Vitus Johannes Grummann erblickte am 3.3.1899 in einer Lehrerfamilie im oberschlesischen Jakobsdorf bei Falkenberg das Licht der Welt. Jakobsdorf ist heute in die ehemalige Kreisstadt Falkenberg [heute Niemodlin] als Ortsteil Jacubowice eingemeindet. In Bad Ziegenhals [heute Głuchołazy] erhielt er von 1913 bis 1920 am dortigen Lehrerseminar seine Ausbildung als Volksschullehrer. Die Ausbildung wurde aber vom Juni 1917 bis zum Januar 1919 durch Einberufung zum Heeresdienst unterbrochen, den er zunächst bei der Infantrie und später beim Grenzschutz leisten musste. Von 1920 bis 1942 war er als Lehrer in Berlin tätig und war in dieser Zeit ständig bemüht, sein Wissen zu erweitern und beruflich voranzukommen. So konnte er 1930 die Sonderschul-Lehrerprüfung absolvieren und legte 1937 das Begabtenabitur beim Erziehungsministerium in Berlin ab. Danach schrieb er sich an der Berliner Universität ein und studierte Spezielle und Allgemeine Botanik, Geologie mit Paläontologie sowie Zoologie. Leider wurde auch dieses Studium durch erneute Einberufung zum Wehrdienst gestört, den er vom August 1939 bis zum Juni 1941 leisten musste. Dennoch konnte er bereits 1939 die mündliche Prüfung zum Doktorexamen ablegen und wurde 1941 beim Direktor des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem Ludwig Diels (1874-1945) zum Dr. rer. nat. promoviert. Seine Dissertation beschäftigte sich mit Bildungsabweichungen bei Flechten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Grummann ab 1946 als Abteilungsleiter an der Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht eingesetzt und unterrichtete gleichzeitig an Berliner Gymnasien. 1954 wurde er Studienrat und wirkte bis zur 1963 erfolgten Pensionierung in Berlin-Steglitz.
Grummann war vielfältig interessiert, sein Hauptinteresse lag dabei auf botanischem Gebiet, speziell bei der Flechtenkunde (Lichenologie). Hier beschäftigte er sich zunächst in seiner Dissertation und daran anschließend mit Bildungsabweichungen von Flechten. Solche Abweichungen können vielfältige Ursachen haben, angefangen von Schneckenfraß und anschließenden Regenerationen über abweichende ökologische Bedingungen bis hin zum Befall der Flechten, die ja selbst eine dauerhafte Symbiose zwischen Pilzen und Algen oder Cyanobakterien (früher als „Blaualgen“ bezeichnet) darstellen, mit spezifischen, parasitischen Pilzen. Diese Abweichungen führten wiederholt dazu, dass derart veränderte Flechten als neue Arten oder Varietäten beschrieben wurden. Grummann entwickelte ein System zur Benennung solcher Abweichungen und trug dieses auch 1950 auf dem VII. Internationalen Botanikerkongress in Stockholm vor.
Besondere Verdienste erwarb er sich darüber hinaus mit der Publikation eines Katalogs der Flechten Deutschlands, wobei das Gebiet Deutschlands, in den Grenzen von 1937 aufgefasst, in 25 Naturräume gegliedert wurde. Modern ausgedrückt würde man von einer kommentierten Checkliste sprechen. Dazu musste eine Vielzahl einzelner floristischer Arbeiten erfasst und genau ausgewertet werden. Die Notwendigkeit einer solchen Arbeit hatte sich wohl daraus ergeben, dass Grummann den als Manuskript des Berliner Lehrers Johannes Hillmann (1881-1943) hinterlassenen Flechtenband der Kryptogamenflora der Mark Brandenburg ergänzte und 1957 herausgab, als wieder geeignete Publikationsmöglichkeiten bestanden. Auch zur mehrteiligen Auflistung der Flechten Mitteleuropas des verstorbenen Arztes Georg Lettau (1878-1951) hatte Grummann ein Register verfasst. Der Katalog von Grummann diente nicht nur dazu, die bisherigen floristischen Angaben zusammenzufassen, sondern auch zugleich die Benennung zu vereinheitlichen und zu stabilisieren.
