Biographie

Hammerstiel, Robert

Herkunft: Banat
Beruf: Maler und Grafiker
* 18. Februar 1933 in Werschetz
† 23. November 2020 in Neunkirchen/ Niederösterreich

Robert Hammerstiels Vorfahren stammten aus Baden. Die Familie wohnte im serbischen Viertel von Werschetz. Der Vater betrieb eine kleine ererbte Bäckerei, wäre aber lieber seinen künstlerischen Neigungen nachgegangen. Nebenberuflich malte er Schilder, Aufschlagkarten und vor allem Ikonen. Während der Vater beim Militär diente, wurde Robert Hammerstiel im Alter von elf Jahren im November 1944 mit seinem Bruder Alfred und seiner Mutter von Titos kommunistischen Partisanen interniert. Er durchlief einen drei Jahre dauernden Leidensweg durch die Lager Zichydorf, Setschanfeld, Molidorf und Gakowo, litt große Not, hatte schwere Krätze und Malaria, war zeitweise von der Mutter getrennt, wäre fast verhungert. Viele seiner Freunde und Familienangehörigen starben in den Vernichtungslagern für Jugoslawiens deutsche Minderheit. Ende August 1947 gelang dem 14-Jährigen mit seiner Mutter und dem jüngeren Bruder die Flucht über Ungarn nach Niederösterreich.

Dort arbeitete er zunächst bei Bauern, wobei ihn Heimweh und Diskriminierung schwer belasteten. Seit Ende der 1940er Jahre lebte Robert Hammerstiel in der Gemeinde Pottschach, die später der Stadtgemeinde Ternitz eingegliedert wurde, im Bezirk Neunkirchen. Dort erlernte er das Bäckerhandwerk. Ab 1955 verdiente er seinen Lebensunterhalt in den Stahlwerken von Ternitz mit schwerer körperlicher Arbeit bei großer Hitze. Nach einem Arbeitsunfall 1979 wurde er aus der Gießerei ins Büro versetzt. 1988 trat er krankheitsbedingt seine vorzeitige Invalidenpension an und wirkte fortan ausschließlich als freischaffender Künstler.

Neben seinem Broterwerb hatte Hammerstiel stets gezeichnet und war schon früh autodidaktisch als Maler tätig. Vom Vater wurde er angeleitet und gefördert, als der 1950 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde und zur Familie stieß. Neben der Darstellung von Motiven aus seiner Umwelt begann Hammerstiel gegen Ende der 1960er Jahre, die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit künstlerisch aufzuarbeiten. Er begriff sich als „Überlebender von vielen Toten“, der schon in kindlichem Alter den Abgrund der Menschheit gesehen hatte, und wollte das Gelöbnis des verzweifelten Lagerkindes einlösen, das er seinen verhungerten Freunden Mischi und Jani gegeben hatte, nämlich alles in den Lagern Erlebte aufzuzeichnen. Er löste sein Versprechen sowohl mit zahlreichen Holzschnitten und Gemälden wie auch mit seiner ungewöhnlichen Autobiografie Von Ikonen und Ratten (1999) ein. Mit diesen Darstellungsmitteln vergegenwärtigt er das Grauen, die Einsamkeit, den Hunger, die Gewalt und das massenhafte Sterben, den täglichen Kampf ums Überleben in den Lagern, aber auch Hoffnung, Mitgefühl und menschliche Würde sind in diesen Bildern eindrucksvoll zu sehen. Zeitlebens haben die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit seine Kunst geprägt, sind mahnender Bestandteil seines Schaffens. Biografie und Werk sind eng miteinander verwoben.

1958 erhielt Hammerstiel durch die Teilnahme an einem Wettbewerb des Österreichischen Gewerkschaftsbundes den Förderpreis für Malerei und damit die Möglichkeit, an der Wiener Kunstakademie neben seinem Brotberuf zu stu­dieren. Zu seinen Lehrern zählten Gerda Matejka-Felden, Gerhard und August Swoboda sowie Robert Schmidt, der Hammerstiel mit der Kunst des Holzschnitts vertraut machte. Seit 1968 präsentierte der Künstler sein Werk in Ausstellungen, zunächst vor allem in Wien und Niederösterreich, bald auch in Deutschland und anderen Ländern Europas, später in den USA, im Nahen Osten und in Japan. Er konnte sich als Einzelgänger Anerkennung in der österreichischen und internationalen Kunstszene verschaffen.

