu Pferde … in Masuren ist das Land nur spärlich bevölkert, stundenlang reitet man, ohne einen Menschen zu sehen. Die Wälder sind wundervoll und die Gegend voll landschaftlicher Schönheit. Sehr eigentümlich ist das spiegelklare Wasser zumal in den Flüssen, die wirklichen Gebirgsbächen gleichen. Oft ritten wir im Flußbett selbst entlang unter dem Laubdach hoher Bäume. Groß ist auch der Wild- und Fischreichtum, denn Fabriken haben das Land noch nicht mit Lärm, Dampf und ungesunden Stoffen verpestet … Später folgte noch ein Ritt von Pillau aus längs der Frischen Nehrung … In einer großartigen Einsamkeit reitet man zwischen zwei Dünenreihen hin – vielfach freilich im Walde, aber auch zwischen hohen Sandbergen, dievom Winde hin und her geschoben werden …“ Fast wie eine Liebeserklärung an seine ostpreußische Heimat klingt diese tiefempfundene Landschaftsschilderung.

Das Land im Osten, mit dem Colmar von der Goltz zeitlebens verbunden blieb, hat sicherlich die Persönlichkeit dieses genialen Soldaten, vielseitigen Schriftstellers, diplomatischen Wegbereiters internationaler Initiativen und kämpferischen militärpolitischen Reformators entscheidend geprägt.

In kärglichen ländlichen Verhältnissen als Sohn eines verarmten, früh verstorbenen Gutsbesitzers aufgewachsen, begann er – nach einer kurzen Ausbildungsphase an der Königsberger Burgschule – 1855 seine militärische Laufbahn mit dem Eintritt in die Kadettenanstalt Kulm. Nach anschließendem Besuch der Hauptkadettenanstalt Berlin wurde er 1861, erst 17 1/2 Jahre alt, Leutnant im 5. ostpreußischen Infanterie-Regiment Nr. 41 in Königsberg. 1863/64 während der Insurgentenunruhen in Kongreßpolen im Raum Thorn zum Grenzschutz eingesetzt, erfolgte im Herbst 1864 seine Kommandierung zur Kriegsakademie. Er schloß diese Ausbildung 1867 als Jahrgangsbester ab. Zwischenzeitlich war er im Feldzug des Jahres 1866 gegen Österreich schwer verwundet worden. Er heiratete 1867 Therese, die Tochter des Landschaftsrates Dorguth aus Orschen in Ostpreußen und wurde 1868 zur Dienstleistung beim Großen Generalstab versetzt. Am Deutsch-französischen Krieg 1870/71 nahm er als Generalstabsoffizier beim Oberkommando der 2. Armee des Prinzen Friedrich Karl an den Schlachten bei Vionville, Gravelotte, Orleans und Le Mans teil, wurde mit dem damals sehr selten verliehenen Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet und schloß eine lebenslange Freundschaft mit dem späteren, von ihm immer als militärisches und menschliches Vorbild verehrten Generalfeldmarschall Graf von Haeseler.

Am 3.10.1871 zum Hauptmann à la suite des Generalstabes und als Lehrer zur Kriegsschule Potsdam versetzt, leitete er ab 1872 als Vermessungdirigent in der topographischen Abteilung unter anderem die Landesaufnahme Ostpreußens im Großraum Danzig. Besonders prägnant waren auch seine Tätigkeiten bei der historischen Abteilung des Großen Generalstabes und als Kriegsgeschichtslehrer an der Kriegsakademie, insbesondere für seine – großes Aufsehen erregenden – militärgeschichtlichen Arbeiten und strategischen Konzeptionen.

Einen entscheidenden neuen Lebensabschnitt leitete 1883 seine Versetzung zur deutschen Militärmission der Türkei ein. Noch im gleichen Jahr trat er in kaiserlich osmanische Dienste und wurde bis zum Jahre 1893 zum seither geradezu legendär verehrten Reorganisator der türkischen Armee. Seine Verdienste fanden ihre Anerkennung durch die Ernennung zum kaiserlich osmanischen Marschall und die Verleihung des Titels „Pascha“.

In preußische Dienste zurückgekehrt, übernahm Colmar von der Goltz 1896 – als Generalleutnant – das Kommando der 5. Division in Frankfurt/Oder. Durch die Berufung zum Chef des Ingenieurskorps und Generalinspekteur der Festungen gelang es ihm, im Rahmen eines modernen Ausbaues des Grenzbefestigungssystems vor allem auch die strategisch wichtige ostpreußische Grenzsperre zu schaffen, die 1914/15 die mitentscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Abwehr der russischen Offensiven in den Schlachten bei Tannenberg und an den Masurischen Seen bildete.

In diesem Sinne war er auch nach seiner 1902 erfolgten Ernennung zum Kommandierenden General des I. Armeekorps und von 1907-1913 als Generalinspekteur der 6. Armeeinspektion in Königsberg wirksam. Gemäß seiner Mobilmachungsbestimmung zum Oberbefehlshaber des deutschen Ostheeres, entwickelte er die operativen Pläne zur Verteidigung seiner Heimatprovinz – nach dem Grundgedanken, diese „nicht erst dem Feinde zu überlassen, um sie später, wenn sie zur Wüste geworden war, wieder zu erobern“. Neben diesen vielseitigen Tätigkeiten wirkte von der Goltz während mehrerer Reisen in die Türkei zwischen 1908 und 1910 auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers als militärischer Berater an der Reorganisation des türkischen Heeres mit. Am 1.1.1911 zum Generalfeldmarschall befördert, erhielt er am 4.7.1913 den erbetenen Abschied, nachdem er noch am 16.6.1913 die sehr ehrenvolle Ernennung zum Chef des Infanterie-Regiments von Boyen (5. ostpreußisches) Nr. 41 erhalten hatte.

