Biographie

Griselini, Francesco

Herkunft: Banat
Beruf: Universalgelehrter, Naturforscher, Historiker des Banats
* 12. August 1717 in San Fantino bei Venedig
† 5. September 1787 in Mailand

Das erste und grundlegende Werk der nachtürkischen Geschichts­schreibung des Banats geht auf Francesco Griselini zurück, einen Österreicher italienischer Abstammung. Seine historischen Feuilletons, verfasst mit den Augen eines wissenschaftlichen Forschers, beruhen nicht auf Quellen zweiter Hand, sondern sind das Ergebnis eines knapp vierjährigen Aufenthalts im Banat, dem wirtschaftlichen Hoffnungsland und Experimentierfeld des Kaiserstaats.

Francesco Griselini entstammt einer kinderreichen bürgerlichen Familie, der Vater Marco war Tuchmacher, die Mutter Elisa­betta, geborene Sperafigo, war die Tochter eines Seidenhändlers aus Mailand. Francesco, der Sohn, italianisierte den ursprünglichen Familiennamen Greselin. Er begann in Venedig das Studium der Theologie, das er jedoch abbrach, um Libera Pompiglia zu heiraten. Anschließend wandte er sich dem Studium der Geschichte und Naturwissenschaften zu und wirkte als universaler Privatgelehrter. Mit der Zeit entwickelte er sich zum Polyhistor, Geografen, Kartografen, Naturforscher, Sprachenkenner, Inschriftenkundigen, Journalisten, Schriftsteller, Reisenden, wissenschaftlich beschlagenen Landwirt, Zeichner und Botaniker. Er war ein geistvoller Kopf und ein wandelndes Lexikon, jedoch nicht oberflächlich. Was er sprach und schrieb, zeugte von gründlicher Kenntnis und durchdringendem Verstand.

Das Schwergewicht der schriftstellerischen Tätigkeit Griselinis lag auf dem Gebiet der Landwirtschaft, z.B. Arbeiten zur Pflege der weißen Maulbeerbäume, über die besten Methoden des Anbaus und Gebrauchs der Runkelrübe, den Hanf- und Leinbau, Kartoffelkultivierung, Baumparasiten sowie die Pflichten der Landgeistlichen bei der Erziehung der Bauern zur Verbesserung landwirtschaftlicher Verfahren. Mit solchen nützlichen Anleitungen wollte er den Wohlstand der Nation fördern, sie brachten ihm am meisten Lob und Anerkennung ein.

Von 1765 bis 1776 edierte er in Venedig das Giornale d’Italia, zu dem er viele Artikel über Wissenschaft und Landwirtschaft beisteuerte. Im Jahrzehnt von 1768 bis 1778 gab Griselini eine Enzyklopädie der Künste und Berufe in 18 Bänden heraus, das Dizionario delle arti e de‘ mestieri. Das Werk thematisierte vor allem Landwirtschaft, Bergbau, Handwerk, Gewerbe und Technik. Von Band 6 an unterstützte ihn dabei Abt Marco Osvaldo Fassadoni (1732-1813).

Den Namen Francesco Griselini wird man in den meisten literaturgeschichtlichen Lexika vergeblich suchen. Wenn er überhaupt erwähnt wird, geschieht dies in Zusammenhang mit seiner Biografie über Fra Paolo Sarpi, die ab 1760 in mehreren Editionen der Istoria del Concilio Tridentino herauskam und wegen ihrer aufklärerischen Tendenz so viel Aufmerksamkeit erregte, dass sie ins Französische, Deutsche und Englische übersetzt sowie auf den Index gesetzt wurde. Zu seiner Zeit war Griselini durchaus ein angesehener Autor, der Wettbewerbe gewann und Preise erhielt, der sogar einen kurzen Ausflug ins Feld des Dramatischen im Wettkampf mit Molière und seinem venezianischen Landsmann und Zeitgenossen Goldoni unternahm. Obwohl die vier Komödien aus seiner Feder teils erfolgreich aufgeführt wurden, sind seine Qualitäten als Lustspieldichter unzweifelhaft nur mittelmäßig.

