Biographie

Habe, Hans

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Herkunft: Ungarn
Beruf: Schriftsteller
* 12. Februar 1911 in Budapest
† 29. September 1977 in Locarno

Als einen Autor „voller Eitelkeit und Brillanz“ bezeichnete Melvin Lasky Hans Habe, der als János Békessy 1911 in Budapest geboren wurde. Der Vater, Imre Békessy, zum Katholizismus übergetretener Jude, erregte in Wien mit obskuren Zeitungsgründungen und Erpressungen Aufsehen. Békessy ließ sich für die Stories bezahlen, die er nicht veröffentlichte. Er geriet auf diese Weise sogar in den Fokus von Karl Kraus‘ Fackel. Kraus polemisierte: „Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“. Habe selbst hat in seiner frühen Autobiographie Ich stelle mich! ein Portrait des Vaters entworfen: Liebe und Verachtung, aber auch die Last, die dieses Familienerbe für ihn bedeutete, sind darin deutlich spürbar. Kraus‘ Invektive blieb nicht ohne Folgen: Der Vater kehrt nach Budapest zurück, Habe blieb bis zur Matura 1929 an dem Gymnasium Stuben­bastei in Wien. Dort lernte er die später berühmte Hilde Spiel kennen: Eine kurze Liebesbeziehung und dauerhafte Freundschaft begann damit. Die Namensänderung datiert auch in diese Anfänge. Man vermutet, dass sie als Distanzierung vom Vater gedacht war: „Hans Habe“ ist zugleich Verwischung der Spuren und deren Reprise – Hans ist die Übersetzung von Janos, Der Nachname ist aus der ersten Silbe des deutschen Vornamens und des Nachnamens zusammengesetzt.

Ein Studium in Heidelberg (Jura und Germanistik) bricht der junge Habe ab, nachdem er als Jude aus seiner Burschenschaft ausgeschlossen wird. Er beginnt ein Leben mit vollem Tempo als Journalist: mit 20 Jahren heuert er bei der Wiener Sonn- und Montagszeitung an und landet sogleich einen Coup: Er enttarnt Hitlers Familiennamen Schicklgruber, und er nutzt dieses Rechercheergebnis, um die Lächerlichkeit der NS-Bewe­gung deutlich zu machen. Die „Bewegung“ sollte zurückschlagen: Nach dem Anschluss Österreichs wird Habe 1938 als einer der ersten Prominenten ausgebürgert werden.

Zunächst beginnt eine Atem beraubende Karriere, die wohl nur in den ausgehenden Zwischenkriegsjahren so möglich war: Als 21jähriger wurde er bei der Österreichischen Abendzeitung zum jüngsten Chefredakteur Europas. Nur kurze Zeit dauerte ein Gastspiel bei der austrofaschistischen Heimwehr.

Er führte mit Sinn für große Namen und Episoden unter anderem viel beachtete Interviews Iwan Bunin und André Gide. Im Auftrag der Prager Zeitung berichtete er vom Völkerbund und beschrieb im Einzelnen die diplomatische Indolenz und Hilflosigkeit gegenüber Hitler. In seinem Thriller Die Mission (1938) setzte er der Konferenz von Evian und der Unfähigkeit von 32 Nationen, die vom Hitlerregime Verfolgten aufzunehmen, ein Mahnmal. Auch das Privatleben vollzieht sich im Stakkato – und dies sollte so bleiben. Bis zu seinem Tod durchlebte Habe fünf gescheiterte Ehen, erst die sechste hatte Bestand. Die Ehe mit seiner ersten Frau Margit Bloch wird nach weniger als zwei Jahren geschieden, 1934 heiratet er Erika Levy, die Tochter von Walter Levy, die ihrerseits von dem Sohn des Presszaren Rudolf Mosse geschieden worden war.

1937 debütierte Habe als Schriftsteller mit dem Roman Drei über die Grenze, dem ersten Flüchtlingsroman der NS-Zeit. Er bleibt am Puls der Zeit, erlebt aus erster Hand und am eigenen Leibe die Verwerfungen der Zeitgeschichte: Seine Emigration verläuft 1939 über die Schweiz nach Frankreich, wo er in die Freiwilligenarmee eintritt, von den Deutschen gefangengenommen und im Lager Drancy interniert wird. Er kann indes seine jüdische Herkunft verbergen, was ihm das Leben gerettet haben dürfte. Auch darüber legt er wenig später einen Roman vor: Ob tausend fallen. Er kann über Spanien und Portugal in USA entkommen, weil er als einer der wichtigsten Anti-NS-Autoren auf einer Rooseveltschen Liste stand und ein Notvisum erhielt.

