Biographie

Hänsel, Peter

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Komponist, Konzertmeister
* 29. November 1770 in Leippe b. Grottkau/ Oberschlesien
† 18. September 1831 in Wien

Zu den wenig bekannten Komponisten der Wiener Klassik gehört Peter Hänsel. Zum einen steht er im Schatten der großen Meister und zum anderen galt sein komposi­torisches Schaffen fast ausschließlich der Kammermusik für Streicher, bei Dominanz seiner 58 Streichquartette. Hänsel wurde in dem Dorf Leippe geboren, gelegen an der Straße nach Brieg, nordöstlich von Grottkau, in einem schlesischen Musikwinkel, wo wohl auch sein als Musiker tätiger Onkel herstammte. Ein Jahr zuvor wurde in Grottkau der bedeutungsvolle Komponist Joseph Elsner geboren, dessen Vater Musikinstru­men­tenbauer und dessen Mutter die Tochter eines Geigenbauers war. Hänsel könnte später in Wien Elsner durchaus getroffen haben. Als Zeitgenossen seien noch der wegweisende Wiener Tanzmusiker Joseph Wilde (Friedewalde b. Grottkau 1778-1831 Wien) und der angesehene Kirchenmusiker Ernst Wiedemann (Hohengiersdorf b. Grottkau 1797-1873 Potsdam) genannt.

Von früher Jugend an war Peter Hänsels Weg als Musiker vorbestimmt. Über Warschau, wo er seine musikalische Ausbildung bei einem dort tätigen Onkel vervollkommnen konnte, kam er bereits mit 17 Jahren nach St. Petersburg. Dort war er als Geiger in dem von Giuseppe Sarti geleiteten Orchester des Fürsten Grigory Potemkin tätig. 1788 kam er zurück nach Polen. Seit 1791 lebte er in Wien, wo er bis 1817 als Konzertmeister und Kapellmeister bei der Fürstin Izabeta Lubomirska in Diensten stand, eine Dame mit hohem Musikverständnis, die auch mit Beethoven bekannt gewesen war. 1795 er­schienen seine ersten Werke, die 3 Quatuors op. 1 bei André in Offenbach, welche er seiner Dienst­herrin Fürstin Lubomirska zueignete. In der Widmung bezeichnete er sich als Schüler Joseph Haydns. Die 3 Quatuors op. 2 widmete er Prinz Henri Lubomirski, dem Adoptivsohn der Fürstin.

Seit 1792, in jenem Jahr, in welchem auch der gleichaltrige Beethoven bei Joseph Haydn Unterricht hatte, wurde er für einige Jahre Kompositionsschüler von Haydn, dem er seine Streichquartette op. 5 widmete. 1802/03 machte Hänsel, mit Empfehlungen von Haydn und der Fürstin Lubomirksa, eine Reise nach Paris. Aus seinen Verbindungen zu dortigen Kunstkreisen entstand sein 1. Streichquintett op. 11, welches 1803 in Straßburg erschien, auch wurden einige seiner Werke in Frankreich bei Cotelle und Imbault nachgedruckt. Dadurch erlangte damals sein Schaffen in Frankreich anerkennende Aufmerksamkeit. Nach Wien zurückgekehrt, nahm er wieder seinen Dienst bei Fürstin Lubomirska auf, die er auch auf ihre Güter nach Galizien begleitete. Sie unterhielt 19 Residenzen und gehörte zu den reichsten Frauen ihrer Zeit. Nach dem Tod der Fürstin 1817 wurde Hänsel mit einer lebenslänglichen Pension bedacht. Peter Hänsel verstarb 1831 in Wien durch die Cholera-Epidemie.

Von seinen Zeitgenossen wurde er als „fein gebildeter, humaner, äußerst bescheide­ner Künstler und geschmackvoller Violinspieler“ geschildert, dessen „Werke nicht nach Verdienst gewürdigt wurden“. Auch im heutigen Schrifttum wird er, wenn über­haupt, nur sehr beiläufig behandelt, seine Werke werden selten aufgeführt und sein Schaffen wenig gewürdigt. Trotz seiner angesehenen Stellung und vielerlei Bezie­hungen, auch zu Repräsentanten des Wiener Musiklebens seiner Zeit, welche durch Widmungen von Werken, nicht nur an seinen Lehrer Joseph Haydn, sondern auch an den Kontrabaßvir­tuosen Domenico Dragonetti, an den Geiger Pietro Rivelli, Schwiegersohn des Kompo­nisten Emanuel Aloys Foerster, oder an den Vielschreiber Monsieur L’Abbé Gelinek zu belegen sind, „hielt er sich im Hintergrund“. Dem Primarius des gleichnamigen Quar­tettes, Ignaz Schuppanzigh, eine Bekanntschaft seit den 1790er Jahren, widmete Hänsel 1808 seine 3 Quatuors op. 20. Gelegentlich hat Hänsel auch im Schuppanzigh-Quartett mitgewirkt, welches unzertrennlich mit Uraufführungen Beet­hovenscher Streichquar­tette in Verbindung steht, besonders in den Jahren, als es im Dienst von Graf Rasu­mowsky stand. Begegnungen Hänsels mit Beethoven sind anzunehmen.

