Biographie

Hallmann, Johann Christian

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Dichter, Jurist
* 1. Januar 1640
† 1. Januar 1704

„Dieß ist nach Opitzen, Gryphen und Lohensteinen der IV. tragische Dichter von besserer Art, der im vorigen Jahrhundert aufgestanden. Sie waren alle vier Schlesier.“ So urteilte noch 1757 Johann Christoph Gottsched in seinem Nöthigen Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst über Johann Christian Hallmann. Doch das in der Tat vom Umfang wie von der Gattungsvielfalt her erstaunliche dramatische Werk Hallmanns – erst recht sein übriges literarisches Oeuvre – teilte das Schicksal fast der gesamten deutschen Barockliteratur: Im Banne der neuen Literarästhetik des 18. Jahrhunderts, die später mit dem Geltungsanspruch von Klassik und Romantik als eine überzeitliche erschien, wurden diese Werke als Unnatur, als Schwulst und Bombast abgetan und verloren ihren Platz im literaturgeschichtlichen Bewußtsein.

Hallmann freilich hat – anders als viele seiner Dichterkollegen und als insbesondere seine drei genannten Vorgänger – schon in seinem Leben eine äußerst bittere Wende erfahren müssen. Seiner sozialen Herkunft wie seiner Bildung nach verfugte er über durchaus ähnliche Voraussetzungen wie etwa Lohenstein, und zunächst deutete auch manches auf eine ähnlich erfolgreiche Karriere hin, wie sie Lohenstein durchlaufen hat, der es zum Obersyndikus Breslaus brachte und zum Kaiserlichen Rat ernannt wurde. Die Eltern, deren Vermählung im Januar 1639 angesehene Gelehrte und Beamte Schlesiens mit Gelegenheitsgedichten beehrten, nämlich Rosina Hallmann, eine geb. Schultz aus Liegnitz, und der aus Friedland stammende Matthäus Hallmann (1603-1667), literarisch gebildeter Jurist, der nach ausgedehnten Studien verschiedene hohe Verwaltungsaufgaben im Dienste der Liegnitz-Brieger Piasten versah, gaben Johann Christian im Sommer 1647 in die Sexta des Magdalenen-Gymnasiums zu Breslau. Er dürfte also aller Wahrscheinlichkeit nach 1640 geboren sein. Auf diesem Gymnasium, nebst dem Breslauer Elisabethanum hoch bedeutsam als Bildungsstätte für die Elite Schlesiens und der angrenzenden polnischen und lausitzschen Gebiete, verweilte er bis 1661. Wie der fünf Jahre ältere Lohenstein tat er sich alsbald, seit 1648 schon, bei den regelmäßigen Schulactus hervor und kam in engste Berührung mit dem für die deutsche Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts wichtigsten Schultheaterbetrieb, dem der beiden Gymnasien. 1662 brachten die Magdalenäer seinen Mauritius, die Bearbeitung eines Jesuitendramas, auf die Bühne.

Zu Beginn desselben Jahres hatte er sich an der Universität Jena immatrikuliert, und hier schloß er auch im Januar 1665 mit einer juristischen Disputation De privilegiis militum ab. Danach unternahm er von Zwischenaufenthalten in Schlesien unterbrochene Bildungsreisen, die ihm zusätzlich zu den üblichen Kenntnissen der alten Sprachen Fertigkeiten im Französischen und vollendete Beherrschung des Italienischen eintrugen. Um 1668 endgültig wieder in Breslau, scheint er zunächst Anwaltstätigkeiten versehen zu haben, bis er zwischen Anfang und Mitte der achtziger Jahre als „Candidatus und Practicus“ eine Art Wartestellung am „Kaiserlichen und Königlichen Oberamt“ in Breslau innehatte. Doch die damit eröffnete berufliche Perspektive hat sich zerschlagen. Nach 1684 führt er wieder nur den nichtssagenden Titel „Juris Consultus“, und mit diesem Jahr wird es – nach zunächst glänzenden Erfolgen – auch literarisch still um ihn.

Zwischen 1662 und 1671, dem Jahr, in dem das Breslauer Schultheater ein jähes Ende fand, waren acht Dramen von ihm aufgeführt und bis 1673 vier davon als Einzeldrucke herausgebracht worden. Diese waren – was entsprechendes Einverständnis voraussetzte – hohen und höchsten Standespersonen gewidmet. Einen Erfolg besonderer Art erzielte er mit dem auf die Hochzeit Kaiser Leopolds I. mit Claudia Felicitas applizierten Pastorell Adonis und Rosibella, dessen Prachtdruck in Folio er in zwei Audienzen Ende November 1673 dem Kaiser und der Kaiserin in Wien persönlich überreichen durfte. Ein Jahr zuvor waren seine Schlesischen Adlers-Flügel erschienen, eine in je 24 elegische Alexandriner gefaßte, mit historischen Anmerkungen erläuterte „Warhaffte Abbild-und Beschreibung Aller Könige/ Ober-Regenten/ und Obristen Hertzoge über das ganze Land Schlesien von Piasto an biß auf Unseren Regierenden Aller Genädigsten Kaiser/König/ und Obristen Hertzog Leopoldum“.

Von den adligen und patrizischen Geschlechtern sowie der hohen Beamtenschaft Schlesiens war Hallmann während der 60er und 70er Jahre als Verfasser von Gelegenheitsdichtung hoch geschätzt, und aus diesen Kreisen stammten auch die Paten, als 1680 ein Sohn, 1682 eine Tochter Hallmanns und seiner Ehefrau Anna Catharina zu Breslau getauft wurden. Ein bestimmter Ausschnitt aus seiner Gelegenheitsdichtung kam in dem stattlichen Band Leich-Redenl Todten-Gedichte und Aus dem Italiänischen übersetzte Grab-Schrifften 1682 zu Frankfurt und Leipzig heraus. 1684 dann veröffentlichte der bedeutende Breslauer Verleger Fellgiebel eine Sammelausgabe Hallmannscher Werke, die Trauer-, Freuden- und Schäffer-Spiele, die neben neun Dramen, darunter zwei Bearbeitungen italienischer Stücke, einen Neudruck der Adlers-Flügel enthielt. Diese Ausgabe sollte offensichtlich die erste Teilsammlung Lohensteinscher Werke (1680) übertrumpfen und sich ebenbürtig an die Seite der Werksausgaben des Andreas Gryphius stellen. Doch dann der große Bruch in Hallmanns Leben: Keine Spur mehr von Gelegenheitsdichtung, und nur zwei Werke erscheinen überhaupt noch im Druck, 1689 ein schmales Bändchen mit Gedichten auf die Siege Leopolds über die Türken, betitelt Der Triumphirende Leopoldus, und 1700 das Trauerspiel Liberata. Dieses hatte er den Fürsten und Ständen Ober- und Niederschlesiens gewidmet und dafür zwar, wie das Schlesische Landesprotokoll unter dem 24. Mai 1700 ausweist, „60 fl. zum Recompens“ erhalten, doch gleichzeitig die Auflage bekommen, „in‘s Künftige mit dergleichen Dedicationen die Fürsten und Stände verschonen“ zu wollen.

Das Scheitern aller beruflichen Ambitionen, das Ausbleiben von Aufträgen für Gelegenheitsdichtung, das gesellschaftliche Abseits und die Anfeindungen in Breslau – das alles könnte mit dem Übertritt zum Katholizismus zusammenhängen, von dem biographische Notizen des frühen 18. Jahrhunderts zu berichten wissen. Dann hätte er mit diesem Schritt die Gunst der früheren Gönner und angesehenen Patrone verloren, ohne gleichzeitig Förderung durch katholische Kreise und kaiserliche Behörden gewonnen zu haben. Konfessionelle Animositäten sprechen jedenfalls auch aus einem Briefwechsel zwischen Christian Stieff und Christian Gryphius vom Frühjahr 1699 anläßlich des Versuchs Hallmanns, sein 1684 in der Sammelausgabe erschienenes „Musicalisches Trauer-Spiel“ Catharina,in dem das Schicksal der ersten Gemahlin Heinrichs VIII. mit deutlich prokatholischer Tendenz behandelt ist, zur Aufführung zu bringen. Tatsächlich hat sich Hallmann zwischen Herbst 1699 und Herbst 1704 in mehreren Aufführungsfolgen als freier Theaterunternehmer betätigt und dabei einige seiner älteren Dramen in überarbeiteter Form sowie sieben neue Stücke auf die Bühne gebracht, wobei er sich zuletzt auf „einem mit Maschinen ausgezierten Theatro“ ganz der neuen Modeform „Oper“ zuwandte.

Ob er „aber dennoch an. 1704 blut arm zu Breßlau gestorben“ ist, wie ein Teil der biographischen Überlieferung berichtet, oder, wie der andere wissen will, erst 1716 zu Wien, bleibt offen: Entsprechende Eintragungen haben sich weder in den Kirchenbüchern Breslaus noch in den amtlichen Unterlagen Wiens finden lassen. Daß er einer der talentiertesten Dramatiker des 17. Jahrhunderts mit einem ausgeprägten Gespür für theatralische Effekte war, steht indes außer Frage. Er hat sich die Thematik und Bauform nicht nur des schlesischen Kunstdramas seiner Vorgänger und des Jesuitendramas, sondern auch des Theaters der Wanderbühnen und der italienischen Oper zu eigen gemacht, hat so die Statuarik des barocken Trauerspiels aufgebrochen und diesem als ein zentrales Motiv zurückgewonnen, was Gryphius ihm unter Hinweis auf die Alten noch strikt verweigert hatte, das Liebesthema. Er hat dabei ins Trauerspiel höchst wirkungsvoll komische Züge eingebracht und komisches Personal integriert, überhaupt immer wieder Übergänge zwischen den sonst so strikt getrennten dramatischen Gattungen des Barock zuwege gebracht. So deuteten sich in seinem dramatischen Oeuvre durchaus in die Zukunft weisende Lösungen an, doch Erfolg und Anerkennung blieben ihm versagt: Die Verhältnisse waren gegen ihn.

Textausgaben: Papierener Kirchhoff oder aus dem Italiänischen übersetzte Grabschriften. Hrsg. von K. Sauer. Berlin 1964. – Mariamne. Trauerspiel. Hrsg. von G. Spellerberg. Stuttgart (1973). – Sämtliche Werke. Hrsg. von G. Spellerber [bisher:] Bd. I, Bd. II, Bd. III, l und III, 2. Berlin 1975.1980.1987. (Ausgaben deutscher Literatur des XV.-XVIII. Jahrhunderts. 56. 89. 125. 126)

Lit.: Richard Maria Werner: Johann Christian Hallmann als Dramatiker. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 50 (1899) S. 673-702. – Horst Steger: Johann Christian Hallmann. Sein Leben und seine Werke. Weida 1909. – Werner Richter: Liebeskampf 1630 und Schaubühne 1670. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte des 17. Jahrhunderts. Berlin 1910. S. 173-190, 343-413. – Kurt Kolitz: Johann Christian Hallmanns Dramen. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Dramas in der Barockzeit. Berlin 1911.– Eberhard Beheim-Schwarzbach: Dramenformen des Barock. Die Funktion von Rollen, Reyen und Bühne bei Joh. Chr. Hallmann (1640-1704). Diss. Jena 1933 [Masch.]. Teildr.: Weimar 1931. – Gernot Uwe Gabel: Johann Christian Hallmann. Die Wandlung des Schlesischen Kunstdramas im Ausgang des 17. Jahrhunderts. Diss. Rice University, Houston (Texas) 1971. – Kristine Krämer: Johann Christian Hallmanns Trauer-, Freuden- und Schäferspiele. Die Bedeutung des Fortuna-Konzeptes für die Vermischung der Dramenformen des Barock. Diss. Freie Universität Berlin 1978. – Peter Skrine: An exploration of Hallmann’s dramas. In: German Life and Leiters 36 (1983) S. 232-240. – Gerhard Spellerberg: Ratio Status und Tragoedia. Bemerkungen zur Wandlung des barocken Trauerspiels bei Hallmann. In: Virtus et Fortuna. Festschrift für Hans-Gert Roloff. Bern/Frankfurt a.M./New York 1983. S. 496-517. – Birgit Neugebauer: Das Pastorell. Johann Christian Hallmanns Beitrag zum schäferlichen Drama im Spätbarock. Magisterarbeit Freie Universität Berlin 1984. – Margarethe Roume: L’art emblematique dans l’oeuvre de Johann Christian Hallmann. Diss. Paris 1985. – Blake Lee Spahr: Johann Christian Hallmann: A manneristic reflection. In: Sinn und Symbol. Festschrift für J.P. Strelka zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Karl Konrad Polheim. Bern, Frankfurt a.M. (u.a.) 1987. S. 37-43.– Gerhard Spellerberg: Johann Christian Hallmann. In: Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Hrsg. von Gunter E. Grimm u. Frank Rainer Max. Band 2: Reformation, Renaissance und Barock. Stuttgart (1988) S. 363-373. – Ders.: „Schlesisches Kunstdrama“ – Fragen und Probleme der Edition der Dramen Lohensteins und Hallmanns. In: Editio 3 (1989) S. 76-89. – Beatrice von Jena: Epigonales Nachspiel? Johann Christian Hallmanns Trauerspiele im gattungsgeschichtlichen Kontext. Magisterarbeit Freie Universität Berlin 1990. – Italo Michele Battafarano: Epitaphia loco-Seria. Loredano und Hallmann. In: Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. Hrsg. von Alberto Martino. Amsterdam 1990. (= Chloe. Beihefte zum Daphnis. 9.) S. 133-150. – Anne Wagniart: Le parcours artistique de Johann Christian Hallmann et le projet d’un théâtre impérial allemand (1662 – 1704). Contribution au patriotisme littéraire siélsien dans la seconde moitié du XVIIe siècle. (794 S.) Diss. Paris 2002 (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel).

Bild: Titelkupfer zu Hallmanns Trauer-, Freuden- und Schäffer-Spielen. Breslau 1684.