Der österreichische Bundespräsident Rudolf Kirchschläger, der Hammerstiels Kunst schätzte und persönlichen Kontakt mit ihm pflegte, verlieh Hammerstiel 1985 den Berufstitel Professor.

Studienreisen führten den Künstler durch Europa, Israel, Jordanien, Ägypten und in die USA. Einen Wendepunkt im malerischen Werk bedeutete vor allem die Reise nach New York 1988. Von der amerikanischen Pop Art gefesselt, entdeckte er für seine Kunst eine starke, lebendige Farbigkeit und radikal auf das Wesentliche reduzierte Formen. Seine neuen Werke lösten die dunkle Palette des Frühwerks ab, dessen Figuren Ausdruck von Schmerz und Trauer waren. Diese Anleihe macht ihn jedoch nicht zu einem Pop-Art-Künstler, denn weder malte er Motive der Alltagskultur, der Welt des Konsums, der Massenmedien und Werbung noch arbeitete er im Sinne klar definierbarer Gegenstands-Elemente, der Appropiation-Art oder antizipierte die Idee von Warhols Factory im Sinne einer Vervielfältigung. Vielmehr entwickelte Hammerstiel in einer sehr persönlichen, an die Ikonen-Malerei des Vaters angelehnten Interpretation der Pop Art eine Formensprache an der Schnittstelle von Figuration und Abstraktion. Seit Ende der 1980er Jahre ist seine Handschrift unverwechselbar und von großer suggestiver Wirkung.

Die sich überschneidenden und überdeckenden Körper und Gesichter seiner Figuren – oft mit typischer Kopfbedeckung oder symbolhafter Kleidung – sind abstrahiert, auf Umrisse begrenzt, entbehren der Binnenzeichnung. Details und Nebensächlichkeiten fehlen vollständig. Doch obwohl seine Figuren (zumeist) keine Gesichter haben, sind sie nicht ohne Ausdruck. Alles ist auf Haltung reduziert, auf elementare Gestik konzentriert, auf eine kompositorisch erzeugte Spannung. Hammerstiels flächige Formen mit leuchtenden monochromen Farben, seine schablonenhaften Gestalten bewirken zwar vordergründig einen Zugewinn an Klarheit, Direktheit und Vereinfachung, doch werden sie gleichzeitig verklärt und mystifiziert. Dem Künstler gelingt es, durch die gesamte Bildkonzeption, die von ihm komponierte Farbigkeit, die gewählte Perspektive, die Stellung der Figuren zueinander und ihre Beziehung zu einem reduzierten, in die Tiefe gestaffelten Raum mit weiteren abstrahierten Motiven und Objekten eine Narration aufzubauen, in der die Atmosphäre der Szene für den Betrachter spürbar wird. Farbe und Komposition geben ihm die Möglichkeit, Statik und Bewegung in ein Gleichmaß zu bringen, die Figurationen zu geistigen Physiognomien zu verdichten und ihnen etwas Unheimliches, eine magische Transzendenz zu verleihen.

In Hammerstiels Werk ist das Leid, das er als Kind erfahren hatte, immer wieder präsent. In allen seinen Schaffensphasen knüpft er immer wieder an frühe Eindrücke und Motive aus seinem Banater Herkunftsraum an. Seine biografischen Erfahrungen blieben Substanz und Antrieb für das künstlerische Schaffen. Es ging ihm jedoch nicht so sehr um die bloße Erinnerung, sondern um die Menschenwürde unter widrigsten Umständen, um Frieden und Verständigung. Mit seiner Kunst opponierte er vehement gegen Ungerechtigkeit, Gewalt und Terror, gegen Anmaßungen der Macht im Individuum und in der Gesellschaft, gegen Hass und Grausamkeit. Im Mittelpunkt seines druckgrafischen Werks und seiner Bilder steht unbeirrt seine humanistische Botschaft zu vermitteln.

