Biographie

Hahn, Karl Josef

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Politiker, Germanist
* 10. November 1912 in Karlsbad/Böhmen
† 13. Juli 2001 in Amersfoort/Niederlande

Nach der Matura in Karlsbad studierte Hahn an der Deutschen Universität in Prag deutsche Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte. 1932 weilte er ein Jahr als Student von Karl Jaspers in Heidelberg. Das Thema seiner germanistischen Dissertation in Prag war 1935 Gemeinschaftsbild und Gemeinschaftskräfte Stefan Georges, die in Halle im Druck erschien. Im selben Jahre veröffentlichte er das Buch Adalbert Stifter. Religiöses Bewußtsein und dichterisches Werk.

Da Hahn aktiv in der Deutschen Christlichen-Sozialen Partei und im Reichsverband der deutschen katholischen Jugend mit­ar­beitete, bedeutete das Jahr 1938 für ihn eine Katastrophe. Sei­ne Frau war eine Jüdin, die bereits vor der Heirat katholisch geworden war. Als nach dem Münchner Abkommen und der Ab­tretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich die neuen nationalsozialistischen Machthaber auch in Karlsbad wie im ganzen Reich die sogenannte Kristallnacht mit Übergriffen gegen die jüdischen Mitbürger durchführten und die Juden in einem „Schandmarsch“ durch Karlsbad trieben, da marschierte Karl Josef Hahn mit seiner blonden Frau an der Spitze des Elendzuges. In einem kleinen Heft Kristallnacht in Karlsbad beschreibt er voller Schmerz, wie sich seine Heimatstadt verändert hatte. Das Ehepaar floh dann in die Rest-Tschecho­slo­wakei und konnte mit Hilfe Jan Patočkas, mit dem sich Hahn Weihnachten 1938 im Prager Café Slavia traf, nach Holland ausreisen. Nach dem Krieg war Hahn Dozent für deutsche Literatur an der Katholischen Universität Nijmegen, dann Lehrer der deutschen Sprache in Utrecht und später Leiter des Sprachendienstes beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Von 1956 bis 1960 war er Auslandssekretär der niederländischen Christdemokraten und dann bis 1982 zwei Jahrzehnte im Büro der Europäischen Volkspartei (EVP) in Rom, zunächst als Redakteur des Studien- und Dokumentationszentrum der christlich-demokratischen-Parteien Europas und Latein-Amerikas, später als Vizegeneralsekretär der EVP und als Mitglied des Präsidiums der Weltunion der Christdemokraten. Er unterhielt in der ganzen Zeit gute Kontakte zu seinen vertriebenen sudetendeutschen Landsleuten und zur tschechischen Emigration, auch zum Prager Kardinal Josef Beran nach dessen Freilassung und zum Auslandsbischof der Tschechen Jaroslav Škarvada. In der Nachkriegszeit hatte er auch früh den Gründer der Ostpriesterhilfe, Pater Werenfried van Straaten, kennengelernt und leistete ihm Hilfe bei der Organisation des Ersten Kongresses „Kirche in Not“ in Hilversum. Später war er oft in Königstein, wo diese Kongresse bis 1996 stattfanden.

Nach der „Samtenen Revolution“ in Prag lebte er als Pensionär noch einmal richtig auf. Als 80Jähriger organisierte er in Holland das Symposium zum 400. Geburtstag von Jan Amos Comenius und beriet wissenschaftliche Konferenzen über Jan Hus, die abgehalten wurden in Bayreuth, Karlsbad, Prag und Rom.

Karl Josef Hahn starb 2001 in Amerfoort. Bei der Trauerfeier am 19. Juli in Bilthoven waren aus Deutschland nur sein langjähriger Weggefährte August Lücker und Klaus Weigelt von der Konrad-Adenauer-Stiftung anwesend. Aber es spra­chen der frühere niederländische Ministerpräsident Piet de Jong und die ehemaligen Außenminister Frans Andriessen und Pieter Kooi­mans. Sie würdigten das europäische Engagement von Hahn, der seine Arbeit für die Christliche Demokratie auf europäischer und auf Weltebene aus seinem tief verwurzelten Glauben leistete.

Karl Josef hatte hohe Auszeichnungen erhalten. In seiner zweiten Heimat war er Officier in de Orde van Oranje Nassau und Ridder in de Orde van de Nederlandse Leeuw. Er war Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland und des Silberkreuzes der Republik Österreich. Andere Ehrungen waren die Robert-Schumann-Medaille des Europäischen Parlamentes und die Joseph-Bech-Medaille der FVS-Stiftung in Hamburg. Außerdem war er Commendatore der Republik Italien, Offizier des O’Higgins-Ordens der Republik Chile und Kommandeur des Belgischen Kronenordens.

Unter seinen Publikationen ragen auch Arbeiten in holländischer Sprache hervor, die nach dem Krieg in den Niederlanden zum besseren Verständnis für Deutschland beitrugen wie Duitsland als geestelijk probleem (1949) und Konrad Adenauer. Fysionomie van een staatsman. (1946) Hahn würdigte nach dem Krieg auch die Friedensarbeit des Papstes Pius XII. (Pius XII. en de internationale vraagstukken 1956). In seinem Buch Standplats Europa. Memoires van een christdemocrat erfahren wir viel über seine Visionen für Europa. Mit August Lücker, den er 1948 erstmals bei der europäischen Konferenz christlich-demokratischer Politiker kennengelernt hatte, gab er 1987 heraus: Christliche Demokraten bauen Europa.

Über den Politiker Hahn darf auch der Germanist und Literaturwissenschaftler nicht vergessen werden. 1949 veröffentlichte er die Studie Rainer Maria Rilke. In verschiedenen Sammelbänden und im „Hochland“, sowie in holländischen, belgischen, französischen, englischen und italienischen Zeitschriften behandelte er deutsche christliche Dichter wie Werner Bergengruen, den er persönlich kannte, oder Stefan Andres, mit dem er seit 1935 Kontakt hatte, als Andres wegen seiner jüdischen Frau im Riesengebirge Zuflucht suchte. Was Hahn über den sudetendeutschen Kulturpreisträger Erwin Guido Kolbenheyer schrieb, ist auch heute wichtig für das Verständnis des oft umstrittenen Dichters und Philosophen.

Bild: Archiv des Verfassers.

Rudolf Grulich