Biographie

Grailich, Elsa

Herkunft: Donaugebiet
Beruf: Journalistin, Publizistin, Lyrikerin, Frauenrechtlerin
* 30. Juli 1880 in Albrechtsfeld/ Burgenland
† 4. Mai 1969 in Preßburg

Die Journalistin, Lyrikerin und Gründerin der Frauensektion des Arbeiterbildungsvereins „Vorwärts“ wurde am 30. Juli 1880 in Albrechtsfeld, einem kleinen Dorf im damals noch ungarischen Burgenland, als Tochter des dortigen Domänenverwalters geboren. Ihre Vorfahren stammten aus Preßburg, beide Großvä­ter hatten am dortigen Evangelischen Lyzeum unterrichtet, und Elsa sollte von 1893 an die Ungarische Höhere Mädchenschule besuchen. Als ihre Mutter Luise Anna Catharina Fuchs um 1896 schwer erkrankte, musste die nun 16-Jährige den elterlichen Haushalt übernehmen.

Vor ihrer Rückkehr ins Burgenland hatte sie ihrem Vater noch einen vierwöchigen Wien-Aufenthalt zum Besuch diverser Theatervor­stellungen – insbesondere Schnitzlers und Ibsens Dramen – abgerungen. Im Gegenzug bestand der praktisch veranlagte Vater auf die Absolvierung eines Schneiderkurses.

Um 1905 zog Elsa endgültig mit ihren Eltern nach Preßburg und begann nach kurzer Zeit, für die deutsche Presse der Stadt – drei Tageszeitungen und drei politische Wochenblätter – zu publizie­ren. Gedichte hatte sie schon von Jugend an verfasst. Ihr Vater, Alexander Grailich, war mit dieser „Schreiberei“ als Berufstätigkeit nicht einverstanden, für seine Tochter schwebte ihm doch das traditionelle Bild der Ehefrau und Mutter vor. Warum Elsa diesen Weg nicht einschlagen sollte, lässt sich nur vermuten. Als sie vom „Westungarischen Grenzboten“ ein Angebot als Redakteurin erhielt, bestand ihr Vater darauf, dass sie es ausschlug, obwohl sie inzwischen älter als 24 Jahre und damit volljährig war und als selbständige Rechtsperson hätte auftreten können. Unbefriedigt von der Belanglosigkeit der kleinbürgerlichen Preßburger Gesellschaft in ihrem sozialen Umfeld, nahm sie weiter Klavierunterricht und begann Englisch und Französisch zu lernen – spätere Grundpfeiler ihres täglichen Broterwerbs.

Ihr Engagement für Kultur und Frauenpolitik spiegelt sich in ihren zahlreichen Zeitungsbeiträgen wider, die seit 1906, zunächst nur mit einem Kürzel versehen oder auch anonym, oft als Leitartikel erschienen. Schon in den frühen Preßburger Jahren wurde ihr Interesse für die Sozialdemokratie geweckt: Die Führer der dortigen sozialdemokratischen Arbeiterbewe­gung, Paul Wittich, Sekretär der Preßburger Parteiorganisation, und Heinrich Kalmár machten sie u.a. mit den Schriften von Marx und Engels bekannt, ihr größtes Interesse galt aber August Bebels Die Frau und der Sozialismus und Adelheid Popps Jugendgeschichte einer Arbeiterin.

Als im Dezember 1909 die Frauensektion des Arbeiterbildungsver­eins „Vorwärts“ gegründet wurde, gehörte Elsa Grailich neben Maria Pocisk zu den Hauptakteuren; sie rief etwa auch ein Kinderlesezimmer ins Leben und setzte sich für die Einrichtung von Kinderspielplätzen ein. Daneben war sie auch für die Redaktion der „Westungarischen Volksstimme“ tätig und hielt Vorträ­ge zu diversen Anlässen.

