Biographie

Gross, Hermann

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Soziologe, Wirtschaftswissenschaftler
* 23. Januar 1903 in Kronstadt/Siebenbürgen
† 14. August 2002 in Gauting

Hermann Gross wurde in Kronstadt (Siebenbürgen) geboren. Die prägenden Kräfte seiner Jugend waren einerseits die hohe Kultur der traditions- und selbstbewußten Siebenbürger Sachsen, deren städtisches Bürgertum die deutsche Geistesentwicklung durch die Jahrhunderte mitbestimmt hatte, andererseits auch das Erlebnis des fremden Volkstums und die Selbstverständlichkeit des Umgangs wie der Verständigung mit Menschen verschiedener Sprache und Nationalität. In die entscheidenden Jahre seiner Entwicklung fiel der Zusammenbruch der Donaumonarchie, der für Siebenbürgen einen Staatswechsel von der ungarischen zur rumänischen Hoheit bedeutete. Die Lehren jener Umbruchsjahre wurden bestimmend für seine Charakterentwicklung. Veranlagung und Jugenderfahrung, fügten sich hinfort auf glückliche Weise zur Entfaltung eines weltoffenen Wesens in Verbindung mit überzeugter Toleranz gegenüber fremdem Volkstum und Andersdenkenden. Früh schon waren die Merkmale der späteren Forscherpersönlichkeit vorgezeichnet: Unkompliziertheit, Realitätssinn, Gründlichkeit und Praxisbezogenheit. Gross begann 1921 sein Studium der Handelswissenschaften und moderner Sprachen in Kiel und beendete es an der Handelshochschule in Leipzig mit dem Diplomkaufmann (1924), dem Diplomvolkswirt (1925), dem Doktor der Staatswissenschaften (1927, Dissertation: „Deutsch-rumänische Wirtschaftsbeziehungen"); 1936 habilitierte er sich (Habilitation: „Südosteuropa – Bau und Entwicklung der Wirtschaft").

Nach Abschluß der Studien wurde er Assistent an der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, doch bereits ein Jahr später ging er nach Leipzig zurück und half seinem Lehrer Wiedenfeld beim Aufbau des Instituts für Mittel- und Südosteuropäische Wirtschaftsforschung an der Universität Leipzig, das Gross dann von 1936an als stellvertretender Direktor führte. Hier entwickelte er sich zum wirtschaftswissenschaftlichen Südostforscher, wobei ihn seine auffallende Sprachbegabung unterstützte. Unter wesentlicher Mithilfe von Gross wurde ein Institut für Geschichte und Kultur Südosteuropas geschaffen, doch vereitelte der Krieg dessen Entwicklung. Die Leipziger Institute errangen schnell den in Deutschland und im Ausland anerkannten Ruf eines Zentrums der gesellschaftswissenschaftlichen Südosteuropaforschung; sie brachten grundlegende und wegweisende Untersuchungen heraus und zogen die Studenten aus Südosteuropa – darunter spätere hohe Politiker – an.

Im Jahre 1939 nahm Gross ein Angebot der IG-Farbenindustrie AG, Berlin, zur Ausgestaltung einer Wiener Zweigstelle ihrer volkswirtschaftlichen Abteilung an. Gross wurde Leiter dieser Abteilung; gleichzeitig war er Dozent und ab 1943 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien und an der Hochschule für Welthandel Wien. So vereinigte er eine Reihe von Forschungs- und Lehrtätigkeiten, da auch der Mitteleuropäische Wirtschaftstag, Berlin, in Wien eine Südoststiftung zur Heranbildung junger Kaufleute für Südosteuropa errichtet und die Hochschule für Welthandel zur Durchführung dieses Programms gewonnenhatte. Diese Zeit war von reger Publikationstätigkeit begleitet und reich an fachlichen und menschlichen Begegnungen; dazu kamen zahlreiche, oft mehrmonatige Auslandsreisen, die nach dem Krieg noch intensiviert wurden. Studien- und Vortragsreisen führten ihn in alle europäischen Länder, einschließlich Ost- und Südosteuropa, in die Türkei und in die USA, wo er auch vorübergehend Gastprofessor an der Universität von Georgia war. Im Zusammenhang mit der Forschungstätigkeit im Rahmen der volkswirtschaftlichen Abteilung der IG-Farben traten vor allem Studien über die Intensivierungsmöglichkeiten der Landwirtschaft, über Industrialisierung, Ausbau des Verkehrswesens und der außenwirtschaftlichen Verflechtung in den Vordergrund. Die Erfahrungen seiner Tätigkeit bei der IG-Farben konnte Gross später im Dienste der deutschen chemischen Industrie und darüber hinaus der deutschen Wirtschaft gegen die Teilungsabsicht der Alliierten auswerten. Er stellte zudem seine Ideen und praktischen Erfahrungen in den Dienst einer modernen wirtschaftlichen Entwicklungspolitik zur organischen Erschließung der südosteuropäischen Volkswirtschaft. Bis 1957 arbeitete Gross wieder am Institut für Weltwirtschaft in Kiel und übernahm dann eine Professur an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität. 1962 berief ihn die Universität München an das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Südosteuropas, die erste und einzige Lehrkanzel dieser Art. 1971 wurde er emeritiert.

Die deutsche Südosteuropaforschung und die deutsche Wirtschaftswissenschaft besitzt in Hermann Gross einen Gelehrten, der eine konstruktive Synthese zwischen praktischer Tätigkeit auf Grund persönlicher Erfahrung und wissenschaftlicher Forschung und Lehre gefunden hat, dessen Denken stets auf das Wesentliche gerichtet ist. Seine Mitgliedschaft bei zahlreichen Institutionen und internationalen Vereinigungen (so u. a. Mitgründer und Vizepräsident der Südosteuropa-Gesellschaft in München) kennzeichnen einen weiten Aktionsradius. Seine Veröffentlichungen behandeln vorwiegend wirtschaftspolitische Fragen, insbesondere Ost- im Südosteuropa, Probleme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa (EWG, EFTA, COMECON) und der Weltwirtschaft.

Werke: Jens Meier, Veröffentlichungen von Hermann Gross, in: Die Außenwirtschaft Südosteuropas. Entwicklung, Probleme, Perspektiven. Hrsg. von J. Meier und J. Hawlowitsch, Köln o. J. (1970), S. 24-26.