Biographie

Gottsched, Luise Adelgunde Viktoria

Herkunft: Danzig
Beruf: Schriftstellerin und Übersetzerin
* 11. April 1713 in Danzig
† 26. Juni 1762 in Leipzig

Die Gottschedin, wie sie nach ihrer Heirat allgemein genannt wurde, war eine der bedeutendsten Frauen ihrer Zeit. Pompecki nennt sie das „erste größere dichterische Talent, dem wir in diesem Jahrhundert in Danzig begegnen“. Maria Theresia soll sie als „gelehrteste Frau Deutschlands“ bezeichnet haben. Ihr Anteil an den Leistungen ihres berühmten Mannes Johann Christoph Gottsched (1700-1766) ist offenbar sehr groß, aber bis heute von den Literaturwissenschaftlern nicht endgültig ergründet und scheint auch kaum zu ermessen zu sein.

Die Gottschedin wurde als Luise Adelgunde Viktoria (auch Victorie) Kulmus am 11. April 1713 in Danzig geboren. Ihr Vater war Johann Georg Kulmus (1680-1731), ein angesehener Arzt in Danzig, ihr Onkel, Johann Adam Kulmus, ein weit über Deutschland hinaus bekannter Mediziner, dessen anatomische Werke in zahlreiche fremde Sprachen übersetzt wurden und der ebenfalls in Danzig wirkte, und ihr vier Jahre älterer Bruder, Johann Ernst Kulmus, war gleichfalls Arzt und Stadtphysikus in Danzig. Es kann also kaum verwundern, dass Luise Adelgunde eine für damalige Verhältnisse sehr gute allgemeine Bildung durch Hauslehrer vermittelt wurde, sie beherrschte die französische und die englische Sprache sehr gut, was in der alten Kaufmanns- und Hansestadt Danzig durchaus von Nutzen war und ihrer späteren literarischen Tätigkeit überaus dienlich sein sollte.

Verwundern kann allerdings, dass in Danzig zu dieser Zeit neben Luise Adelgunde Kulmus mehrere literarisch und künstlerisch sehr talentierte junge Frauen lebten und wirkten, die sich gegenseitig kannten und möglicherweise auch förderten: Anna Renata Breyne (17. April 1713 in Danzig bis 6. Februar 1759 in Danzig) war die Tochter des sehr bekannten Botanikers und Arztes Johann Philipp Breyne (1680-1764) und ihre Schwestern Constantia Philippina (geb. 1708), Johanna Henrietta (1714-1797) und Florentina Charlotta (1719-1756) sowie Dorothea Juliana Gralath (1718-1788), Tochter des weit über Danzig hinaus bekannten Naturforschers Jacob Theodor Klein. Alle sind teils durch schriftstellerische Arbeiten, teils auf musikalischem Gebiet bekannt geworden, vor allem aber übernahmen sie die bildliche Ausstattung der botanischen und zoologischen wissenschaftlichen Werke ihrer Väter.

Luise Adelgunde Kulmus schien schon in jungen Jahren dichterisch begabt zu sein und sandte – wie es damals und wohl auch heute noch üblich war und ist – einige ihrer Gedichte an einen verehrten und bekannten Dichter und Philosophen, nämlich an Gottsched in Leipzig. Johann Christoph Gottsched wurde am 2. Februar 1700 als Pfarrerssohn in Juditten bei Königsberg i.Pr. geboren. Er studierte seit 1714 an der dortigen Albertina Theologie, Philosophie und Dichtkunst und wurde anschließend Privat­dozent für Philosophie in Königsberg. 1724 aber verließ er fluchtartig seine Heimatstadt und Preußen, weil er wegen seiner Körpergröße fürchten musste, zu den „langen Kerls“ seines Königs eingezogen zu werden. In Leip­zig, einer schon damals führenden Stadt in Wissenschaft und Buchhandel, fand er an der dortigen Universität eine neue Wirkungsstätte, wurde aber erst 1730 außerordentlicher Professor für Poesie. Dort erreichten ihn die Gedichte seiner gebildeten Verehrerin, und er ging eine Korrespondenz mit ihr ein. Im Jahre 1729 reiste Gottsched nach Danzig, lernte Luise Adelgunde Viktoria Kulmus persönlich kennen und verlobte sich schließlich mit ihr.

