Biographie

Groeben, Selma Gräfin von der

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Sozialfürsorgerin
* 8. November 1856 in Potsdam
† 13. Oktober 1938 in Hannover

Als älteste Tochter des Georg Graf v.d. Groeben und dessen Gattin Elisabeth, geb. Gräfin zu Münster-Ledenburg, wurde Selma Gräfin v.d.G. in Potsdam geboren, wo ihr Vater als General der Kavallerie gerade in Garnison war. Sie entstammte einer altpreußischen Familie, deren Angehörige in der preußischen und deutschen Geschichte zu Ehren gekommen sind. Nach dem Kriege 1870/71 vertauschte ihr Vater den Soldatenberuf mit seiner Tätigkeit als Majoratsherr auf dem Gut Neudörfchen im Kreise Marienwerder in Westpreußen. Dort wuchs sie mit ihren vier jüngeren Schwestern auf und erhielt ihre Schulbildung durch Hauserzieherinnen. Prägend auf das junge Mädchen wirkten das Pflichtethos des soldatischen Berufs des Vaters, die geistige und künstlerische Natur der Mutter sowie die Einbeziehung in die mitverantwortliche Sorge um die Bewohner des zum Gut gehörenden Dorfes in Form der Gestaltung des Kindergottesdienstes, der Krankenhilfe und der sozialen Fürsorge. Die Kirche war die sinn- und zielsetzende Mitte des Lebens. Beeindruckende Abwechslung bot eine Reise nach London in Begleitung der Mutter, deren Bruder dort Botschafter war. Es schloß sich eine musikalische Ausbildung in Weimar an. 1894 starb der Vater. Da kein männlicher Erbe vorhanden, das Gut aber Majorat war, ging es in die Hände von Verwandten über. Die Mutter zog mit ihren zwei unverheirateten Töchtern nach Hannover, der Heimat ihrer Familie.

In Hannover fand Selma v.d.G. ihre Lebensaufgabe. Sie wurde für die Arbeit des „Deutschen Ev. Frauenbundes“ gewonnen, der im ev. Bereich die konservativen Frauenkreise umfaßte. Seine Zielsetzung waren die karitative Arbeit, die Mitwirkung der Frauen am kirchlichen Leben und das Bemühen, die Ideen und Absichten der Frauenbewegung in Bezug auf das Daseinsverständnis ev. Christentums zu setzen und zu vertreten. Sehr bald wurde sie stv. Vorsitzende des Ev. Frauenbundes und nach dessen 1908 erfolgten Zusammenschluß mit dem überkonfessionellen „Bund deutscher Frauenvereine“ Mitglied des Gesamtvorstandes dieses Bundes. Im Rahmen der ev. Frauenarbeit nahm sie sich der Fürsorge für die gefährdeten Mädchen und Frauen an, besonders in der örtlichen Arbeit in Hannover. Mit Emsigkeit arbeitete sie sich in Theorie und Praxis der Bewältigung dieses Problems ein. In Vorträgen trug sie vielerorts ihre Erkenntnisse und Erfahrungen vor. 1903 richtete sie am Polizeigefängnis eine Zufluchtstätte für werdende Mütter ein, die 1913 zu einem modernen Mütter- und Säuglingsheim erweitert wurde. 1904 wurde auf ihre Initiative hin eine Fürsorgerin für inhaftierte Frauen am Polizeigefängnis angestellt. Die Gräfin kann zu Recht als eine der Begründerinnen der Gefangenenfürsorge genannt werden.

Sie widmete sich aber nicht nur der praktischen Sozialarbeit, sondern befaßte sich mit der gesamten Verbandsarbeit, wie Familienrecht, Berufs- und Bildungsfragen, Sozialpolitik und Volkswohlfahrt. Sie hat sich diese Probleme mit präziser Gewissenhaftigkeit erarbeitet und war um reformatorische Lösungen bemüht.

Im Ersten Weltkrieg trat die Wohlfahrtspflege an den Frauen der Feld stehenden Soldaten in den Mittelpunkt der Sozialarbeit. Unter der Führung des Bundes Deutscher Frauenvereine schlossen sich die Frauen zum „Nationalen Frauendienst“ zusammen, um dieser Aufgabe allerorts gerecht werden zu können. In Hannover leitete die Gräfin mit einem Stab von mehr als 200 Frauen diese ehrende Arbeit. Hinzu kamen 1914 der Einbruch der Russen in Ostpreußen und das Schicksal der dortigen Bevölkerung sowie die Ungewißheit über das Ergehen nächster Angehöriger.

Als 1917 die innenpolitischen Spannungen anfingen und die Geschlossenheit der Frauenverbände bedrohten, trat entgegen ihrer Meinung der Ev. Frauenbund aus der Dachorganisation der Frauenverbände aus. Die aufreibenden Jahre zehrten an ihrer Gesundheit, so daß sie 1919/20 schwer erkrankte. Sie hat daher den stv. Vorsitz niedergelegt, zumal die Erste Vorsitzende seit 1920 dem Reichstag angehörte und zeitweise die volle Vertretung und dauernde Bereitschaft auf der Gräfin lasteten. Dennoch hat sie ihrem örtlichen Aufgabenbereich weiter gedient und an der geistigen Führung des Verbandes den wesentlichen Anteil gehabt. Noch als achtzigjährige hat sie mit einer Kommission das Gutachten des Verbandes zur Ehegesetzgebung ausgearbeitet.

Die politisch aufgewühlte Zeit nach dem Ersten Weltkrieg rüttelte auch an der Gemeinschaft des Deutschen Ev. Frauenbundes und belastete die verdienstvolle Vorkämpferin der Frauenbewegung auch seelisch.

Bis zu ihrem Tode, sie starb zweiundachtzigjährig, blieb sie liebenswürdig in ihrer Haltung, lebhaft in der Anteilnahme, bescheiden zurückhaltend im Auftreten und die Schenkende und Führende in jeder menschlichen Begegnung.

Lit.: Gotha Gräfliche Häuser Teil A 1940; Gertrud Bäumer: Frauen der Tat – Gestalt und Wandel, Tübingen 1959; Peter Graf v.d. Groeben: Die Grafen und Freiherrn v.d. Groeben, 1978; Hugo Rasmus: Lebensbilder westpreußischer Frauen in Vergangenheit und Gegenwart, Münster 1984.