Habe vergaß Amerika die Rettung nie, mit Verve trat er künftig für den „New Deal“ ein, dessen Wiederauflage er in dem Programm Präsident Kennedys sah. Nach dessen Ermordung 1963 legte Habe übrigens in kürzester Zeit ein bemerkenswertes Buch Tod in Dallas vor. Ein Fazit der amerikanischen Erfahrungen brachte er später auf die Formel: „New York ist nicht Amerika. Vielleicht ist das die amerikanische Tragödie“. Habe wird 1942 in die US-Armee eingezogen und im Military Intel­ligence Training Center in Camp Ritchie in psychologischer Kriegführung unterwiesen. Er wird nach eigenen abenteuerlichen Einsätzen in Nordafrika und Italien selbst Ausbilder. Seine Sonderstellung ist legendär, und nicht mit sonderlicher Sympathie von Weggefährten dieser Zeit wie Stefan Heym später beschrieben worden: Nur Generälen und dem Leutnant Habe sei es gestattet gewesen, „nach eigenem Geschmack ge­schneiderte Sonderuniformen zu tragen“. Habe zog 1944 mit den siegreichen Truppen in Paris ein, er stilisierte die Kriegs- und erotischen Abenteuer in dem furiosen Roman Wohin wir gehören (1947), wobei der Captain Peter Ogden das eigene Alter Ego ist. Besonders bizarre Szenarien, wie der Kampf gegen verbliebene Heckenschützen auf der Place de la Concorde, dürften sich allerdings tatsächlich zugetragen haben.

Eine Schlüsselrolle kam Habe für die Reeducation in der allerersten Nachkriegszeit in Deutschland zu. In der 12. Armeegruppe war er für die Herausgabe neuer Zeitungen und Zeitschriften verantwortlich. In München hob er mit dem Chefredakteur Erich Kästner die Neue Zeitung aus der Taufe. 1949 wurde er selbst Chefredakteur der Münchner Illustrierten und wenig später des Echos der Woche. Daneben war er zeitgleich erfolgreicher Drehbuchredakteur in Hollywood.

In seinem Stab waren neben Stefan Heym auch Klaus Mann und Hans Wallenberg, vor allem aber Ernst Cramer, der ebenso wie der Verleger Axel Springer selbst Habe in lebenslanger Freundschaft verbunden blieb. Die Zeitungen und Zeitschriften des Springerverlags boten ihm künftig Sprachrohr und publizistische Heimat. Das Klima, das Habe in Deutschland in der Nachkriegszeit entgegenschlug, erschien ihm dumpf und abweisend, von Demagogie, Muff und Heuchelei bestimmt.

Seine Wirkung war indes außerordentlich wirkungsvoll und effizient: so stand er auf dem Höhepunkt seiner Wirkung mehr als 18 deutschen Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 8 Millionen Exemplaren vor. Habe hatte keine Sympathie mit der These von der Kollektivschuld; und so sehr ihn deutsche Gegner als „Morgenthau-Boy“ verunglimpften, so sehr auch die alten Karl Kraus’schen Urteile gegen seinen Vater nun gegen ihn wiederholt wurden, so galt er seinem Amerikanischen Umfeld als zu deutschfreundlich. Re-education im Sinn Habes war, was sein Freund Ernst Cramer aus Jahrzehnten Abstand als „Wiedereröffnen der Tore zur Welt“ charakterisierte, „eine Erziehung zu freiheitlichen Werten und westlicher Demokratie“.

Er kehrt in die USA zurück und schreibt in den Jahren 1952/53 eine Kolumne Outside America. In den deutschen und den US-amerikanischen publizistischen Einmischungen gewinnt eine Position Profil, die nicht unzutreffend von ihm selbst als die eines „Extremisten der Mitte“ bezeichnet worden ist. In Amerika erhob er gegen den Mc Cartyhismus und seine Kommunisten-Schnüffelei ebenso seine Stimme wie gegen latenten Antisemitismus. Er war ein scharfer Polemiker, der mit dem Schwert ebenso wie mit dem Säbel fechten konnte; darin vielleicht Hermann Kesten vergleichbar: ein freier Geist par excellence, künftig weder von der Linken noch von der Rechten zu vereinnahmen. Sein Bild changierte – und auf den Umschlägen seiner Romane spielte er mit den verschiedenen Images: homme de lettres und Womanizer, Abenteurer, Salonliterat, nicht ohne einen Hauch von Aufschneiderei. Mit der Gruppe 47, die er eine „geistige Gestapo“ nannte, konnte Habe nichts anfangen und sie nichts mit ihm, ebensowenig wie mit den meisten anderen Emigranten. Habes Literaturverständnis war von anderem Karat: welthaltig, mondän, broadwayhaft, die Stoffe aus den Weltmetropolen und den großen Konflikten der Zeit entnommen. Sein Ruhm gewann internationale Reichweite. Lediglich die deutschen Feuilletons meinten Habe einfach als Trivialautor abtun zu können. Private Tragödien blieben nicht aus: Seine siebzehnjährige Tochter Marina, gemeinsames Kind mit Eloise Hardt, wurde Ende Dezember 1968 grausam ermordet, vermutlich ein Opfer des Manson-Clans.