Sein Schaffen war nahezu ausschließlich der Streicherkammermusik gewidmet: 58 Streichquartette, 18 Duokompositionen, 4 Streichquintette und 6 Streichtrios sind zu nennen. Interessante Besetzungen sind das Klarinettenquartett op. 19, gewidmet Tho­mas Nawaratil „premier Clarinette“ in der Kapelle der Fürstin Lubomirska sowie drei Flötenquartette, vielleicht angeregt von den Mozartschen Flötenquartetten. Neben seiner in großere Zahl entstandenen Streicherkammermusik sind sonst nur einzelne Werke an­derer Gattungen nachzuweisen, die eher dem Bereich des Gelegentlichen zuzuordnen sind, u.a. Stücke für Harfe, Variationen für Violoncello und Orchester sowie Klavier­stücke. Zwar endet mit Opus 40 die Werkzählung, jedoch ist der Umfang seines Schaf­fens nicht klein, da er häufig, wie damals üblich, unter einer Opus-Zahl mehrere Werke vereinte; so kann wohl von einer Zahl weit über 100 ausgegangen werden.

Sein Schaffen weist einen individuellen Kompositionsstil von besonderem Sentiment auf; weder die Rossini-Konjunktur in den 1810er Jahren noch das Schaffen Beethovens haben tiefere Spuren hinterlassen (n. Rudolf Klein, MGG). Auffallend sind seine Polo­naisen, polnische Rhythmik und ein slawisches Kolorit. Dies ergab sich aus seinen biographischen Gegebenheiten, besonders auch durch seine Anstellung bei Fürstin Lubomirska, in deren Gefolge er immer wieder zu den Besitzungen in Galizien reiste und die im Sommer auf Schloss Lańcut residierte. In diesem Zusammenhang wären auch Widmungen von Werken an Graf Czartoryski, Fürst Anton Radziwill, Graf Alexander Starzenski und Graf Zobielski zu erwähnen, die Gönnerschaft von polnischer Seite her erkennen lassen. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich seine Polonaisen, von welchen Hänsel eine größere Zahl für Streichtrio herausgab. Dadurch waren diese auch bei mehreren Verlagen in Fassungen für Klavier erschienen.

Seine letzten Werke sind die Trios für Violine, Viola und Violoncello op. 40 1-3, die wohl 1830/31 entstanden. Sie erfuhren damals keine Druck­legung mehr. Die Auto­graphe kamen in die Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde Wien. Der schlesi­sche Musikwissenschafler Prof. Dr. Hubert Unverricht (Liegnitz 1927-2017 Mainz), der sich immer wieder für die Wiederentdeckung Hänsels einsetzte, gab die Streichtrios heraus (1989, Edition Gravis) und schrieb im Vorwort: „Diese Abeitsweise hat nichts mit Beethovens Kompositionsstil gemeinsam, weist vielmehr auf Schuberts himmlische Themenlängen hin“. Beispielsweise finden sich im Adagio-Satz des Streichquartetts op. 20 Nr. 3 gar Wendungen, die über Schubert hinausgehend den Weg zu Anton Bruckner andeuten. Formal ist Hänsel durch Viersätzigkeit dem Quartettstil seines Lehrers Joseph Haydn treu geblieben, auch in Verwendung von kompositorischen Mitteln, wie z.B. die Stimmführung, die lang­same Einleitung, sprechende Pausen, über­raschende Anfänge, plötzliche Änderungen des Verlaufs und überraschende Harmonien. Gelegent­lich findet sich das Menuett als 2. Satz in der Folge. Immer wieder ersetzt eine Polonaise das Menuett, zu welchem er im Trioteil auch gerne alpenländische Kontraste setzt, melan­cholisch sind die oft romanzenhaften langsamen Sätze. Seine Duo-Kompo­sitionen ste­hen weniger in der Wiener Tradition, sondern eher in der Richtung von Louis Spohr, teilweise sind sie auch für Unterrichtszwecke konzipiert.

Peter Hänsels Schaffen entspricht einem Fortschreiben der Quartett-Tradition mit ihrem vielseitigen, auch heiteren Konversationsstil von Haydn und Mozart, bei mählichem Fortschreiten, abseits der stringenten Entwicklungen.

 

Lit.: Div. Musiklexika. – Constant von Wurzbach Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 7 S. 182f. – Hubert Unverricht, Peter Hänsel als Kammermusikkomponist in Studien zur Instru­mentalmusik, Festschrift für Lothar Hoffmann-Erbrecht, Tutzing 1988 S. 325ff. (mit Werk­verzeichnis). – Ders., Peter Hänsel in: Schlesisches Musiklexikon, Augsburg 2001 S. 250f. – Helmut Scheunchen, Dokumentation Malinconia – „…über den vergesse­nen Dingen liegende Schwermut“, in Vorbereitung.

Bild: Porträt von Carl Friedrich Riedel, Wikipedia gemeinfrei.

Helmut Scheunchen