Als gern gesehener Gast in den vornehmsten Kreisen seiner Heimat lernte er um 1770 im Hause des kaiserlichen Gesandten in Venedig Graf Jakob von Durazzo den geborenen Triestiner und damaligen Präsidenten der Landesadministration des Temescher Banats Josef Freiherr Brigido von Bresowitz und dessen Bruder Pompejus kennen. Von ihrer Bekanntschaft erhofften sich beide Seiten Vorteile. Die Brüder hatten sich einen vertrauenswürdigen Berater mit vielseitigem Wissen gesichert, der ihnen bei der Reorganisierung der Banater Verwaltung helfen konnte, Griselini dagegen bot sich Gelegenheit, seinen Horizont zu erweitern, ein ihm unbekanntes Land in seiner natürlichen und wirtschaftlichen Struktur kennen zu lernen und neuen Lorbeer zu ernten. Auf Einladung der Brüder Brigido trat er am 20. August 1774 die beschwerliche Reise mit der Postkutsche an. Sie dauerte 33 Tage, davon 12 auf Achse und 21 Aufenthalts- und Besichtigungstage. Am 23. September traf er in Temeswar ein, wo er im Präsidentenpalais am Domplatz untergebracht war. Hier weilte er bis März 1777. In dieser Zeit bereiste und erforschte er das Banat im Auftrag der Temeswarer Landesregierung und hielt seine Eindrücke und Erfahrungen in einer wissenschaftlichen Beschreibung des aufstrebenden Landstrichs fest. Das Resultat war sein zweiteiliger Versuch einer politischen und natürlichen Geschichte des temeswarer Banats in Briefen an Standespersonen und Gelehrte. Diese Briefe wurden auf Italienisch in den Zeitschriften Giornale d’Italia und Nuovo Giornale d’Italia veröffentlicht und 1780 als erster Band in Mailand herausgegeben, während die zweibändige deutsche Ausgabe des Werkes noch im selben Jahr in Wien erschien, gewidmet der Kaiserin Maria Theresia.

Der Autor schildert in allseits informierter Anschaulichkeit die Urbarmachung, Besiedlung und systematische Kultivierung des von den Osmanen nach 164-jähriger Okkupation zurückeroberten und mit dem Frieden von Passarowitz 1718 gesicherten Gebiets, das anfangs schwach besiedelt und völlig verwüstet war. Zu den ersten Schritten gehörte eine Generalkarte des Landes, zu deren Erstellung Griselini selbst maßgeblich beitrug. Städte und Dörfer wurden wieder bevölkert und aufgebaut, die Infrastruktur neu hergestellt, Sümpfe und Moräste mit Kanälen entwässert und von Krankheitskeimen saniert, Verkehrsadern geschaffen, Fortifikationen ausgebaut, Manufakturen und Gewerbeansiedlungen eingerichtet, neue Nutzpflanzen eingeführt, während Verwaltung und Besteuerung sich dem Wachstum anpassten. Oberstes Ziel des in seinen Grundzügen von Prinz Eugen entworfenen und von Graf Mercy und seinen Nachfolgern als Präsidenten der Landesadministration betriebenen Einrichtungsprojekts war es, im Banat Wirtschaft und Agrarproduktion, Handwerk und Industrie, ferner Bergbau und Handel zu fördern. Serbische und rumänische Siedler, solche aus Italien und Spanien, auch zahlreiche Ackerbauern und Handwerker aus dem Deutschen Reich wurden teils während Griselinis Aufenthalt im Banat angesiedelt, ließen die Region prosperieren und zur Kornkammer der Monarchie aufsteigen. Die Provinzhauptstadt Temeswar entwickelte sich zu einer an Wien orientierten multiethnischen, aber von deutscher Kultur dominierten Metropole, „eine der schönsten und politesten Städte der Monarchie“ mit prachtvollen Kirchen, Kameralgebäuden, Palästen und Bürgerhäusern.

Für jeden Historiker dieser Epoche ist Francesco Griselinis ebenso detailreiche wie souveräne Darstellung bis heute unverzichtbar und ein Leserlebnis geblieben. Heute noch staunt man über das vielseitige Interesse des Verfassers, das sich nicht nur auf die Gebiete der Geschichte, Geografie, Geologie, Ethnografie und Volkskunde bezieht, sondern ebenso auf Recht, Verwaltung, Architektur, Forst- und Landwirtschaft, Bergbau, Hüttenwesen, Bäder, Archäologie und vieles andere, wobei wir die Vertreter des damals herrschenden aufgeklärten Absolutismus, die Physiokraten und Merkantilisten, mit Nachdruck an der wirtschaftlichen Erschließung der neu gewonnenen Provinz arbeiten sehen.