Schon 1911 hatte Colmar von der Goltz zur Gründung des „Jungdeutschlandbundes“ aufgerufen und ihn – nach seinem Ausscheiden aus seiner militärischen Verwendung – entscheidend gefördert. Dieser Zusammenschluss der Verbände der bündischen Jugend zur „staatsbürgerlichen Erziehung wuchs bis 1914 auf 750 000 Mitglieder an.

1914 meldete er sich sofort freiwillig zum Kriegseinsatz und übernahm die Stellung des Generalgouverneurs im besetzten Belgien. Wie aus seinen Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht, war er bestrebt jede Härte zu vermeiden, vor allem für die Zivilbevölkerung, um deren gerechte Lebensmittelzufuhr er besorgt war, und somit Ruhe und Ordnung in diesem Besatzungsgebiet zu gewährleisten.

Aufgrund einer Intervention des bei der Hohen Pforte akkreditierten dien Botschafters wurde der mit den türkischen Verhältnissen vertraute Feldmarschall bald darauf zur Koordinierung aller in diesem Kriegsgebiet eingesetzten deutschen Streitkräfte nach Konstantinopel entsandt. Der Sultan ernannte ihn zum Berater des türkischen Kriegsministers Enver Pascha und übertrug ihm die Führung der 1. osmaischen Armee mit dem Auftrag, die Küste des Schwarzen Meeres und vor allem den Bosporus gegen englisch-französische Landungs- und Durchbruchsversuche zu verteidigen. Unter seinem Oberbefehl führte die 6. (Irak) Armee im Herbst 1915 die Operationen in Mesopotamien und Persien gegen ein britisches Expeditionskorps durch. Diese Kämpfe endeten mit der Einschließung des Feindes bei Kut el Amara und der Kapitulation der Engländer am 28.4.1916. Feldmarschall von der Goltz war es indessen nicht vergönnt, Zeuge dieses durch seinen persönlichen Einsatz vorbereiteten Sieges zu werden. Er starb wenige Tage zuvor – nach der Rückfahrt aus dem Frontgebiet – an Flecktyphus.

Leben und Werk des Freiherrn von der Goltz wurden durch zahlreiche Auszeichnungen gewürdigt. Erwar Inhaber des Preußischen-Adler-Ordens und höchster in- und ausländischer Ehrenzeichen. 1911 wurde ihm der Orden pour le mérite für Kunst und Wissenschaft verliehen. Schon 1903 hatte er die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albertus-Universität Königsberg erhalten.

Sein Wirken beschränkte sich nicht nur auf seine soldatische Laufnahn sowie zahlreiche militärgeschichtliche und wehrpolitische Veröffentlichungen, auch als schöngeistiger Schriftsteller trat er hervor. Er schrieb und veröffentlichte Romane und Erzählungen sowie zahlreiche belletristische Aufzeichnungen mit teilweise auch humoristischen Inhalten. Das Schlußwort der Herausgeber seiner 1929 erschienenen Denkwürdigkeiten charakterisiert das rastlose Leben und Wirken Colmar von der Goltz-Paschas mit den Worten: „Vor Deutschen und Türken steht die Gestalt dieses ostpreußischen Edelmanns als ein hehres Beispiel selbstloser vaterländischer Pflichterfüllung bis zum Tode.“

Werke: Die Operationen der zweiten Armee bis zur Kapitulation von Metz. Berlin 1874.– Die sieben Tage von Le Mans. Berlin 1874. – Die Operationen der zweiten Armee an der Loire. Berlin 1875. – Leon Gambetta und seine Armee. Berlin 1875 (1877 ins Französische übersetzt). – Das Volk in Waffen. Berlin 1883. – Roßbach und Jena. Berlin 1883. – Ein Ausflug nach Makedonien. Berlin 1894. – Kriegführung – Kurz Lehre ihrer wichtigsten Grundsätze und Formen. Berlin 1895 (Zweite Auflage unter Titel Krieg und Heerführung Berlin 1901). – Anatolische Ausflüge. Berlin 1896. – Der thessalische Krieg und die türkische Armee. Berlin 1898. –Von Jena bis Preußisch-Eylau – Des alten preußischen Heeres Schmach und Ehrenrettung. Berlin 1907. – Kriegsgeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert (2 Bde.) Berlin 1910-14. – Denkwürdigkeiten, (hg. posthum) Berlin 1929. – Außerdem zahlreiche belletristische Veröffentlichungen, darunter (Auswahl): Wie ich Schriftsteller wurde und was ich dann schrieb. Berlin 1898. – Pius der Unfehlbare und seine schwarzen Streiter – oder Die Geheimnisse des Konzils. (3 Bde.) Berlin 1871. – Weiterhin Reisebeschreibungen, Jagdskizzen, Erzählungen, teilweise unter dem Pseudonym „W. von Dünheim“.

Lit.: Hans von Kiesling: Mit Feldmarschall von der Goltz-Pascha in Mesopotamien und Persien. Leipzig 1922. – Bernard von Schmiterlöw: Generalfeldmarschall von der Goltz-Pascha, Leben und Briefe. Berlin 1925. – Hermann Teska: Colmar Freiherr von der Goltz– Ein Kämpfer für den militärischen Fortschritt. Göttingen 1957. – Pertev Demirhan: Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz – Das Lebensbild eines großen Soldaten. Göttingen 1960. – Gerhard Schultze-Pfaelzer: Colmar von der Goltz. Berlin 1938. (In Preußisch-deutsche Feldmarschälle und Großadmirale, S. 223 ff).

Bild: Heliogravüre nach einem Foto, um 1915. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin.