Biographie

Hahn, Wilhelm

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Theologe, Kultusminister Baden-Württemberg
* 14. Mai 1909 in Dorpat/Estland
† 9. Dezember 1996 in Heidelberg

Als einen „Grandseigneur, wie es heute nur noch wenige gibt“ bezeichnete die FAZ Wilhelm Hahn 1996 in einem Nachruf. Der Ursprung dieser Haltung lag im Elternhaus. Sein Vater, der Theologie-Professor Traugott Hahn, wurde 1919 in Dorpat von Rotarmisten ermordet. Hahns Familie floh daraufhin nach Gütersloh. Dort machte Hahn Ostern 1929 sein Abitur am Evangelisch-stiftischen Gymnasium. Ab dem SS 1929 studierte er Evangelische Theologie an der Universität Tübingen. Im selben Semester trat er dort dem Verein Deutscher Studenten (VDSt) bei. Zum SS 1930 wurde er zu dessen Vorsitzendem gewählt, rang aber das Semester über wegen einer Mandel- und einer anschließenden Nierenentzündung mit dem Tod. Das studentische Korporationsleben empfand er anschließend als eine Last. Sein Mittelpunkt war das Studium, das alle Kraft beanspruchte. Mitte der 1930er Jahre trat er schließlich aus dem VDSt aus, dessen völkische Weltanschauung er nicht mehr teilte. Nach Tübingen setzte er sein Studium in Göttingen und Bonn fort. Im Frühjahr 1933 schloss er sich der Jungreformatorischen Bewegung an, einer Gruppe evangelischer Pastoren und Theologen, die sich gegen die Deutschen Christen wandte und zu einer Keimzelle der Bekennenden Kirche wurde. Sein erstes Theologisches Examen bestand Hahn im September 1933 in Münster. Anschließend war er Hauslehrer in Österreich. Nach Gründung des Pfarrernotbundes kehrte er Ende 1933 nach Deutschland zurück. Er trat 1934 sein Lehrvikariat an, das er in Witten, Bochum und Dortmund verbrachte. Im März 1934 war er Mitgründer und anschließend 2. Vorsitzender der Bruderschaft der Hilfsprediger und Vikare, die sich dem Bruderrat der Bekennenden Kirche unterstellte und sich schnell in allen Landeskirchen verbreitete. Im Mai 1934 nahm er an der Barmer Bekenntnissynode teil. Ab 1934 war er Vikar in Dortmund und Mitarbeiter in der Zentrale des Bruderrates. Sein zweites Theologisches Examen legte er Ostern 1936 vor einer Prüfungskommission der Bekennenden Kirche in Bethel ab. Ab Juni 1936 war er auf Berufung der Bekennenden Kirche in Ostpreußen Studieninspektor am illegalen Predigerseminar in Blöstau. Am 13. September 1936 wurde er in Dortmund ordiniert. 1937 promovierte er in Tübingen. Nachdem er ab April 1937 kurzzeitig Hilfsprediger in Münster gewesen war, war er ab Juni 1937 bis 1950 Pfarrer an St. Marien in Minden. Am 30. August 1937 heiratete er in Den Haag Elisabeth Rutgers (Kinder: * 1940 Annemarie, * 1941 Traugott). Ab 1942 diente er als Sanitäter und stellvertretender Wehrmachtspfarrer auf der besetzten britischen Kanalinsel Jersey. Dort geriet er nach der Kapitulation in britische Gefangenschaft. In dieser war er zunächst Lagerpfarrer auf Jersey. Ab Frühjahr 1946 war er bei der BBC in London an Rundfunksendungen für Deutschland beteiligt. Im Juni 1946 von den Briten entlassen, nahm er seine Pfarrtätigkeit in Minden bis 1948 wieder auf. Gleichzeitig war er ab 1946 Vertreter der Kirchen der britischen Zone gegenüber der Alliierten Kontrollkommission und vom 1. September 1946 bis April 1947 Landeskirchenrat. Vom Frühjahr 1949 bis 1950 war er Superintendent des Kirchenkreises Minden. Im Februar 1950 erhielt er zum 1. Mai einen Ruf als ordentlicher Professor für Praktische Theologie an der Universität Heidelberg. Im Juni 1952 wurde er zum Landesbischof von Oldenburg gewählt. Wegen Querelen unter den Synodalen verzichtete er schon nach kurzer Zeit auf sein Amt. 1953 war er Mitbegründer des Heidelberger Ortskuratoriums „Unteilbares Deutschland“. 