Biographie

Hacks, Peter

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 21. März 1928 in Breslau
† 28. August 2003 in Groß Machnow

PeterHacks wurde am 21. März 1928 in Breslau als Sohn eines gegen den Nationalsozialismus eingestellten Rechtsanwalts geboren und lebte bis 1944 in der schlesischen Hauptstadt.Beim Versuch, sich als 16-jähriger Schüler 1944/45 dem Wehrdienst zu entziehen, geriet er in Gefangenschaft der Waffen-SS. Nach der Flucht aus Schlesien konnte er 1946 in Wuppertal dasAbitur ablegen, danach zog er mit seinen Eltern nach Dachau/Oberbayern und nahm 1947 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein Studium der Philosophie, Soziologie, Theater- und Literaturwissenschaft auf. Schon vier Jahre später, nach acht Semestern Studium, wurde er mit einer Arbeit über Das Theaterstück des Biedermeier (1815-1840) zum Dr. phil.promoviert (1951) und lebte danach als freier Schriftsteller in der bayerischen Landeshauptstadt. Er schrieb Texte fürs Theater und fürs Kabarett, Essays und Rezensionen für den Bayerischen Rundfunk, trat in Schwabinger Lokalen auf und machte Übersetzungen mit seiner Frau Anna Elisabeth Wiede.

Seit Herbst 1953 wuchs seine Sympathie für den DDR-Sozialismus, weshalb er, auf Einladung Bertolt Brechts (1898-1956), zwei Jahre später nach Ostberlin übersiedelte und Mitglied des Berliner Ensembles im Theater am Schiffbauerdammwurde. Noch 1954, im Jahr zuvor, war er für sein zweites, in den Münchner Kammerspielen 1955 uraufgeführtes Stück Die Eröffnung des indischen Zeitalters(1954) mit dem damals angesehenen Dramatiker-Preis der Stadt München ausgezeichnet worden.

Da sich eine ständige Mitarbeit am Theater Bertolt Brechts zerschlug, arbeitete Peter Hacks von 1960 an als Dramaturg und Hausautor amDeutschen Theater in Ostberlin, dessen Intendant Wolfgang Langhoff (1901-1966) ihm gewogen war. Nach der Berliner Inszenierung 1962 seines bereits 1960 im Theater der Bergleute in Senftenberg/Niederlausitz uraufgeführten GegenwartsstücksDie Sorgen und die Macht (drei Fassungen: 1959,1960,1963) aber, das in höchsten Parteikreisen Missfallen und Verärgerung erregte, gab der Autor 1963 den Dramaturgenposten auf, wurde wiederum, wie schon 1955/60 freier Schriftsteller und bearbeitete Stoffe aus der griechischen Antike und der deutschen Klassik.

Das Ausweichen des Dramatikers mit seiner Stoffwahl in historisch entfernte Gebiete war der Tribut, den er der staatlichen Literaturpolitik und der Zensur zu leisten hatte. Auch sein zweites Zeitstück über den fortschrittlichen SchweinehirtenMoritz Tassow (1961, 1965 uraufgeführt) spielt nicht mehr in der unmittelbaren Gegenwart, sondern in den Jahren nach Kriegsende 1945, als die „Junker“ enteignet und die Landwirtschaft sofort kollektiviert wurde, aber auch dieses Stück zog heftige Kritik auf sich. So feierte er, anscheinend ohne gegenwartsbezogen zu sein, mit der Bearbeitung der Aristophanes-KomödieDer Frieden (421 v.Chr.) 1962 im Deutschen Theater einen ersten Bühnenerfolg, der sich mit den folgenden Stücken wieAdam und Eva (1972) undEin Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ (1974) fortsetzte und noch beträchtlich steigerte.

