Biographie

Grüner, Josef Sebastian

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Jurist, Heimatforscher, Freund Goethes
* 16. Februar 1780 in Eger
† 16. Januar 1864 in Eger

„Obgleich manche Reize und Lockungen mich nach dem Rheine ziehn, so wünsche ich doch, das gute, alte Böhmen wiederzusehn, das mir durch Ihre Darstellung sowie durch die Sagen wieder aufs neue interessant geworden ist. Vor der Einbildungskraft und der Erinnerung steigt Böhmen wirklich als der Gegensatz von den Rheingegenden hervor…“

So beschreibt Goethe seine Eindrücke von Böhmen, ja insbesondere des Egerlandes mit den Kurorten Marienbad, Karlsbad und Franzensbad. Dort weilte er zeit seines Lebens oft und hatte sich im Laufe seiner Lebensjahre – ganz gleich, ob er zum Kuren oder zum Studium Westböhmen besuchte – ein reges und illustres Netzwerk an Freunden und Gleichgesinnten aufgebaut. Zu ihnen gehörten unter anderem der Theologe und Naturwissenschaftler Caspar Maria Graf von Sternberg, der Arzt, Botaniker und Brasilienforscher Johann Baptist Emanuel Pohl und der Stockholmer Chemiker Johann Jakob von Berzelius, aber auch Josef Sebastian Grüner aus Eger.

Grüner entstammte einer alteingesessenen Egerer Familie und war der Sohn des bürgerlichen Hutmachers Sigmund Josef Grüner und dessen Frau Anna Margarethe Bocker. Nach der Egerer Lateinschule zog es den jungen Grüner zum Jurastudium nach Prag, wo er Jahre später für einen Advokaten arbeitete. Ab 1807 nahm er für nahezu ein halbes Jahrhundert das sehr verantwortungsvolle Magistrats- und Kriminalratsamt in Eger an. Grüner war dabei vor allem mit Aufgaben der Rechtspflege einschließlich des Polizeiamtes betraut. Während der Napoleonischen Kriege war er außerdem für den Transport und die Verpflegung der durchziehenden Truppen zuständig und betätigte sich in der ihm verbleibenden Zeit neben dem Beamtenberuf intensiv mit der Erforschung seiner Heimat, dem Egerland und insbesondere der Stadt Eger selbst. Durch seinen Beruf sollte Grüner mit Johann Wolfgang von Goethe in Kontakt kommen. Es war der 26. April 1820, an dem sich der Magis­tratsrat von Berufs wegen zur „Goldenen Sonne“ aufmachte, der Unterkunft, in der sich der zu jener Zeit schon überregional bekannte Goethe während seines Egerlandbesuches als Kurgast aufhielt. Grüner nutzte die Gunst der Stunde, den zur Vidi­mierung dem Egerer Polizeiamt vorgelegten Reisepass Goethes persönlich vorbei zu bringen. Dies war der Beginn einer Freund­schaft, die erst mit dem Tod Goethes zu Ende gehen sollte. Nach Johannes Urzidil (Goethe in Böhmen) kam es zu einem regen Austausch zwischen dem engagierten Heimatforscher und dem Literaten von Welt. Die Literatur war allerdings nur ein Teil der zahlreichen Beschäftigungen und Interessen Goethes. Was die beiden Männer an jenem Aprilnachmittag 1820 auf einen Nenner brachte, war ein ganz anderer Bereich. Der geologisch interessierte Goethe hatte schon oft den Kammerberg bei Eger bestiegen. Nun saß ein Verwaltungsbeamter in hoher Stellung vor ihm, der ihm erklärte, dass er seine Heimat Eger erforsche, die Erhaltung von Denkmälern fördere und dafür recherchiere und schon zahlreiche Persönlichkeiten, darunter Geistliche, zu ihren Gemeinden und Pfarreien befragt hätte. Das Ergebnis sei seine Schrift Über die ältesten Sitten und Gebräuche der Egerländer gewesen. Jahre später würde dieser überaus gesprächige Magistratsrat noch seine Beiträge zur Geschichte der königlichen Stadt Eger und des Eger’schen Gebietes aus Urkunden veröffentlichen. Wie der sprichwörtliche „Phönix aus der Asche“ muss es Goethe vorgekommen sein, denn nun hatte er jemanden gefunden, der über gute Ortskenntnisse verfügte und noch dazu seine Interessen teilte. Dieser jemand teilte Goethe mit, dass der von ihm so studierte Kammerberg (oder auch Kammerbühl genannt) einen neuen Versuchsschacht gebaut bekommen habe, der neue Erkenntnisse zu Tage fördern könnte. Während Goethe den Egerer Rat Grüner ermunterte, seine volkskundlichen Studien fortzuführen, die er stets mit Begeisterung las, eröffnete sich für Grüner gleichzeitig ein neues Betätigungsfeld, durch Goethe inspiriert: die Mineralogie und die Geologie. Auftakt zu Grüners Sammlerleidenschaft sollte ein Fächerkasten für Mineralien werden, den er von Goethe geschenkt bekam, und damit verbunden ein reger Tauschverkehr zwischen Weimar und Eger – zum Leidwesen von Frau Grüner, deren Schränke sich immer mehr mit neuen Mineralien und Kästen füllten. Wenige Jahre später sollte auch das Mineral „Egeraner“, gefunden bei Haslau, einen Platz dort bekommen.