Neben den Menschen sind es auch immer wieder die urbanen Landschaften, die Hammerstiel als Motiv dienten, von New York bis in seine Geburtsstadt Werschetz. Hinzu kommt sein Zyklus Ich und die anderen. Hommagen an die Kunst. In mehr als 150 Bildern beschäftigt er sich darin mit den Werken von Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts, die ihn menschlich berührten, beeinflussten oder inspirierten. Wenn er malte, hörte Hammerstiel meist Musik. Zu Schuberts Winterreise schuf er Bilder, die in einer eigenen Ausstellung gezeigt und einem Band zusammengefasst sind. Nahezu unüberschaubar ist die Fülle seiner Themen, die sich auch in den im Laufe seiner künstlerischen Laufbahn entstandenen Holzschnitt- und Gemäldezyklen widerspiegeln, etwa zu den Evangelien. Hammerstiels größtes und öffentlich auffälligstes Werk war 2007 die zehn Wochen dauernde Verhüllung des 73 Meter hohen Wiener Ring­turms mit einer 4.000 Quadratmeter großen Netzfolie, darauf vier von ihm geschaffene Motive, die Stationen des Lebens zeigten mit den für ihn charakteristischen, in grellem Kolorit leuchtenden Schablonenfiguren.

In Fortführung des ersten Teils seiner Autobiografie Von Ikonen und Ratten schildert Hammerstiel seinen weiteren Lebensweg, beginnend mit der Bäckerlehre in Pottschach, den Jahren als Ternitzer Stahlwerksarbeiter über seine Studienzeit bis hin zum Durchbruch als international anerkannter Künstler in dem Buch Von klaren und blinden Spiegeln (2007).

Robert Hammerstiel wurde mit vielen nationalen und internationalen Preisen und Auszeichnungen geehrt. Seine Werke waren weltweit in zahlreichen Ausstellungen zu sehen und sind in vielen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. In den letzten Jahren hat der Künstler vor allem durch seine großen Einzelausstellungen im Leopold-Muse­um Wien, im Künstlerhaus Wien, das ihm als einzigem lebenden Künstler zwei Ausstellungen ausgerichtet hat, in der Wiener Albertina, in der Salzburger Galerie Gerlich oder in der Galerie Lehner in Wien von sich reden gemacht. Großer Anerkennung erfreute sich der Künstler in seinem Herkunftsland Serbien. Trotz aller negativen Erfahrungen blieb er seiner Banater Heimat und seinem Geburtsort Werschetz stets mit versöhnlicher Haltung verbunden. Mehrfach stellte er in Serbien aus, wurde 2006 Ehrenmitglied der Akademie für Wissenschaft und Kunst in Belgrad und 2009 Ehrenbürger der Stadt Werschetz. 2010 widmete ihm das Stadtmuseum seiner Geburtsstadt ein eigenes Museum, das im Weinbauerndorf Kudritz, dem Herkunftsort eines Großvaters des Künstlers, eröffnet wurde. Ein Jahr später wurde im Landesmuseum der Woiwodina in Neusatz (Novi Sad) ein Robert-Hammerstiel-Saal als Dauerausstellung eingerichtet.

Am 30. April 2017 starb Robert Hammerstiels Frau Margareta, geborene Speringer, die er am 14. April 1956 geheiratet hatte. Nach kurzer schwerer Krankheit starb im 88. Lebensjahr im Landesklinikum Neunkirchen der höchste internationale Reputation genießende Künstler selbst.

Lit.: Robert Hammerstiel, https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_ Ham­merstiel. – Walter Tonţa, Donauschwäbischer Künstler von internationalem Ruf (26.01.2021), https://www.banater-schwaben.org/ nachrichten/kultur/details/3289-donauschwaebischer-kuenstler-von-internationalem-ruf-nachruf-auf-den-maler-und-grafiker-robert-ham-merstiel?tx_news_pi1%5Bday%5D=26&tx_news_pi1%5Bmonth %5D=01&tx_news_pi1%5Byear%5D=2021&cHash=9980c7125cddddf918c6fee4ab5d5737. – Silvie Aigner, Zeichner, Maler, Grafiker. Nachruf auf Robert Hammerstiel (09.12.20), https://www.parnass.at/ news/nachruf-auf-robert-hammerstiel; 1933-2020. Maler Robert Hammerstiel gestorben. Der niederösterreichische Künstler changierte zwischen Ikonenmalerei, Holzschnitt und Pop-Art. Staatssekretärin Mayer zeigt sich betroffen, https://www.derstandard. de/story/2000121938539/maler-robert-hammerstiel-ist-gestorben.

Bild: Foto von Klaus Schönitzer – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57969861.

Stefan P. Teppert­