Biographie

Haenke, Thaddäus Xaverius Peregrinus

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Geograph, Chemiker und Forschungsreisender
* 6. Dezember 1761 in Kreibitz/Nordböhmen
† 14. November 1816 in Cochabama/Bolivien

Thaddäus Haenke ist nicht nur Zeitgenosse, sondern für manche Forscher gleichbedeutend als Südamerika-Pionier mit Alexander Humboldt. Er stammte aus einer Glasmacherfamilie in Nordböhmen und erhielt durch seine Begabung von verschiedenen Förderern die Möglichkeit zum Studium an der Prager Karlsuniversität und später in Wien.

Nach seinen Studien in Prag und Wien, wo er sich mit Medizin, Chemie, Astronomie und Botanik befasste, trat er zunächst eine Stelle als Hauslehrer und Erzieher in der Prager Professorenfamilie Mikan an. Sein Zögling Johann Chr. Mikan sollte später ein namhafter Erforscher Brasiliens werden. Da Haenke gleichzeitig auch den Botanischen Garten der Prager Universität betreute und sich als Botaniker bald einen Namen machte, erhielt er 1789 auf Empfehlung verschiedener seiner Lehrer die Gelegenheit, an der großen Expedition der spanischen Kolonialregierung zur Erforschung der amerikanischen Welt teilzunehmen. Solche Empfehlungen waren von Forschern wie Joseph von Jacquin und Ignaz von Born zu Kaiser Josef II. gekommen. Die Expedition leitete Alessandro Malaspina di Mu-lazzo. Sie dauerte von 1789 bis 1794. Man stach in Cadiz in See, doch Haenke verpasste das Schiff, da er auf dem Weg durch das revolutionäre Frankreich einige Schwierigkeiten hatte. Sein nächstes Schiff nach Argentinien kenterte vor der Küste, aber er konnte sich retten, überquerte die Anden nach Chile zu Fuß und stieß erst am 2. April 1790 in Santiago zur Expedition. Von Chile brach die Forschergruppe zu Schiff nach Norden auf und kam an der Westküste des Kontinents bis nach Kanada und Alaska hinauf, von dort ging es über den Stillen Ozean zu den Philippinen, dann in das erst wenige Jahre zuvor entdeckte Australien, das damals Neuholland hieß, und wieder über die Weite des Ozeans zurück nach Lima, wo man vier Jahre nach Beginn der Expedition eintraf.

Hier zerstreuten sich die Teilnehmer, um in ihre verschiedenen Heimatländer zurückzukehren. Thaddäus Henke aber blieb, da er weitere Forschungsaufträge erhalten hatte. Er hatte unzählige Pflanzen und Insekten gesammelt, zahlreiche Tiere präpariert, Sprachen verschiedener eingeborener Stämme erfasst und das Material nach Spanien geschickt. Es waren wertvolle Beiträge zur Völkerkunde und Linguistik, dazu Untersuchungen und Beschreibungen der Vulkane und Thermalquellen der von ihm besuchten Regionen, vor allem der Philippinen, Perus und Ecuadors. Damals war Südamerika noch nicht in eine Vielzahl von Staaten zersplittert wie heute, sondern nur in ein portugiesisches Herrschaftsgebiet, das heutige Brasilien, und in ein spanisches mit einzelnen Vizekönigreichen. So konnte Haenke in den folgenden Jahren eine Reihe von weiteren Forschungsreisen in spanisch verwalteten Gegenden unternehmen, die heute in das Zuständigkeitsgebiet der Staaten Bolivien, Ecuador, Peru, Argentinien und Chile fallen würden, damals aber nur die spanischen Vizekönigreiche Peru und La Plata bildeten.

Im damaligen Oberperu, das später nach dem Befreiungshelden Bolivar als selbständiger Staat Bolivien genannt wurde, ließ sich Haenke in Cochabamba nieder, wo er eine Mestizin heiratete. Er erforschte die Läufe von Flüssen und bestieg als erster Europäer den Chimborazo und andere Andengipfel. Meist arbeitete er im Auftrag der Ministerien der Vizekönige in Lima und Buenos Aires. Haenke plante und organisierte Reformen, die noch heute in Lateinamerika aktuell sind. Unermüdlich machte er die Behörden auf die gesundheitsschädlichen ausbeuterischen Verhältnisse in den Bergwerken aufmerksam und geißelte die Diskriminierung der Indios, mit deren Sprache, Kunst, Literatur und Musik er sich intensiv beschäftigte. Als Naturwissenschaftler und Botaniker stellte er viele Heilpflanzen in den Dienst der Bewohner, vor allem, als Napoleon den europäischen Kontinent beherrschte und durch die Kontinentalsperre kaum mehr europäische Medikamente über den Atlantischen Ozean gelangen konnten. So eröffnete er die erste Apotheke in Südamerika. Größere Reisen, ja neue Expeditionen unternahm er in den Urwald des berüchtigten Gran Chaco, wo er die Victoria regia als erster Weißer mit eigenen Augen sah. Heute ist diese exotische Riesenpflanze der Stolz aller Botanischen Gärten.

Auch als Arzt und Initiator der Pockenschutzimpfung, wodurch die Todesrate gesenkt wurde, als Entdecker der Thermen von Yuta, als Begründer der Kalisalpeterindustrie und damit als wichtigster Förderer des wirtschaftlichen Aufstiegs der späteren Länder Chile und Bolivien muss Haenke gewürdigt werden. Seine musikalische Begabung war schon in seiner Jugend ersichtlich. Sein Bruder schickte ihm aus Österreich ein Cembalo und Noten von Mozart und Haydn, so dass Haenke auch Konzerte gab.

Als aber seit 1810 in Chile und Argentinien Aufstände gegen die Spanier losbrachen und auch im Norden des Kontinents 1811 im heutigen Kolumbien und Venezuela das spanische Kolonialjoch abgeschüttelt wurde, begann die Tragik in Haen-kes Leben. Wir wissen nichts Gültiges und Sicheres über seinen Tod, aber wahrscheinlich starb er 1816 in den Wirren dieser südamerikanischen Kriege. Es heißt, er sei unter ungeklärten Umständen in seinem Haus gestorben, aber auch von einem Kerker der Spanier ist die Rede, die ihre Besitzungen in Südamerika erbittert verteidigten und Haenke, der ihnen treu gedient hatte, nicht mehr trauten. Der Staat zog sein Vermögen ein. Einheimische begruben ihn an einem unbekannten Ort in der Atacama-Wüste.

Den Namen Haenke tragen mehrere bis dahin unbekannte Pflanzen in den Alpen und eine Insel Haenke Island vor Alaska. Teile seiner Schriften und Briefe wurden erst im 20. Jahrhundert veröffentlicht.

Lit.: Josef Kühnel, Thaddäus Haenke. Leben und Wirken eines Forschers, München 1960. – Heinz Markstein, Der sanfte Konquistador – Die Geschichte des Thaddäus Xaverius Peregrinus Haenke, Stuttgart 1991.

Bild: Nach einem Kupferstich von Vinzenz Grüner.

Rudolf Grulich