Totalitäre Denkweisen waren Habe, der die europäische und die amerikanische Situation gleichermaßen genau kannte, zuwider und er erkannte sie unter jedem mögliche Habit. Auch den „Linksfaschismus“ in der 68er-Bewegung und erst recht der RAF geißelte er: nun aus der Distanz des Wohnsitzes in Ascona. Klarsichtig, ja brillant war er, wo er die Affinitäten der Generation von 1933 mit jener von 1968 aufwies, und den antiwestlichen Affekt als eine der tiefsten Wurzeln der Deutschen Misere erkannte. Einige seiner späteren Romane wie The Cross of Lorraine oder Das Netz wurden international, mit Starbesetzung und erfolgreich verfilmt. Als „Springers Hofhund“ wurde er von den 68ern verunglimpft – und dort, wo alle Intellektuellen, die sich auf der richtigen Seite der Barrikade wähnten, strikten Abstand von der Springer-Presse nahmen, da schrieb Habe geradezu exklusiv für sie; dabei blieben polemische Grobschlächtigkeiten nicht aus.

Diese Tendenz überdeckte aber nie die grundsätzliche Berechtigung seiner Befunde. Habe erkannte eine grundsätzliche antiwestliche Ten­denz der Deutschen und prangerte sie an: „Sie haben den Russen verziehen, dass sie von ihnen besiegt wurden, denn das war ja eine barbarische Macht, Iwan Dschingis-Khan; aber den Amerikanern verzeihen sie nie, denn die haben sie mit ‚seelenlosen Maschinen‘ besiegt“.

Wenn man auch gewiss nicht alle Urteile Habes übernehmen konnte, die geistige Unabhängigkeit bleibt im Zeitalter des Verrats der Intellektuellen exemplarisch. Nicht zu Unrecht hat Habe später kommentiert: „Die einzigen Wellen, auf denen ich reite, sind die des Lago Maggiore“.

Problematischer ist sein plakatives Unverständnis für die ästhetisch literarischen Formen der Moderne. Sicher verkannte er den großen Philipp Roth, wenn er einen seiner frühen Romane als Onanisten-Prosa verunglimpfte, und auch dem schwierigen Mecklenburger Uwe Johnson, auf den er die berühmte Invektive zielte, wurde er nicht gerecht: „Ich habe mich oft gefragt, warum Kafka wollte, dass alle seine Werke nach seinem Tode zerstört werden sollten. Nun weiß ich es. Kafka wollte nicht, dass Uwe Johnson schreibt“.

Habe mutete seinen Anhängern und Freunden gewiss viel zu: Heimatlosigkeit in jedem politischen Lager ist die Kehrseite radikaler Unabhängigkeit. Umso erstaunlicher ist, welche illustre Gesellschaft ihm treu blieb: Ernst Cramer, der in manchem wesensverwandte Erich Maria Remarque, aber auch, in Tessiner Nachbarschaft, der späte Max Horkheimer – nicht zuletzt Paul Celan oder Fritz Kortner achteten ihn hoch. Die Politische Korrektheit des linken Establishments griff er bis zu seinem frühen Tod vehement an. Der deutsche Vorzeigeintellektuelle dürfe nicht zugeben, zur Abfassung eines Buches weniger als sechs Jahre zu brauchen, er dürfe nicht zu viel verdienen und vor allem anderen dürfe er nie beim Lächeln ertappt werden. In dieses Profil aber passe er so gar nicht, konstatierte Habe in Selbstgewissheit und Koketterie. Er provozierte ihre vorgestanzten Urteile. Dazu gehörte auch, dass er eindrucksvoll und luzide für Israel Partei nahm – nämlich in seinem Buch Wie einst David. Entscheidung in Israel (1972).

Habe war auch Snob; er hat seine Begrenzungen, aber er ist einer der weltläufigsten und faszinierendsten Zeugen des 20. Jahrhunderts, dessen Nachruhm in keinem Verhältnis zu seiner wirklichen Bedeutung steht. Eine ihm kongeniale Biographie ist dringendes Desiderat. Einer wie er ist im deutschen Geistesleben so selten, dass er nicht vergessen werden darf.

Werke: Drei über die Grenze, 1936. – Eine Zeit bricht zusammen, 1938. – Ob Tausend fallen, 1947. – Weg ins Dunkel. Roman, 1951. – Ich stelle mich. Meine Lebensgeschichte, 1954. – Die Tarnowska, 1962. – Tod in Texas, 1964. – Die Mission, 1965. – Das Netz, 1969. – Wie einst David, 1971. – Leben für den Journalismus, 1976.

Lit.: André Simon, J’Accuse! In: Exil. Sonderband 1, 1987, S. 114 ff. – David M. Mc Murray, Conserving individual autonomy in exile: Hans Habe’s struggle against totalitarism. Nashville Tenn 2001. – Hermine A. Mayr, Hans Habe als Kolumnist der Zeitungen des Axel Springer-Verlages. Diplomarbeit. Wien 2009 (https://othes.univie.ac.at/ 5945/I/2009-06-05-9603112.pdf). – Marko Martin, Hans Habe – kon­servativer ‚Extremist der Mitte‘, in: Die WELT 12.2.2011.

Harald Seubert