Biographie

Grotthuss, Dietrich Ewald von

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Komponist
* 15. April 1751 in Mitau/Kurland
† 1. Januar 1786 in Geddutz

Unter den zahlreichen gegenseitigen Widmungen von Komponisten nehmen die beiden Korrespondenzkompositionen zwischen Carl Philipp Emanuel Bach und Dietrich Ewald von Grotthuß durch ihren Anlaß eine besondere Stellung ein: die Übersendung des „Silbermannschen Klaviers“ aus dem Besitz von C. Ph. E. Bach an Grotthuß. Die beiden Stücke sind wiederholt gedruckt worden (zuerst in Mitau 1916 bei Steffenhagen & Sohn, Hg. Otto Clemen) und daher in der Gegenwart häufiger im Konzertsaal zu hören, nicht zuletzt auch wegen der zur Zeit besonders protegierten Aufführungspraxis auf alten Instrumenten. So ist der Name des kurländischen Landedelmanns Dietrich Ewald von Grotthuß in der Musikgeschichte wahrnehmbar geblieben, wenngleich kaum als Komponist, denn als Empfänger des Silbermannschen Klaviers.

Als Sohn des Landesbevollmächtigten Johann Gebhard von Grotthuß und dessen Frau Charlotte Agnesa von Müllenheim geboren, war Dietrich Ewald von Grotthuß für die Offiziers- oder Beamtenlaufbahn bestimmt. Er hatte kurz in der preußischen Armee gedient, aber wohl seiner schwächlichen Gesundheit wegen bald seinen Abschied nehmen müssen, um sich mehr und mehr der Musik zuzuwenden. Er wurde als ausgezeichneter Klavierspieler genannt, welcher in der Residenzstadt Mitau musikalisch Anschluß fand. Hier wäre der gleichaltrige Johann Georg Witthauer zu nennen, der 1767 in Mitau als Klavierlehrer – auch in der herzoglichen Familie – tätig war, und mit dem Grotthuß in freundschaftlicher und fördernder Verbindung stand. Wiederholt unternahm Grotthuß größere Reisen, die auch musikalische Ziele hatten, wenngleich er immer wieder auf seine schwächliche Gesundheit Rücksicht nehmen und Kurorte aufsuchen mußte. Ein von ihm verfaßtes „Lied vom Kanapee“, das in einem Liederbuch von 1764 aus dem Familienbesitz enthalten ist, könnte mit gewisser Ironie seinen Gesundheitszustand in Beziehung zum Kanapee gebracht haben.

1773 heiratete er Elisabeth Eleonore von Grotthuß aus dem Hause Geddutz, wo das Paar nun auch wohnte. Daß zu der Hochzeit C. Ph. E. Bach eine Kantate geschrieben hätte, ist ein wiederholt fortgeschriebener Irrtum. Grotthuß hat C. Ph. E. Bach wohl erst später und mindestens zweimal in Hamburg besucht (1780 oder 1781sowie 1785) und vielleicht auch musikalische Unterweisungen erhalten. Das Silbermannsche Klavier von C. Ph. E. Bach erwarb Grotthuß 1781. Es handelte sich um ein Clavichord des berühmten Gottfried Silbermann, des „Freiberger Silbermann“. Dieser war nicht nur als Orgelbauer, sondern auch für seine „überaus leicht und bequem zu spielenden Claviere“ berühmt gewesen. Aus dem klagenden Stück „Abschied vom Silbermannschen Klavier“ in einem Rondo e-moll, das C. Ph. E. Bach dem Instrument, „seinem Liebling“ beifügte, ist zu hören, daß ihm der Abschied schwergefallen ist. Grotthuß bedankte sich mit dem fröhlichen Stück „Freude über den Empfang des Silbermannschen Klaviers“ in einem Rondo in C-Dur, nun als glücklicher Besitzer dieses „Kleinods“. Dies war jedoch nicht die einzige musikalische Beziehung zwischen den beiden. So korrigierte Bach die Grotthußsche Motette „Herr, höre meine Worte“ und führte diese 1781 mehrmals in Hamburg auf. Davon berichtete Witthauer an Grotthuß in einem Brief aus Hamburg vom 19. Januar 1782: „Ihre vortreffliche Muse, so Sie Herrn Bachen gegeben haben, habe ich vergangenen Sommer in hiesigen Kirchen mit dem grössten Vergnügen aufführen hören, und meine Empfindungen haben ihnen vollen Beifall zugeklatscht.“ In einigen Werken C. Ph. E. Bachs steht Grotthuß in der Pränumeranten-Liste, wiederholt subskribierte er sogar mehrere Exemplare. Dadurch trat er wesentlich für die Verbreitung des Schaffens von C. Ph. E. Bach in den baltischen Landenein.

