Biographie

Gontard, Carl von

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Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Architekt
* 13. Januar 1737 in Mannheim
† 23. September 1791 in Breslau

Wer jene Straßen des alten Potsdam durchwandert, die den schweren englischen Bombenangriff vom 14. April 1945 wenigstens halbwegs unversehrt überstanden haben, trifft noch auf eine ansehnliche Reihe von Wohnhäusern aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nicht wenige von ihnen (etwa in der Friedrich-Ebert-, früher Nauener Straße, oder der Wilhelm-Staab-, früher Hoditzstraße oder in der Otto-Nuschke-, früher Lindenstraße) sind Schöpfungen Carl von Gontards und seines Schülers Georg Christian Unger. Es sind dies Bauten, deren Klassizismus infolge bewußter und geschmackvoller Verwendung barocken Schmuckwerks jeder Strenge und Trockenheit entbehrt. Nicht zuletzt ihnen verdankt Potsdam jenen Charme, den die Soldatenstadt in der Spätzeit Friedrich des Großen ausbildete.

Der aus einer Hugenottenfamilie stammende Carl Gontard war zunächst (möglicherweise entsprechend der Profession des Vaters) Ballettmeister am Markgräflichen Opernhaus zu Bayreuth gewesen, 1749 aber als Kondukteur in das Bayreuther Hofbauamt eingetreten, wo Joseph Saint-Pierre und Rudolf Heinrich Richter seine Vorgesetzten und Lehrer wurden. Markgraf Friedrich von Bayreuth und seine Gattin, Markgräfin Wilhelmine, die Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, taten einiges für seine weitere Ausbildung, indem sie ihn 1750 nach Paris schickten, wo er vom französischen Klassizismus insbesondere J. F. Blondels beeinflußt wurde, sowie 1754/55 auf eine Reise nach Südfrankreich und Italien mitnahmen, wo er seine Klassizismus-Studien vertiefen konnte. Nach dem Tode Saint-Pierres neben Richter an die Spitze des Hofbauamtes berufen und 1761 zum Lehrer für Baukunst und Perspektive an der Bayreuther Kunstakademie bestellt, wechselte Gontard nach dem Tode des Markgrafen Friedrich und dem Regierungsantritt von dessen wunderlichem Oheim Friedrich Christian, der fast sämtliche Bauvorhaben einstellen ließ, 1764 in die Dienste Friedrichs des Großen über.

Diese ehrenhafte Berufung setzte ein bereits erprobtes Talent voraus, das sich in Erweiterungen des Neuen Schlosses zu Bayreuth (1757/64) sowie Bürgerhäusern und Adelspalais‘ daselbst wie auch in Erlangen, seit 1743 markgräfliche Universitätsstadt, kundtut. Schon bald wurde Gontard Leiter des Potsdamer Baukontors und damit Leiter der sämtlichen dort unternommenen königlichen Bauten. Mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges im Jahre 1763 war in Preußen, insbesondere in den Residenzen Berlin und Potsdam, die Bautätigkeit wieder aufgelebt. Zum Rückgrat des Wohnbaus wurden die sogenannten Immediatbauten, mit denen der König der noch bescheidenen bürgerlichen Initiative und Finanzkraft beisprang. Die drei- bis viergeschossigen Gebäude sollten mit dazu beitragen, die Residenzen zu „embellieren“, vor allem aber der bestehenden Wohnungsnot abhelfen. Die Immediatbauten entstanden zumeist auf Kosten des Staates und anstelle von kleineren Bürgerhäusern, deren Eigentümern die Neubauten gegen entsprechende Verpflichtungen überlassen wurden. Gontard hat zwischen 1765 und 1777 in Potsdam rund 80 Gebäude dieser Art geschaffen. Daneben traten öffentliche Bauten und solche des Hofes, bei denen zunächst das seit 1763 in Bau befindliche Neue Palais im Park von Sanssouci an erster Stelle stand; Gontard, der hierfür 1765 die künstlerische Oberleitung übernahm, verdankt dieser repräsentative Palastbau seine endgültige äußere Form und große Teile seiner inneren Ausgestaltung sowie die an seiner Rückseite gelegenen kulissenhaften Communs. Zwischen 1771 und 1778 baute Gontard das (im Zweiten Weltkrieg erheblich beschädigte) Potsdamer Militär Waisenhaus, dessen Treppentrakt, „seine Läufe [werden] in einer Raumspirale um einen Kern turmartig übereinander angeordneter und durch oberlichtartige Öffnungen miteinander korrespondierender Kuppelräume herumgeführt, eine [seiner]… originellsten Leistungen“ ist (Dehio-Handbuch).

