Biographie

Gottsched, Johann Christoph

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Prof. f. Philosophie
* 2. Februar 1700 in Juditten/Königsberg i.Pr.
† 12. Dezember 1766 in Leipzig

Das hohe Ansehen Gottscheds währte nicht lang. Es gründete sich vor allem auf seine Critische Dichtkunst vor die Deutschen, die 1730 erstmals und 1751 bereits in 4. Auflage erschien. Ein konkurrenzloser Erfolg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts! Mit der Gegnerschaft Lessings kam es jedoch endgültig zum Meinungsumschwung: Gottsched wurde zum meistbefehdetsten Vertreter unter den Dichtungstheoretikern der Aufklärung. Und bis heute widerfährt ihm selten Gerechtigkeit. Dabei könnte schon die Kenntnisnahme des vollständigen Titels seines Hauptwerkes die gröbsten Mißverständnisse unterbinden. Er lautet in der Erstausgabe:Versuch / einer / Critischen Dichtkunst / vor die Deutschen; / Darinnen erstlich die allgemeinen Regeln der Poesie, / hernach alle besondere Gattungen der Gedichte, / abgehandelt und mit Exempeln erläutert werden: / Uberall aber gezeigt wird / Daß das innere Wesen der Poesie / in einer Nachahmung der Natur bestehe. Anstatt einer Einleitung ist Horatii Dichtkunst / in deutsche Verse übersetzt, und mit / Anmerckungen erläutert.

Die Gottsched gemeinhin vorgehaltene Regelwut ist demnach kein Selbstzweck, sondern Konsequenz aus der Wesensbestimmung von Poesie als „Nachahmung der Natur“. Im Leibniz-Wolffschen Weltbild ist die Natur ganz und gar vernünftig eingerichtet. Eine sie nachahmende Dichtung bedarf selbstredend eines analogen Ordnungssystems. Was uns heute als pedantische Gängelei erscheinen mag, ist für den Gefolgsmann des Aufklärungsphilosophen Christian Wolff unerläßliche Notwendigkeit, um die Vollkommenheit einer vernünftigen (gleich natürlichen) Poesie zu gewährleisten. Gottscheds Theorie der Dichtkunst basiert auf dem Wolffschen Rationalismus und dem (anläßlich der Konversion Augusts des Starken zum Katholizismus unmißverständlich hervortretenden) eigenen Protestantismus. Sachkundig ist der Pfarrerssohn nicht nur in der Theologie, sondern als Wolffianer auch in der rationalistischen Philosophie. Verwiesen sei nur auf das zweibändige Lehrbuch des Leibniz-Wolffschen Systems, das er zur Erlangung der ordentlichen Professur in Leipzig verfaßte (Erste Gründe Der gesammelten Weltweisheit…, 1733/34. Acht Auflagen bis 1778!).

Gottscheds erster Lehrer war sein eigener Vater, der ihm im heimatlichen Juditten bei Königsberg Privatunterricht erteilte. Von 1714 an studierte er an der Königsberger Universität nach dem Wunsch des Vaters Theologie, wechselte aber zur Philosophie, Rhetorik und Poesie und überdies zur klassischen Philologie sowie zur Mathematik und zur Physik. Diese im Sinn der Frühaufklärung beispielhafte Ausbildung vervollständigte Gottsched durch breit ausgelegte eigene Lektüre in allen für das erste Drittel des 18. Jahrhunderts relevanten Disziplinen. Sein geradezu leidenschaftliches Engagement aber galt der Philosophie Christian Wolffs, der auch, wie gezeigt, seine Poetik verpflichtet ist. Und die Eigenbekundung, daß er im Leibniz-Wolffschen Gedankengebäude seinen Seelenfrieden gefunden habe, ist durchaus glaubhaft.