Ihr Vater hatte sich in Danzig politisch (z.B. durch Überbeto­nung seines Titels als Königlich polnischer Leibarzt) und gesellschaftlich unbeliebt gemacht, er verarmte schließlich und starb am 6. November 1731. Luise Adelgunde war nun Halbwaise, eine damals nicht nur finanziell sehr schwierige Situation, ihr Verlobter erhielt erst im Jahre 1734 eine gesicherte Stellung als ordentlicher Professor für Logik und Metaphysik in Leipzig und ihre Mutter, Katharina Dorothea geb. Schwenk, war mit der Verlobung wohl nicht so recht einverstanden. So ist es vielleicht zu erklären, dass die Hochzeit erst 1735 stattfinden konnte.

Außer ihrer persönlich leidvollen Situation musste sie auch noch die schwierige außenpolitische Lage Danzigs miterleben: Im polnischen Thronstreit um die Königswürde standen sich Stanislaus I. Lesczynski mit französischer und August III. mit russischer Unterstützung feindlich gegenüber. Ersterer erschien mit seinem Hoflager am 2. Oktober 1733 in Danzig und ließ sich von den Danzigern verteidigen, bis er am 27. Juni 1734 bei Nacht und Nebel fliehen musste. Die Bewirtung dieses Hoflagers, die Belagerung Danzigs durch russisch-sächsische Truppen vom 20. Februar bis zum 7. Juli 1734 und hohe „Entschädigungszahlungen“ an die Belagerer kosteten Danzig Tausende von Toten und ganz erhebliche Geldzahlungen.

Mit 22 Jahren zog Luise Adelgunde schließlich nach Leipzig, wurde die erste und wichtigste Mitarbeiterin ihres Gatten und bald nur noch die „Gottschedin“ genannt.

Der Danziger Friedrich Wilhelm Krampitz reimte über ihn:
„Geschmack, an dem es stets ihm fehlte,
besaß er nur im Augenblick,
als er – o neidenswertes Glück! –
Dich, Herrliche, zur Gattin wählte!“

Die beiden Gottscheds gehörten zu den führenden Persön­lichkeiten der frühen Aufklärung in Deutschland. Obwohl sie in der Öffentlichkeit bescheiden hinter ihren Gatten zurück trat, ist es dennoch schwer zu entscheiden, wer von beiden geistig die treibende Kraft in ihrer Arbeit war. Die Pflege der deutschen Sprache, des Theaters und der deutschen Literatur war für beide eine Hauptaufgabe. So veröffentlichte Johann Christoph Gottsched beispielsweise eine Art Grammatik Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst (1748), die in zahlreiche andere Sprachen übersetzt wurde, und Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) und bemühte sich, grundlegende Regeln für die Dichtung und Sprache aufzustellen. Als beispielgebende Vorbilder galten ihnen die französische und auch die englische zeitgenössische Literatur. So entstanden im Laufe der Zeit eine große Anzahl von Übersetzungen aus diesen beiden Sprachen ins Deutsche, aber auch eigene Dramen, Epen, kritische Abhandlungen und Komödien nach diesen Vorbildern. Vieles davon veröffent­lichte er in den sechs Bänden Die Deutsche Schau­büh­ne (1740-1745). Es war ihnen ein Anliegen, französische Kultur und Literatur, vor allem das Lustspiel aus diesem Kulturkreis den Deutschen zu vermitteln.