Das diskriminierte Stück Die Sorgen und die Macht, dessen Titel auf ein Zitat aus einer Walter-Ulbricht-Rede zurückging, zeigt beispielhaft, welche Schwierigkeiten DDR-Schriftsteller mit der DDR-Realität zu bewältigen hatten, die nur „parteilich“ interpretiert werden durfte. Dieses Produktionsstück, womit Peter Hacks den Forderungen des Bitterfelder Weges (1959) nachzukommen suchte, lebt vom Konflikt zwischen den Arbeitern einer Brikettfabrik, die nur an der Erfüllung des Plansolls interessiert sind und deshalb schlechte Ware liefern(„Tonnenideologie“), und den Arbeitern einer Glasfabrik, deren Produkte wegen der mangelhaften Briketts immer mehr zu Schund verkommen. Gespiegelt wird dieser Konflikt im spannungsreichen Liebesverhältnis des Brikettarbeiters Max Fidorra zur Glasarbeiterin Hede Stoll. Peter Hacks sah sehr genau, dass die DDR-Wirtschaft nicht funktionierte, dass die Arbeiter unmotiviert waren, weil sie sich ausgebeutet fühlten, aber er konnte das nicht schreiben! Also kleidete er die kommunistische Verheißung in den antithetischen Monolog eines Parteiarbeiters:„Kommunismus, wenn ihr euch den vorstellen wollt, dann richtet eure Augen auf, was jetzt ist und nehmt das Gegenteil! Denn wenig ähnlich ist dem Ziel der Weg, nehmt so viel Freuden, wie ihr Sorgen kennt, nehmt so viel Überfluss, wie Mangel ist, und malt euch also mit den grauen Tinten der Gegenwart der Zukunft buntes Bild!“

Gerade diese Textstelle aber zeigte die Sprengkraft des Stückes. Peter Hacks setzte die triste DDR-Gegenwart um 1960 in dialektische Beziehung zum kommunistischen Entwurf. Nach parteipolitischer Lesart herrschten bereits zehn Jahre nach DDR-Gründung sozialistische Verhältnisse, aus denen langsam die „klassenlose Gesellschaft“ herauswüchse, nach Peter Hacks’ Interpretation aber wäre dafür ein gewaltsamer Umsturz, eine neue Revolution, notwendig!

Im Jahr 1963 wurde mit kritischen Autoren wie Peter Hacks abgerechnet: es ging nicht, so Alfred Kurella (1895-1975), um ästhetische, sondern um„ausgesprochen politische Fragen“; hier würde, so Kurt Hager (1912-1998 ) die „Rolle der Partei als der führenden und lenkenden Kraft unserer Gesellschaft völlig verzerrt“; und Walter Ulbricht (1893-1973) schließlich sprach von„kleinbürgerlichem Sozialismus“ und dass die„Arbeiter in diesem Stück beleidigt“ würden. Daraufhin wurde das Stück vom Spielplan genommen, Peter Hacks als Dramaturg entlassen, der Intendant Wolfgang Langhoff zur Selbstkritik(„hat nicht zur Stärkung der Kampfkraft der Arbeiterklasse beigetragen“) genötigt.

Trotz dieser politischen Niederlage mit seinem einzigen Gegenwartsstück blieb Peter Hacks, dem schon 1956, ein Jahr nach der Übersiedlung, der Lessing-Preis des DDR-Ministeriums für Kultur verliehen worden war, überzeugter DDR-Bürger, weit über den Mauerfall von 1989 hinaus. Nachdem er den Mauerbau 1961 gerechtfertigt hatte, was ihm DDR-Oppositionelle vorwarfen, fand er zunehmend Anerkennung als Dramatiker, wiewohl er immer noch als „bürgerlicher“ oder „aristokratischer“ Dichter galt. So wurde er 1964 ins DDR-PEN-Zentrum, 1972 in dieAkademie der Künste gewählt und zweimal mit dem Nationalpreis (1974/77) und mit demHeinrich-Mann-Preis (1981) ausgezeichnet. Seine DDR-Treue ging so weit, dass er sich zum dogmatischen DDR-Kritiker aufschwang und, Walter Ulbrichts Positionen übernehmend, die „aufweichlerische“ Kulturpolitik und die lasche Wirtschaftspraxis Erich Honeckers nach 1971/89 scharf ablehnte und selbstverständlich die unvorhersehbare Ausbürgerung des „Liedermachers“ Wolf Biermann (1936) im Herbst 1976 begrüßte. Was die DDR-Entwicklung betraf, so schien sich Peter Hacks im letzten Jahrzehnt vor dem Mauerfall, kaum noch Illusionen darüber zu machen, dass das Experiment „Sozialismus“ gescheitert war, an seinen späten Stücken kann man ablesen, wie seine Weltsicht immer hoffnungsloser und verdüsterter wurde.