 Weitere musikalische Kontakte bestanden zu dem langjährigen Konzertmeister der kurländischen Hofkapelle, Franz Adam Veichtner, und auch zu Johann Adam Hiller, der 1781 erstmals nach Mitau gekommen war und im Mai 1785 seine Stelle als kurländischer Hofkapellmeister in Mitau angetreten hatte. In näherer Beziehung stand Grotthuß mit dem Leipziger Schriftsteller Chr. F. Weiße, der 1785 Pate seines Sohnes Christian wurde, welcher sich später als Naturwissenschaftler einen Namen machte.

1784 und 1785 reiste Grotthuß über Leipzig nach Karlsbad zur Kur, die nur vorübergehende Linderung seiner Leiden bringen sollte, denen er im Alter von 35 Jahren erlag. Hingewiesen sei noch auf seinen in Staatsdiensten stehenden Bruder Johann Ulrich (1753–1815), ebenfalls ein Schöngeist, der mit Gedichten und Schriften zur Landeskunde hervorgetreten ist.

Anzunehmen ist, daß das kompositorische Schaffen von Grotthuß wohl klein gewesen ist. Nachweisbar ist noch eine zweistimmigen Fuge e-moll und Sonate d-moll „per il Cembalo“ von 1777. Mehr scheint sich nicht erhalten zu haben, auch nicht das Silbermannsche Klavier.

Lit.:Deutsch-Baltisches biographisches Lexikon, hg. von Wilhelm Lenz, Köln 1970, S. 267. – Erwin Kemmler: Johann Gottfried Müthel (1728–1788) und das nordostdeutsche Musikleben seiner Zeit. Wissenschaftl. Beitr. zu Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas. I. A. des Johann-Gottfried-Herder-Instituts, Nr. 88, Marburg/Lahn 1970, passim. – Renate Selinger-Barber: Die Beziehungen Carl Philipp Emanuel Bachs zum Baltikum, in: Nachrichtenblatt der balt. Ritterschaften 112 (1986), S. 60f. – H. Scheunchen: Die Musikgeschichte der Deutschen in den baltischen Landen, in: Werner Schwarz, Franz Kessler, Helmut Scheunchen: Musikgeschichte Pommerns, Westpreußens, Ostpreußens und der baltischen Lande, Dülmen 1990, S. 146 . – Ernst Suchalla (Hg.): Carl Philipp Emanuel Bach – Briefe und Dokumente. Kritische Gesamtausgabe, Göttingen 1994, Bd. 2, S. 1597.– Leonidas Melnikas: C. Ph. E. Bachas ir Pabaltiys. Apie brolius Grotthussus/C. Ph. E. Bach und das Baltikum. Über die Brüder Grotthuss (deutsch u. litauisch), Vilnius 1997 (im Anhang ausgew. Briefe).– H. Scheunchen: Dietrich Ewald von Grotthuß, in: Lexikon deutschbaltischer Musik. Hg. von der Georg-Dehio-Gesellschaft, Wedemark-Elze 2002, S. 95.

Bild: Private Ostdeutsche Studiensammlung.

Helmut Scheunchen