1955 bis 1962 war er durch Berufung von Bundespräsident Theodor Heuss Mitglied im deutschen Ausschuss für Erziehungs- und Bildungswesen. 1958 bis 1960 war er Rektor der Universität Heidelberg. Für die CDU, der er 1956 beitrat, saß er vom Mai 1962 bis zum November 1964 im Bundestag. Vom Mai 1964 bis Mai 1978 war er Kultusminister von Baden-Württemberg, zu dem ihn Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger berufen hatte. 1966 kandidierte Hahn für das Amt des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, unterlag aber am 6. Dezember 1966 im Rahmen einer Kampfabstimmung in der CDU-Landtagsfraktion dem damaligen Innenminister Hans Filbinger. Dieser bestätigte ihn zwar zunächst als Kultusminister und machte ihn 1972 zu seinem Stellvertreter, drängte ihn aber schließlich kurz vor seiner eigenen Demontage im Mai 1978 anlässlich einer Regierungsumbildung aus dem Amt, da er sein Kabinett verjüngen wollte. Als Kultusminister handelte Hahn nach dem Leitsatz „Mehr Bildung, mehr Leistung, mehr Freiheit“. So trat er unter anderem für den Ausbau der Fachhochschulen und der pädagogischen Hochschulen, die Verankerung der christlichen Gemeinschaftsschule im Schulgesetz, die Gründung der Universitäten in Ulm und Konstanz sowie die Einrichtung zahlreicher Gymnasien und Berufsakademien ein. Seine bildungspolitische Grundeinstellung brachte er selbst auf die Formel: „Konservativ und fortschrittlich zugleich.“ 1968 bis 1980 war er Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg und 1972 bis 1978 stellvertretender Ministerpräsident. 1962 bis 1979 war er stellvertretender Vorsitzender des Evangelischen Bundesarbeitskreises der CDU und 1967 bis 1977 Mitglied des CDU-Bundesvorstandes. 1978-1988 war Hahn Präsident der Deutsch-Indischen Gesellschaft und 1978–1992 Vorstandsvorsitzender des Instituts für Auslandsbeziehungen. Nach seiner Wahl im Juni 1979 war er bis September 1987 Mitglied des Europa-Parlaments. Dort trat er besonders als Medienpolitiker in Erscheinung. So fungierte er als Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport sowie seit 1981 als Vorsitzender des Unterausschusses Information und Medien. Ausgezeichnet wurde Hahn unter anderem 1969 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und 1974 mit Stern und Schulterband. 1958 verlieh ihm die Universität Tübingen den Dr. theol h. c. und 1977 die Universität Ulm den Dr. med. h. c.

Werke: Das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus bei Paulus. Ein Beitrag zum Problem der Gleichzeitigkeit des Christen mit Christus, Diss. Uni. Tübingen 1937. – Ich stehe dazu. Erinnerungen eines Kultusministers, Stuttgart 1981. – Der Ruf ist immer neu. Aus 200 Jahren der baltischen Theologenfamilie Hahn, Stuttgart 1993

Lit.: Heinz Reutlinger und Gunter G. Wolf (Hrsg.), Kreuz-Wege. Festschrift für Wilhelm Hahn, Heidelberg 1984. – Wilhelm Hahn, in: Ralf Dahrendorf, Liberale und andere. Portraits, Stuttgart 1994, S. 255-276. – Jürgen Siebke (Hrsg.), Theologe Parlamentarier Politiker. Gedenkschrift fürWilhelm Hahn, Heidelberg 1999. – Vierhaus, Rudolf u. a. (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949–2002, Bd. 1, München 2002, S. 299. – Marc Zirlewagen, Wilhelm Hahn, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. XXVII, Nordhausen 2007, Sp. 593-598.

Bild: Wilhelm Hahn (Foto: Annemarie Grüneisen, Heidelberg)