Als König Friedrich nach der Mitte der siebziger Jahre den Schwerpunkt seines Bauens nach Berlin verlegte, wurde Gontard von ihm (1779) an die Spree versetzt, um auch dort die Leitung sämtlicher königlicher Bauten zu übernehmen. Hier schuf er zur Ausschmückung der Stadt repräsentative Brückenaufbauten – 1776 die Spittelkolonnaden (teilweise in der Leipziger Straße wieder aufgebaut) und 1777 die Königskolonnaden (heute im Kleistpark, Potsdamer Straße) – sowie seit 1780 die Kuppeltürme des Französischen und des Deutschen Domes am Gendarmenmarkt. Diese ergaben zusammen mit der überwiegend ebenfalls von Gontard stammenden umliegenden Bürgerhausbebauung (von der schon die Bauwut des ausgehenden 19. Jahrhunderts kaum etwas übrig ließ) und dem späteren Schinkel’schen Schauspielhaus eines der großartigsten deutschen Städtebilder.

Nachdem Gontard zum Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen bei diesem in Ungnade gefallen war, fand sein Wirken unter König Friedrich Wilhelm II. einen würdigen Abschluß. Zunächst entledigte sich der Aufgabe, neun Räume des Berliner Schlosses (nach schwerer Beschädigung 1945 auf Anordnung des SED-Regimes 1950 geengt) auszugestalten, mit größter Bravour. Sodann (1787-1791) baute er für den König im Neuen Garten bei Potsdam das Marmorpalais, das aus schlesischem Marmor und roten Ziegelsteinen gefügte Werk eines reifen Klassizismus.

Carl von Gontard, der seit 1786 Mitglied und Lehrer der Preußischen Akademie der Künste war und neben Unger auch Heinrich Gentz zu seinen Schülern zählte, hat den spätbarocken Klassizismus in Berlin und Potsdam zu einem spezifisch preußischen Stil geprägt. Vom doktrinären Klassizismus seiner Zeit wußte er sich vollkommen freizuhalten. „Der breite malerische Effekt unterscheidet die Gontardbauten … von der Klassik der Franzosen; die reichgeschmückten Attiken, die Vorliebe für altanartige Aufsätze mit Trophäen und Gruppen von Putten und allegorischen Figuren – Königs- und Spittelkolonnaden, Gensdarmentürme –, die starke Plastik der Pilaster und Gebälkgliederung, die häufige Anwendung von eingetieften stark modellierten Stuckreliefs, besonders bei den Potsdamer Bürgerhäusern, bekunden das Vorwalten des barocken Gefühls, fast noch stärker als bei  den maßvoll komponierten Bauten Knobelsdorffs"  (H. Schmitz).

Lit.: Horst Drescher: Carl von Gontard, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 6 (1964), S. 643f. – Ders., Zum Spätstil der friderizianischen Architektur. Die Tätigkeit Carl von Gontards für König Friedrich II. am Neuen Palais in Potsdam, Halle a.S. phil. Diss. 1969. – Hermann Schmilz: Berliner Baumeister vom Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts (Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Beiheft 2), Berlin 2. Auflage 1925, unveränderter Nachdruck, Berlin 1980. – Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bezirke Berlin/DDR und Potsdam. München, Berlin 1983. – Eva und Helmut Börsch-Supan [u.a.]:  Berlin. Kunstdenkmäler und Museen (Reclams Kunstführer. Deutschland, Bd. VII). Stuttgart 1977. – Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR, Bände Hauptstadt Berlin I und Bezirk Potsdam. (Ost-) Berlin 1984 und 1978.