Nach seiner Magisterprüfung (1723) floh Gottsched mit seinem Bruder Johann Friedrich Anfang 1724 ins sächsische Leipzig, um sich der Zwangseinziehung zu den Langen Kerls durch preußische Werber zu entziehen (Gottsched war also eine stattliche Erscheinung !). In Leipzig erklomm er rasch die akademische Karriereleiter bis zur obersten Spitze. Seit dem Sommer 1725 las er über die Philosophie Wolffs. 1730 wurde er a.o. Professor für Poesie, 1734 o. Professor für Logik und Metaphysik. Mehrmals war er Dekan der Philosophischen Fakultät, fünfmal bekleidete er das Rektorenamt. Seine Position nutzte Gottsched zu intensiver Lehr- und Publikationstätigkeit sowie zur Herstellung einer kritischen bürgerlichen Öffentlichkeit.

In den nach englischem Vorbild (Addison und Steele) etablierten moralischen WochenschriftenDie Vernünfftigen Tadlerinnen (1725/26) und Der Biedermann (1728/29) ließ er Fragen der Lebensgestaltung, der Erziehung und nicht zum wenigsten des Geschmacks nach Maßgabe der Vernunft erörtern. Pädagogische Ziele verfolgten auch seine rhetorischen Schriften, vor allem die Ausführliche Redekunst,Nach Anleitung der alten Griechen und Römer (1736; 1759 in 5. Aufl.). Nach mehreren Vorstufen erschien 1748 die Summe seiner Ansichten zur deutschen Sprache: Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst, Nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und jetzigen Jahrhunderts abgefasset (1762 in 5. Aufl.).

Zur berüchtigten Literaturfehde zwischen Leipzig und Zürich aber führte Gottscheds Hauptwerk der Critischen Dichtkunst in den verschiedenen Auflagen. Zur Kontroverse zwischen Gottsched und den Schweizern Bodmer und Breitinger kam es vor allem hinsichtlich der Kategorien des Wunderbaren und des Wahrscheinlichen. Konnte man dies noch als einen akademischen Streitfall abtun, so zog Gottscheds Theaterreform weite Kreise in die bürgerliche Öffentlichkeit hinein. Bereits 1729 hatte der Leipziger Literaturpapst in seiner Rede Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht zu verbannen die unverzichtbare Bedeutung des Theaters für die öffentliche Bildung und Moral herausgestellt. Um diese Funktion sicherzustellen, kämpfte er energisch für die Verbesserung des gesamten Theaterwesens, von den Bühnenverhältnissen bis zu seriösen Dramentexten. Die zeitüblichen Schauspieltruppen sollten nicht mehr Gaukelspiele aus dem Stegreif, sondern gedruckte Dramentexte aufführen. Phasenweise schloß sich die Prinzipalin Caroline Neuber mit ihrer Schauspieltruppe Gottscheds Programm an. 1737 inszenierte sie die sprichwörtlich gewordene „Vertreibung des Harlekins“. Gottsched, der nichts halb anpackte, suchte seine Theaterreform durch eine sechsbändige Musteranthologie von Originaldramen und Übersetzungen klassizistischer Bühnenwerke zu festigen:Die deutsche Schaubühne (1741-45). Nicht zuletzt legte er selbst bereits 1732 ein viel besprochenes Drama: Sterbender Cato vor.

Am augenfälligsten läßt sich Gottscheds weitausgreifende Reformtätigkeit an der Deutschen Gesellschaft ablesen, einer Bürgerakademie für Sprachpflege und umfassende Kunstdebatten, in die er 1724 eintrat und deren Senior er später wurde. Doch alle Aktivitäten konnten die zunehmende Kritik an der Literaturautorität des frühen 18. Jahrhunderts schlechthin nicht abschwächen. Als der junge Goethe ein Jahr vor Gottscheds Tod zum Studium nach Leipzig kam, zeigte er nicht den geringsten Respekt vor dem berühmten Professor.

Lit.: Ausgewählte Werke. 12 Bde. Hg. von J. Birke und Ph. M. Mitchell. Berlin/New York 1968 ff. – W. Rieck: Johann Christoph Gottsched. Eine kritische Würdigung seines Werkes. [Ost-] Berlin 1972.

Bild: Schabkunstblatt von J.J. Haid für Brückers ‚Bilder = sal‘.

 Walter Dimter