1912 verstarb Elsas Vater, und als 1915 die „Internationale Frauen-Liga für Frieden und Freiheit“ gegründet wurde, trat ihr die inzwischen 35-Jährige ebenfalls bei. Bis 1921 sollte sie nahezu jedem Wohltätigkeitsverein als aktives Mitglied angehören. So engagierte sie sich u.a. in der Neustädter Volksküche genauso wie als Ausschussmitglied im Preßburger Tier- und Vogelschutzverein, unterrichtete an der deutschen Volks­hoch­schule Preßburg „Deutsche Rechtschreibung“ und war in der Jugendfürsorge aktiv. Als Frauenrechtlerin – sie stand in Briefkontakt mit der 1910 verstorbenen Pionierin der österrei­chischen Frauenbewegung Auguste Fickert – forderte Elsa Grailich eine Gleichberechtigung, die die Hausarbeit der Frau mit der Erwerbstätigkeit des Mannes als gleichwertig ansah, also noch nicht im Sinne der heutigen Gleichberechtigung.

Als kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs alle Funktionäre der „Westungarischen Volksstimme“ einberufen worden waren, übernahm Elsa die Verantwortung für die Redaktion – vielleicht auch, um besser über den Tod der Mutter im Jahr 1918 hinweg zu kommen. Die Redaktionsarbeit soll sie aber derart ange­strengt haben, dass sie ihre Arbeit in der Partei – sie war auch Mitglied im Deutschen Volksrat von Preßburg, der sich am 10. November 1918 gegründet hatte – nach einem Nervenzusammenbruch für längere Zeit ruhen ließ.

Seit dem Jahr 1921 war Elsa Grailich nicht mehr politisch aktiv. Offensichtliche Gründe dafür lassen sich nicht erkennen. Nach der Erinnerung ihres Cousins Rudolf Christian Fuchs soll sie aufgrund ihrer Kritik an den sozialdemokratischen Funktionären im Gefängnis von Ilava gewesen und nur unter der Bedingung, sich nie wieder in der Politik zu engagieren, auf freien Fuß gesetzt worden sein.

Seit dem Vertrag von Trianon (4. Juni 1920) widmete sich Elsa Grailich ihrer schriftstellerischen Tätigkeit, nicht nur als Journa­listin etwa des „Grenzboten“ und der dreisprachigen Zeitschrift für Architektur „Forum“, sondern auch als Buchautorin. In ihrem Bemühen um schriftstellerischen Erfolg wandte sie sich 1923/24 auch mehrfach an Arthur Schnitzler und bat ihn um entsprechende Unterstützung. Ihr lyrisches, ursprünglich aus 416 Gedichten bestehendes, in drei Bänden geordnetes Werk blieb Zeit ihres Lebens unveröffentlicht. Ihre autobiografischen Aufzeichnungen, Preßburger Interieurs, deren letztes Kapitel ihrer eigenen Wohnung gewidmet ist, und Das Märchen vom ewigen Frieden erschienen 1929 bzw. 1930.

In den 1920er Jahren war Elsa Grailich schließlich auch als Sekretärin des YMCA tätig, dessen erste tschechoslowakische Zweigstelle 1920 in Preßburg gegründet worden war, und bis 1939 reicht ihre Tätigkeit als Journalistin. Aufgrund ihrer Abnei­gung gegen den Militarismus, die sich in ihrem Märchen von ewigem Frieden widerspiegelt, waren ihr Austritt aus der Redaktion des spätestens jetzt nationalsozialistischen „Grenzbo­ten“ und ihr Rückzug aus dem öffentlichen Leben nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht im März 1939 nur eine logische Konsequenz. Stattdessen zog sich Elsa Grailich aus Protest weitgehend ins Privatleben zurück, unterrichtete Deutsch – und rettete in der Folge wohl einem jüdischen kleinen Jungen das Leben, indem sie ihn bei sich im Haus versteckte. Ob die um 1944 bei Elsa Grailich wohnende blonde junge Frau tatsächlich ihre Tochter war – so wurde sie von ihr vorgestellt – oder ein weiteres von ihr gerettetes Mitglied der jüdischen Gemeinde, muss offen bleiben. Biografische Nachrichten bezeichnen Elsa als kinderlos, was aber auch darauf zurückzuführen sein kann, dass sie unverheiratet war.

