Biographie

Guttmann, Jakob

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: jüdischer Theologe, Philosoph
* 22. April 1845 in Beuthen/Oberschlesien
† 29. September 1919 in Breslau

Jakob Guttmann stammte aus einer seit Generationen in Oberschlesien und Mähren ansässigen Familie, in der die Beschäftigung mit rabbinischem und talmudischem Wissen eine lange Tradition hatte. Die erste religiöse Ausbildung erhielt er durch seinen Vater, den Kaufmann Moses Guttmann, der ihn in die Lektüre der Heiligen Schriften einführte. Zugleich ermöglichte ihm das Elternhaus die Begegnung mit der Literatur der deutschen Klassik. Nach dem Schulbesuch in seiner Heimatstadt Beuthen wechselte Guttmann 1861 mit der Untersekunda-Reife an das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau über, das zu den angesehensten Lehranstalten Deutschlands zählte. Dort lenkten Zacharias Frankel und Heinrich Graetz das Interesse des begabten Schülers auf die jüdische Theologie und Philosophie des Mittelalters sowie der Neuzeit. Gleichzeitig bestärkten sie ihn in der von seinem Vater grundgelegten Einstellung, wonach die jüdische Literatur mit modernen wissenschaftlichen Methoden zu erforschen sei.

An der Friedrich-Wilhelms-Universität der schlesischen Metropole vertiefte Guttmann seine philosophischen Studien, die er 1868 mit der Promotion zum Dr. phil. abschloß. In seiner DissertationDe Cartesii Spinozaeque philosophiis ging es um das Verhältnis zwischen zwei wesentlichen Gestalten der frühen Aufklärung. Daran anschließend wandte sich Guttmann verstärkt der mittelalterlichen Philosophie zu. 1874 wurde er in die Leitung des Landrabbinats zu Hildesheim berufen, wo er fast zwei Jahrzehnte von 1874 bis 1892 wirkte. In dieser Zeit verfaßte er neben zahlreichen kleineren Artikeln auch drei Monographien, die in der Fachwelt auf ein großes Echo stießen. 1879 erschien Die Religionsphilosophie des Abraham ibn Daud aus Toledo. Ein Beitrag zur Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie und der Philosophie der Araber, worin der Verfasser einen wenig bekannten Vorgänger von Moses Maimonides kritisch würdigte. Die 1882 veröffentlichteReligionsphilosophie des Saadia war einem der bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters gewidmet, der unter anderem die hebräische Bibel ins Arabische übersetzt hatte. Beiden Arbeiten Guttmanns wie auch derPhilosophie des Salomon ibn Gabirol (Avicebron) aus dem Jahre 1889 gingen umfangreiche Quellenstudien anhand der jüdischen, arabischen und griechischen Urtexte voraus. Später verlagerte Guttmann den Schwerpunkt seiner Forschungen auf die jüdisch-christlichen Beziehungen im Früh- und Hochmittelalter. So entstandenDas Verhältnis des Thomas von Aquino zum Judentum und zur jüdischen Literatur (1891) undDie Scholastik des 13. Jahrhunderts in ihren Beziehungen zum Judentum und zur jüdischen Literatur (1902). In letzterer Abhandlung erörterte Guttmann den Einfluß von Maimonides, Gabirol und Isaak Israeli auf Albertus Magnus, Duns Scotus und andere christliche Theologen. Dabei verstand er es, die jüdische Sicht herauszuarbeiten, ohne den christlichen Leser zu verletzen.

1892 berief die jüdische Gemeinde in Breslau den inzwischen weithin bekannten und geschätzten Gelehrten zu ihrem Vorsteher. Dieses Amt bekleidete Guttmann bis zu seinem Tode. Von den zahlreichen Publikationen seiner letzten Schaffensperiode seien die Aufsätze für das von ihm mit herausgegebene SammelwerkMoses ben Maimon (1908-1914) sowie eine Reihe von Artikeln zu Leben und Werk jüdischer Philosophen erwähnt.

Darüber hinaus übernahm Guttmann wichtige Ämter im "Verband der deutschen Juden", im "Deutsch-israelitischen Gemeindebund", im "Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" und in der internationalen Vereinigung "B’nai B’rith". Seit 1910 war er Präsident des "Deutschen Rabbinerverbandes". Bleibende Bedeutung kam seiner Tätigkeit in der "Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums" zu, an deren Gründung und Ausgestaltung er wesentlichen Anteil hatte. So regte er unter anderem die Herausgabe des Corpus Tannaiticum und der Reihe Germania Judaica an und bereicherte die Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, das Publikationsorgan der Gesellschaft, mit zahlreichen Beiträgen. Fachkollegen würdigten Guttmanns Verdienste 1915 mit der Herausgabe einer Festschrift zu seinem 70. Geburtstag.

Jakob Guttmann zählte zu den führenden Repräsentanten des deutschen Judentums im Zweiten Kaiserreich. Seine Arbeiten zur jüdischen Philosophie des Mittelalters und ihren Beziehungen zur christlichen Theologie haben bis heute grundlegende Bedeutung. Einen würdigen Nachfolger fand der Gelehrte in seinem Sohn, dem Philosophen Julius Guttmann (1880-1950).

Werke: Übersicht von N. M. Nathan, in: Festschrift zum siebzigsten Geburtstag Jakob Guttmanns, Breslau 1915. – Fest- und Sabbatpredigten, hrsg. v. J. Guttmann, Frankfurt/M. 1926.

Lit.: M. Brann: Nachruf, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums N.F. 28 (1920), S. 1-7. – I. Heinemann: Jakob Guttmann, in: ebd., S. 250-272. – Artikel Guttmann, Jakob, in: The Universal Jewish Encyclopedia, Bd. 5, New York 1948, S. 136. – S. Pines: Artikel Guttman, Jacob, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 7, Jerusalem 1971, Sp. 992 f. – Artikel Guttmann, Jakob, in: Oberschlesisches Literatur-Lexikon, T. 2, Berlin 1990, S. 137.

Bild: aus: S. Pines, a.a.O., Sp. 993.

 

  Christof Dahm