Die Gottschedin selbst schrieb neben vielem anderen auch vier Lustspiele mit starkem satirischem Einschlag und ein komisches Nachspiel, Der Witzling, die in der Literatur oft als Beginn der Typenkomödie bezeichnet werden. Zu ihnen gehört auch Die Pietisterei im Fischbeinrocke. Es ist eine eigenständige Übertragung eines Lustspiels des französischen Dichters G. H. Bongeant aus dem Jahre 1730. Die Gottschedin lässt die Handlung nicht in Paris, sondern in Königsberg spielen, wo die Pietisten, ebenso wie in Berlin, eine große Rolle spielten. In gekonnt satirischer Form wendet sie sich gegen die Scheinheiligkeit und das lügnerische Verhalten derjenigen Menschen, die sich als Pietisten ausgaben, ohne es wirklich zu sein. Die Komödie erschien 1737 anonym im Druck und ist wohl wenig im Theater aufgeführt worden, denn sie löste einen ungeheuren Aufschrei und sogar tätliche Ausschreitungen gegen vermutete Autoren aus – fast immer ein Zeichen für treffsichere Aussagen der Bedrohten. Die verkauften Exemplare wurden in Königsberg eingezogen, die Lektüre verboten und König Friedrich Wilhelm I. soll sie als „Gottlose Schmähe-Schrift“ kritisiert haben. Die Komödie zeichnet sehr sicher das Leben der einfachen Leute in Königsberg nach und um das überzeugend darstellen zu können, lässt die Gottschedin sie in Danziger Platt reden, so wie sie es in ihrer Jugend auf dem Danziger Kohlenmarkt, vor dem Zeughaus, dem damaligen Trödelmarkt, der „Tagnet“, gehört und ausgezeichnet beherrscht haben muss: sie hat uns damit ein wunderbares, wohl längst vergangenes Sprachdenkmal überliefert.

Auch zwei weitere Lustspiele der Gottschedin lassen französische Bezüge erkennen: Die ungleiche Heirath (1743) und Die Hausfranzösin oder die Mamsell (1744). Ersteres beschreibt die Beziehung zwischen einem Bürgerlichen und einer Adligen und erweist sich als deutliche satirische Kritik am Adel allgemein, letzteres an der damals aufkommenden Frankomanie. Recht eigenständige Schöpfungen sind ihr viertes Lustspiel Das Testament (1745) und der Der Witzling (1745), das deshalb als Nachspiel bezeichnet wurde, weil es im Theater üblich war, einen belustigenden Einakter nach einem eher ernsten Hauptstück den Zuschauern als Ausklang zu bieten.

Die Gottschedin war 13 Jahre jünger als ihr Mann, starb aber vier Jahre vor ihm am 26. Juni 1762 mit 49 Jahren in Leipzig. Nach ihrem Tode schuf Gottsched für sie ein „Ehrenmal“, in dem Lebensbeschreibung, Gedichte und Übersetzungen, Huldigungs-, Trauer- und Gedächtnisgedichte sowie Beileidbriefe gesammelt waren. Die gebürtige Danzigerin war eine der bedeutendsten Frauen des 18. Jahrhunderts, eine vielseitige und überaus schaffensreiche Schriftstellerin und Übersetzerin.

Lit.: Bruno Pompecki, Literaturgeschichte der Provinz Westpreußen, Danzig 1915. – Helmut Motekat, Ostpreußische Literaturgeschichte mit Danzig und Westpreußen 1230-1945, München 1977. – Helga Brandes, Johann Christoph & Luise Adelgunde Victorie Gott­sched und der deutsch-französische Aufklärungsdiskurs, in: Jens Stüben (Hrsg.), Ostpreußen – Westpreußen – Danzig. Eine historische Literaturland­schaft, München 2007, S. 237-258.

Bild: Die Gottschedin, Ölbild von Elias Gottlob Haußmann (um 1750), Universitätsbibliothek Leipzig

Weblink: https://de.wikipedia.org/wiki/Luise_Adelgunde_Victorie_Gottsched

Hans-Jürgen Kämpfert