Biographie

Graff Edler von Pancsova, Ludwig Bartholomäus

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Herkunft: Banat
Beruf: Mediziner, Zoologe
* 2. Januar 1851 in Pantschowa/Banat
† 6. Juli 1924 in Graz

Überblicken wir die Biographie von Prof. Dr. Ludwig Graff von Panscova (er schrieb sich auch L. von Graff oder L. B. Graff), so stellen wir fest, daß sein Leben und Werdegang charakteristisch für einen Großteil der akademischen, insbesondere der in den Randgebieten beheimateten Jugend des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn war. L. v. Graff war ein Nachkomme jener Siedler aus Mitteleuropa, die nach der Befreiung des Banates 1716 durch Prinz Eugen von Savoyen-Carignan (1663–1736) die in der „Türkenzeit“ großflächig devastierten Gebiete neu besiedelten.

 L. von Graff wurde am 2. Januar 1851 im damals österreichisch-ungarischen Städtchen Pantschowa (ung. Pancsova, serb. Pančevo) in der heutigen Provinz Wojwodina (Serbien) geboren. Sein Vater Wilhelm Hermann Graff Edler von Pancsova (1813–1893), Hauptmann und Apotheker, wurde für seine Verdienste um die Wirtschaft des Banates von Kaiser Franz Joseph in den erbländischen ungarischen Adelsstand erhoben. Die Mutter stammte aus dem Adelsgeschlecht derer von Zoldy de Zold. Die Elementar- und Oberrealschule durchlief er 1857–1865 in seiner Vaterstadt, um anschließend das Piaristengymnasium in Temeschburg (Temeschwar, ung. Temesvár, rum. Timişoara, heute in Rumänien) – dem kulturellen und wirtschaftlichen Mittelpunkt des Banates und damals Zentrum der Banater Schwaben – zu besuchen. Nach bestandenem Abitur studierte v. Graff Medizin an der Universität Wien 1868–1871, anschließend in Graz 1871–1873 bei Prof. O. Schmidt Zoologie. Nachdem Prof. Schmidt 1872 an die Universität Straßburg berufen wurde, folgte ihm v. Graff – nach einer hervorragend bestandenen Staatsprüfung – im Jahre 1873 als Assistent an die altehrwürdige, 1621 gegründete und damals international renommierte akademische Lehranstalt. Hier promovierte er im selben Jahr zum Dr. phil. und wurde dank seiner aufsehenerregenden Dissertation Assistent bei dem Mediziner und Zoologen Prof. Karl Theodor Ernst von Siebold (1804–1885) in München. Bei diesem weltbekannten Wissenschaftler, dem Begründer der wissenschaftlichen Parthenogenesis, entfaltete sich v. Graff zum führenden Experten auf einem zu dieser Zeit wenig bekannten Gebiet des Tierreiches, den Turbellarien (Strudelwürmer, heute über 16.000 bekannte Arten umfassend). Hier habilitierte er 1874 mit der damals bahnbrechenden Arbeit „Zur Kenntnis der Turbellarien“ und wurde Privatdozent an der 1459 gegründeten Ludwig-Maximilians-Universität.

Zwei Jahre später wurde er zum Professor an die Königlich Bayerische Forstlehranstalt (Forstakademie) Aschaffenburg berufen, wo er bis 1884 Forstliche Zoologie lehrte. Zu seinen Studenten zählten später so bekannte Persönlichkeiten und Pioniere des Forstwesens wie Dr. N. Aristomenes Chloros (Generalinspektor der Wälder Griechenlands), Nikolaus Th. Bulgaris (Oberforstinspektor Griechenlands), Graf Nikolaus von Esterhazy (Ungarn), Lorenz Scherg (Begründer des „Ungarischen Spessarts“), Dr. Eustachius Grasmann (Wegbereiter der modernen japanischen Forstwirtschaft, Prof. der Forstwissenschaften in Tokio, Gutachter für Waldbau in Tsingtau und Kiautschou/ China) sowie Prof. Dr. Karl Freiherr von Tubeuf (Inhaber des Lehrstuhls für Anatomie, Physiologie und Pathologie der Pflanzen an der Universität München). L. v. Graff begeisterte seine Hörer nicht nur für die Zoologie, sondern vermittelte ihnen auch die Verbindung zwischen Tierreich und Humanmedizin. Ihm ist es wohl zu verdanken, daß in der relativ kurzen Zeitspanne seiner acht Jahre währenden Lehrstuhltätigkeit in Aschaffenburg mehrere Forstleute nachträglich Medizin studierten, darunter Julius Schwesinger, Josef Freymadl (Ärzte im ehemaligen Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika, heute Tansania), Rudolf von Gender, Carl Mantel und Karl Schmidt.