Dieses Werk beinhaltet neben 14 weiteren Tafeln auch eine von Griselini angefertigte detaillierte Karte des Banats mit einer Ansicht Temeswars im unteren Teil. Diese Karte stützt sich auf seine eigenen Beobachtungen während Reisen in den Jahren 1774-75 sowie die von anderen königlichen Ingenieuren eingesammelten Notizen. Veröffentlicht wurde sie wahrscheinlich 1776. Das Originalmanuskript ist nicht überliefert, aber eine reduzierte Version wurde in Wien von Augustinus Cipps als Kupferstich eigenständig herausgegeben und eine Zeit lang verkauft (Format 56 x 62). Erstmals erwähnt findet sich die Karte 1778, im gleichen Jahr, in dem die Verwaltung des Banats durch die Wiener Hofkammer als kaiserliche Kron- und Kam­merdomäne aufgehoben und die viel versprechende Landschaft 1779 dem habsburgischen Königreich Ungarn einverleibt wurde.

Griselini war Ehrenmitglied zahlreicher Akademien, so beispielsweise in London, Bern, Gorizia, Florenz und Bologna. In Temeswar (Timişoara) wurde die Strada Francesco Griselini nach ihm benannt.

Der Nestor der Banater Historiografie wurde 1780 Pensionär. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er, von einer Geisteskrankheit gezeichnet, im Mailänder Hospital Fatebenefratelli, wo er am 5. September 1787 starb.

Werke: Memorie Anedote Spettanti Alla Vita Ed Agli Studi del Sommo Filosofo E Giureconsulto F. Paolo Servita, 1760. – Denkwürdigkeiten des berühmten Fra Paolo Sarpi, ehemaligen Serviten in Venedig, oder merkwürdige Anecdoten zu dem Leben und Schriften dieses berühmten Mannes. Bartholomaei, Ulm 1761. – Dizionario delle arti e de‘ mestieri, 18 Bände. Modesto Fenzo, Venedig 1768-1778. – Lettere odeporiche ove i suoi viaggi e le di lui osservazioni spettanti all’istoria naturale, ai costumi di vari popoli e sopra più altri interessanti oggeti si descrivono, giuntevi parecchie memorie dello stesso autore, che riguardano le scienze e le arti utili, Mailand 1780. – Versuch einer politischen und natürlichen Geschichte des temeswarer Banats in Briefen an Standespersonen und Gelehrte, 2 Bände, Wien 1780. – Istoria Banatului timişan. Übersetzung ins Rumänische von Nicolae Bolocan, Bukarest 1926. – Aus dem Versuch einer politischen und natürlichen Geschichte des Temeswarer Banats in Briefen 1716-1778, hrsg. mit einem Nachwort von Hans Diplich, Verlag des Südostdeutschen Kulturwerks, München 1969, 56 S. und 16 Tafeln. – Versuch einer politischen und natürlichen Geschichte des temeswarer Banats in Briefen an Standespersonen und Gelehrte, 1. Teil. Digitali­siert unter:

https://archive.org/details/versucheinerpoli01grisuoft.

Lit.: Alexander Krischan: Franz Griselini – erster Historiograph des Banats. Von Venedig nach Temeswar anno 1774, in: Deutsche Forschungen in Ungarn, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Donauschwäbischer Lehrer, Jg. 8. (1943), Heft 2-4, S. 127-186 (Nach­druck: München 1980). – Anton Peter Petri: Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums, Th. Breit Druck und Verlag GmbH, Marquartstein 1992. – Paolo Preto, in: Dizionario Biografico degli Italiani – Volume 59 (2002), online: http://www.treccani.it/enciclopedia/ francesco-griselini_%28Dizionario-Biografico%29/.

Bild: Terracotta-Medaillon mit dem Bildnis Francesco Griselinis von Gian Battista Boni. Es schmückt als eines von zwölf Porträts die Fassade des Theaters Jacquard in Schio (Venetien). Wikipedia Commons/ Gemeinfrei.

Stefan P. Teppert