Der bereits angesprochene Kammerberg war während Goethes Aufenthalten in Westböhmen immer wieder Anziehungspunkt für seine Studien und spätere naturwissenschaftliche Schriften, wie Der Kammerbühl bei Eger, Cammerbühl oder Uralte neuentdeckte Naturfeuer und Glutspuren. Insgesamt fünf Studien widmete Goethe dem Kammerbühl, wobei er diesen elfmal mit seinen westböhmischen Bekannten besucht hat.

Wie eng die Beziehung zwischen Goethe und Grüner war, zeigen auch die Aufenthalte des Dichters bei der Familie von Grüner. Frau Grüner erfreute Goethe dabei immer mit kleinen Aufmerksamkeiten, die Freundschaft mit Grüner selbst wurde immer intensiver, bis er von Goethe schon liebevoll „Freundchen“ genannt wurde und auch mit den Grüner-Kindern trieb er immer wieder „Schabernack“. Goethe genoss während seiner Aufenthalte in Westböhmen die Gesellschaft Grüners, der ihm allerlei Wissenswertes über Lokal- und Verwaltungsgeschichte des Egerer Raums berichtete. Für Grüner hatte mit dem Kennenlernen von Goethe ein neues Leben begonnen: Er widmete sich fortan auf Anraten von Goethe immer intensiver der Erkundung und Pflege seiner Heimat Eger und begann auch über die heimische Geologie und die Bodenschätze zu schreiben. Daneben beschäftigte sich Grüner mit der Topographie und der Ethnographie. Für Grüners Verdienste um die Wissenschaft wurde er auf Empfehlung von Goethe 1824 mit der „Großherzoglichen Weimar’schen Goldenen Medaille“ durch den Großherzog von Sachsen-Weimar geehrt. Er war des weiteren Mitglied der „Böhmischen Patriotischen Gesellschaft“ in Prag sowie der „Russisch Kaiserlichen Mineralogischen Gesellschaft“ in Sankt Petersburg und in Jena und Jassy in der naturforschenden Gesellschaft. Seine mineralogischen Sammlungen gelangten nach seinem Tod in das Museum des Stift Tepl in Westböhmen, dem Ort, an dem ein weiterer Goethe-Freund, nämlich der Prämonstratenser und Pilsener Professor Jos. Stanislaus Zauper Chorherr war. Jener Geistliche lehrte seit 1809 Griechisch, Poetik und Rhetorik am Pilsener Gymnasium und war daneben als Schriftsteller tätig.

Grüner ist Verfasser zahlreicher Schriften, wie der Beiträge zur Geschichte der königlichen Stadt Eger und des Eger’schen Gebiets aus Urkunden. Dieses Werk stellt eine Zusammenfassung der städtischen Satzungen unter Heranziehung einer Urkunde Rudolf von Habsburgs von 1279 dar. Ebenfalls dazu gehört die Schrift Über die ältesten Sitten und Gebräuche der Egerländer (1825) sowie der Briefwechsel und mündliche Ver­kehr zwischen Goethe und dem Rathe Grüner (1853). 1917 wurde diese Korrespondenz zusätzlich mit jener von J. St. Zauper von August Sauer neu herausgegeben.

Grüner bewies neben seinen Interessen an Mineralogie, Geologie und der Lokalgeschichte auch ein tiefes historisches Traditionsbewusstsein und wusste die Aufgaben eines Stadtbeamten gut mit geschichtsträchtigen Momenten zu vereinbaren. Als am 15. März 1848 das Konstitutionspatent erlassen wurde, hatte es für kurze Zeit den Anschein, dass Egers generationenlanger Kampf gegen eine staatsrechtliche Einbeziehung in das Königreich Böhmen im Sinne einer Wiedervereinigung mit Deutschland endgültig bereinigt werden könnte, war es Magistratsrat Grüner, der bei der spontanen Grenzverbrüderungsfeier im März 1848 die Deputation aus Bayern namens der Stadt an der Grenze in Empfang nahm und in festlichem Zug nach Eger geleitete.

Hochbetagt verstarb Grüner 1864 in Eger.

Werke (in Auswahl): Beiträge zur Geschichte der königlichen Stadt Eger und des Eger’schen Gebietes aus Urkunden, 1843. – Über die ältesten Sitten und Gebräuche der Egerländer, 1825. – Briefwechsel und mündlicher Verkehr zwischen Goethe und dem Rathe Grüner, 1853.

Bild: Encyklopedie města Chebu.

Julia Nagel