L. v. Graff folgte 1884 dem Ruf an die 1586 gegründete Karl-Franzens-Universität in Graz als Ordinarius für Zoologie, wo er bis 1920 als Lehrstuhlinhaber wirkte. Er war es auch, der das Institut für Zoologie ins Leben rief. Hier vertiefte er die Grundlagen zur Kenntnis der Tiergruppe der Turbellarien und ist auch heute noch bekannt als „Vater der Turbellarien“. Um das Wissen über die Tausende von unbekannten Turbellarienarten zu erweitern, unternahm er in der Grazer Zeit zahlreiche Studienreisen: 1871 nach Istrien und Venedig, 1873 nach Neapel und Messina, 1893 nach Ceylon und Java. Es folgten dann 1902 Norwegen, 1903 Sewastopol auf der Krim am Schwarzen Meer und 1907 Nordamerika. Die Forschungsreisen führten zu bis dahin ungelüfteten Geheimnissen über diese Lebewesen, welche v. Graff in seinen voluminösen Werken, z.B. in der zweibändigen „Monographie der Turbellarien“ (Wien 1882, 1889), festhielt. Es folgten dann neben den zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften die Werke: „Die Turbellarien als Parasiten und Wirte“ (Graz 1903) und „Das Schmarotzertum im Tierreich und seine Bedeutung für die Artbildung“ (Graz 1907). Zwischen 1859 und 1862 gab der Heidelberger Professor Heinrich Georg Bronn drei Bände der „Klassen und Ordnungen des Tierreiches“ heraus. Der vierte Band („Turbellarien“) wurde 1904–1908 bzw. 1912–1917 von Prof. L. v. Graff verfaßt und herausgegeben. Dieses Werk ist ein bis in die Gegenwart fortgesetztes Nachschlagewerk geblieben.

Seine akademische Kompetenz und sein organisatorisches Talent führten zur Ernennung v. Graffs zum Dekan der Grazer Philosophischen Fakultät (1888) bzw. zum Rektor der Universität (1896). Darüber hinaus wurde er für seine grenzüberschreitenden Verdienste mit dem Titel eines „Geheimen Rates“ gewürdigt und zum Träger mehrerer österreichischer Orden erkoren. Sein umfangreiches Werk wurde von der gesamten Fachwelt gewürdigt. So wurde er zum Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften, zum Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaften Wien, Berlin, Prag, Triest, Moskau, Frankfurt a. M., Aschaffenburg und Philadelphia gewählt, sowie zum Ehrendoktor der schottischen Universität St. Andrews und der Universität Cambridge ernannt.

Dieser verdienstvolle Wissenschaftler, Forscher und begabte Pädagoge starb im Alter von 73 Jahren im Februar 1924 in geistiger Umnachtung in Graz. Seine geliebte Banater Heimat wurde schon 1919 in drei Teile zerrissen und dem vergrößerten Königreich Rumänien sowie dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zugesprochen. Rund 50 Jahre nach seinem Tod sollte erneut ein Rumäniendeutscher, Prof. Dr. Wilhelm Zwölfer (1897–1967), als geistiger Nachfolger von L. v. Graff das Lehrfach Forstzoologie an deutschen Universitäten vortragen (so in Freiburg i.Br. 1936–1941, bzw. München 1941–1964).

Lit.: Anonymus: Symposium „100 Jahre Forstwissenschaft in München“ (Forstl. Forschungsberichte, 42), München 1978, S. 323. – K. Bosl: Bayerische Biographie, Regensburg 1983, S. 727. – H. Freihoffer: Claudius Florimund Graf Mercy, Feldherr und Kolonisator des Banates, in: Ostdeutsche Gedenktage 1984, Bonn 1983, S. 255–257. – H. Fürst: Chronik der Königl. Bayer. Forstlehranstalt Aschaffenburg, Aschaffenburg 1894. – F. Milleker: Geschichte der Stadt Pančevo, Pančevo 1925. – F. Milleker: Kulturgeschichte der Deutschen im Banat. 1716–1918, Wrschatz 1930. – A.P. Petri: Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums, Marquartstein 1992, S. 574f. – R. Rösler: Die Organisation der griechischen Forstverwaltung durch bayerische Forstleute unter König Otto und die spätere Entwicklung des Forstwesens in Griechenland, in: Allgem. Forst- u. Jagd-Zeitung, 166. Jg., Nr. 4, Frankfurt a. M. 1995, S. 82–87. – R. Rösler: Kiautschou. Rückblick auf die Forstgeschichte des ehemaligen deutschen Schutzgebietes, genannt „Preußen des Ostens“, in: Forst u. Holz, 52. Jg., Nr. 17, Alfeld/Hannover 1997, S. 502ff. – R. Rösler: Begründer des „Ungarischen Spessarts“. Lorenz Scherg (1864 bis 1938), in: Forstinfo, Nr. 17, München 1998, S. 4. – R. Rösler: Deutsche Forstpioniere im südostasiatischen Großraum. Teil II: Japan, China, Malaysia, Neuguinea und Philippinen, in: Forst u. Holz, 54.Jg., Nr. 24, Alfeld/Hannover 1999, S. 770ff. – R. Rösler: On The History of Large Scale Deforestation in the South-East-European Region (Balkan). Forest Hist. of the Mountain Regions of the World, Nainatal/India 2001. – L. Santifaller (Hg.): Österreichisches Biographisches Lexikon.1815–1950, Bd. II, Graz/Wien 1959, S. 46. – R. Sauermost (u.a.): Lexikon der Naturwissenschaftler, Heidelberg/Berlin 2000. – A. Schmidt-Rösler: Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg: Die Grenzziehung in der Dobrudscha und im Banat und die Folgeprobleme, Frankfurt a. M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1994. – G. Schwalm: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde A.C. in Pancsova, Pancsova 1918.

Rudolf Rösler