Eine Folge dieser Arbeit war dann wohl die Erarbeitung seines Biographisch-bibliographischen Handbuchs der Lichenologie, das zu einem grundlegenden Nachschlagwerk der Botanik und Mykologie von bleibendem Wert wurde. Ziel dieses Werkes war es, zu allen Personen, die weltweit über Flechten publiziert hatten, biographische und bibliographische Angaben zu ermitteln und darzustellen. Dazu waren umfangreiche Nachforschungen in der Literatur aber ebenso in Archiven und bei Fachkollegen in verschiedenen Ländern nötig. Grummann führte dazu einen umfangreichen Schriftwechsel in mehreren Sprachen, der so bedeutsam eingeschätzt wurde, dass er aus dem Nachlass Grummanns vom Hunt Institute for Botanical Documentation im amerikanischen Pittsburgh aufgekauft wurde. Leider erlebte Grummann die Drucklegung seines Hauptwerks nicht mehr. Das Manuskript konnte aber durch Oscar Klement (1897-1980) fertiggestellt und veröffentlicht werden. Es enthält grundlegende Informationen zu 3.865 Autoren aus über 40 Ländern und bildet damit eine einzigartige Informationsquelle, wie sie für keine andere botanische Teildisziplin existiert.
Vitus Grummann blieb auch immer mit seiner schlesischen Heimat verbunden und beschäftigte sich speziell mit einigen schlesischen Künstlern. So veröffentlichte er einen Aufsatz über den schlesischen Dichter Georg Hauptstock (1901-1944) und einen Nachruf für diesen. Ebenso beschäftigte er sich mit der Biographie des Bühnendichters Felix Kügele. Von breiterem Interesse ist eine in Buchform publizierte Zusammenstellung von Goethe-Zitaten mit dem Untertitel Natur – Gott – Religion. Auch wäre noch die Veröffentlichung eines Briefs des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann (1862-1946) zu nennen.
Wie vielfältig die Interessen und Aktivitäten Grummanns waren, zeigt sich nicht zuletzt auch in der Herausgabe einer Lehrtafel Von der Blüte zur Frucht für Höhere Schulen und Universitäten im Berliner Verlag Gerhard Gambke.
Vitus Johannes Grummann war mit einer Berufskollegin verheiratet, die Ehe blieb aber kinderlos.
Werke (Auswahl): Die Flechtenflora der Insel Rügen mit Hiddensee, Feddes Repertorium Beiheft 81 A (1935), S. 1-56. – Morphologische, anatomische und entwicklungsgeschichtliche Studien über Bildungsabweichungen bei Flechten. – Ibid. 122 (1941) S. I-VIII, 1-134 [= Dissertation]. – Kryptogamenflora der Mark Brandenburg, Bd. 8, Flechten, Berlin: Borntraeger 1957 (mit J. Hillmann). – Index zu G. Lettau: Flechten aus Mitteleuropa, in: Feddes Repertorium 61 (1958), S. 172-192. – Die Cecidien auf Lichenen, in: Botanisches Jahrbuch 80 (1960), S. 101-144. – Catalogus Lichenum Germaniae, Stuttgart: G. Fischer 1963. – Biographisch-bibliographisches Handbuch der Lichenologie, Lehre: J. Cramer 1974. – Johann Wolfgang Goethe. Natur – Gott – Religion. Nach Aussprüchen, Versen und Fragmenten zusammengestellt, Wiesentheid 1948. – Gerhart Hauptmann, rein menschlich erlebt. Mit der Erstveröffentlichung eines Briefes des Dichters, in: Schlesien 2 (1957) S. 82-87. – Felix Kügele. Das Leben einer oberschlesischen Künstlerpersönlichkeit, in: Mitteilungen des Beuthener Geschichts- & Museumsvereins 29/30 (1968), S. 195-200. – Drei Gedichte des Peter-Schrat-Dichters Georg Hauptstock (1901-1944), in: Ibid. 29/30 (1968), S. 218-222. – Schriftsteller Georg Hauptstock (1901-1944), Nekrolog, in: Ibid. 29/30 (1968), S. 243-249.
Lit.: O. Klement, Vitus Johannes Grummann, in: Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 81 (1968), S. 81-84 – A. Perlick, Studienrat Dr. rer. nat. Vitus Johannes Grummann (1899-1967), in: Beuthener Abhandlungen zur oberschlesischen Heimatforschung 31 (1970), S. 1-6 – Grummann, V.J., Biographisch-Bibliographisches Handbuch der Lichenologie, Lehre: J. Cramer 1974 – P. Scholz in G. Wagenitz, Die Erforscher der Pflanzenwelt von Berlin und Brandenburg, Verhandlungen des Botanischen Vereins Berlin, Brandenburg Beiheft 6 (2010) – Kärnefelt et al., Schlechtendalia 23 (2012) – L.J. Dorr/ D.H. Nicolson, Taxonomic literature Suppl. VIII: Fres-G., Ruggell: Gantner 2009.
Bild: Archiv des Botanischen Museums der FU Berlin.
Peter Scholz