Zum Ende des Weltkriegs sollte auch Elsa Grailich nach den Bestimmungen der Beneš-Dekrete enteignet und vertrieben werden – ehemalige Parteikollegen konnten zwar die Abschie­bung verhindern, sie verlor aber das von ihrem Vater geerbte Haus und lebte fortan ein Vierteljahrhundert in äußerst ärmlichen Verhältnissen als Untermieterin in einem Hinterhofzimmer, das ihr eine Bekannte zur Verfügung gestellt hatte. Mit Privatunterricht hielt sie sich über Wasser, ihr wacher Geist gestattete ihr noch in hohem Alter ein Studium von Englisch und Deutsch an der Comenius-Universität in Preßburg, das sie um 1952 mit einem Diplom abschloss. Sie erlebte noch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts, und obwohl sie zuletzt im Krankenhaus war, interessierte sie sich noch für das politische und gesellschaftliche Geschehen bis zu ihrem Tod im Mai 1969. Sie wurde im Familiengrab auf dem Gaistor-Friedhof beigesetzt.

Ihr literarischer Nachlass, zu dem auch eine Autobiografie gehört haben soll, gilt als verschollen.

Lit.: Elemír Terray, Zum Gedenken an die burgenländische Sozialdemokratin Elsa Grailich, Redakteurin und Schriftstellerin in Preßburg (Bratislava), aus Anlaß ihres 10. Todestages, in: Arbeiterbewe­gung und Arbeiterdichtung (Beiträge zur Geschichte der Sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im Sudeten-, Karpaten- und Donauraum; 3) München 1980, S. 28-42. − Svatava Blanárová, Einige Überlegungen zum literarischen und publizistischen Werk von Elsa Grailich, in: Germanistisches Jahrbuch DDR-ČSSR: Beiträge zur germanistischen Forschung und Lehre, 1982/83, S. 295-303. − Rainer Rudolf/ Eduard Ulreich, Art. „Grailich, Elsa“, in: Karpatendeutsches Biographisches Lexikon, Stuttgart 1988, S. 107f. − Viera Glosíková, Art. „Grailich, Elsa“, in: Handbuch der deutschs­prachigen Schriftsteller in der Slowakei (17.-20. Jahrhundert), Wien 1995, S. 78. − Margita Gáborová, Aus dem Interieur. Die literarischen Stadtbilder Elsa Grailichs zwischen Tradition und Moderne. Die Stadt und ihre prägenden Persönlichkeiten, in: Dagmar Košťálová/ Erhard Schütz (Hrsg.): Großstadt werden! Metropole sein! Bratislava, Wien, Berlin. Urbanitätsfantasien der Zwischenkriegszeit 1918-1938, Frankfurt/Main 2012, S. 113-128. − Ingrid Puchalová/Michaela Kováčová: „… aber ich bin ein Weib, was ist es mehr, und ‚seid froh, daß ihr es nicht zu sein braucht‘“. Über die deutschschreibenden Autorinnen aus dem Gebiet der heutigen Slowakei (Acta Facultatis Philosophicae Universitatis Šafarikianae; 65), Košice 2014. − Ingrid Puchalová, Frauenporträts. Lebensbilder und Texte deutschschreibender Autorinnen aus dem Gebiet der heutigen Slowakei (Acta Facultatis Philosophicae Universitatis Šafarikianae; 66), Košice 2014, S. 144-161. − Zuzana Kuruczová, Deutsche Frauen in Pressburg des 20. Jahrhunderts. Masterarbeit an der Universität Wien, 2015. − Ingrid Puchalová, „Die Dinge reden im Lichte eine andere Sprache als im Dunkeln.“ Deutschschreibende Autorinnen aus dem Gebiet der heutigen Slovakei, in: Alexandra Millner/ Katalin Teller (Hrsg.), Transdifferenz und Transkulturalität. Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns, Bielefeld 2018, S. 189-208.

Bild: Archiv der Autorin.

Heike Drechsler-Meel