In der Akademie der Künste freilich gehörte er zu den aktivsten Mitgliedern, gründete dort 1972 die ArbeitsgruppeDramatik (21 Sitzungen bis 1979) und 1988 die ArbeitsgruppeTechnik des Dramas, wobei er führende DDR-Intellektuelle und junge Autoren um sich sammelte. Auf diese Weise entstanden auch seine literaturtheoretischen und ästhetischen Schriften. In seiner Spätzeit begann er auch Gedichte zu schreiben, während seine Epik auf Kinderliteratur beschränkt blieb. Lesenswert sind auch die im Nachlass aufgefundenen Korrespondenzen mit Autoren wie Hans Heinz Holz, Heinar Kipphardt und André Müller senior.

Weitere Werke:

Theaterstücke: Das Volksbuch vom Herzog Ernst oder Der Held und sein Gefolge (1953). – Die Schlacht bei Lobositz (1955). – Der Müller von Sanssouci (1957). – Die Kindermörderin ( 1957). – Polly oder Die Bataille am Bluewater Creek (1963). – Die schöne Helena (1964). – Margarete in Aix (1966). – Amphitryon (1967). – Prexaspes (1968). -. Omphale (1969). – Numa (1971). – Die Vögel (1973). – Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern (1973). – Rosie träumt (1974). – Die Fische (1975). – Senecas Tod (1977). – Pandora (1979). – Musen (1979). – Die Binsen (1981). – Barby (1981). – Fredegunde (1984). – Jona (1986). – Fafner, die Bisam-Maus (1991). – Der Geldgott (1991). – Der Maler des Königs (1991). – Die Höflichkeit des Genies (1992). – Genovefa (1993). – Orpheus in der Unterwelt (1995). – Bojarenschlacht (1996). – Tatarenschlacht (1996). – Der falsche Zar (1996). – Der Bischof von China (1998). – Der Parteitag (2003). – Phraates (2003). – Berliner Novelle (2003).

Epische Werke: Ekbal oder Eine Theaterreise nach Babylon (1961), Erzählung. – Der Schuhu und die fliegende Prinzessin (1963), Erzählung. – Geschichte meiner Oper (1972), Erzählung. – Magister Knauernase (1982), Erzählung. – Die Gräfin Pappel (1992), Erzählung. – Das Windloch (1956), Kindermärchen. – Das Turmverlies (1961), Kindermärchen. – Onkel Mo (1981), Kindermärchen. – Kinderkurzweil (1981, erweitert 2003), Sammlung aller Märchen. – Liebkind im Vogelnest (1984), Kinderroman. – Prinz Telemach und sein Lehrer Mentor (1993), Kinderroman. – Die Erzählungen (1995).

Essays: Die Maßgaben der Kunst. Gesammelte Aufsätze (1977, erweitert 1996 und 2003). – Am Ende verstehen sie es. Politische Schriften 1988-2003, hrsg. von André Thiele (2005).

Lyrik: Die Gedichte (1988)

Briefe: Nur dass wir ein bisschen klärer sind. Briefwechsel mit André Müller senior 1989/90, Berlin 2002. – Du tust mir wirklich fehlen. Briefwechsel mit Heinar Kipphardt, Berlin 2004. – Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller, herausgegeben von Rainer Kirsch (2006). – Nun habe ich Ihnen doch zu einem Ärger verholfen. Briefe an Hans Heinz Holz, Texte, Erinnerungen (2007).

Werkausgabe in 15 Bänden, Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2003 (Ausgabe letzter Hand).

Lit.: Peter Schütze, Peter Hacks. Ein Beitrag zur Ästhetik des Dramas (1976). – Christoph Trilse, Das Werk des Peter Hacks (1981). – Andrea Jäger, Der Dramatiker Peter Hacks. Vom Produktionsstück zur Klassizität (1986). – André Thiele, In den Trümmern ohne Gnade. Festschrift für Peter Hacks (2003). – Armin Stolper, Gespräche auf dem Friedhof mit dem anwesenden Herrn Hacks (2004). – Heidi Urbahn de Jauregui, Zwischen den Stühlen. Der Dichter Peter Hacks (2006). – Andrea Jäger, Peter Hacks, in: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (1997), mit 295 Nachweisen zur Sekundärliteratur.

Bild:Kulturstiftung.