Biographie

Hampel-Faltis, Gertie

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Dichterin
* 5. Oktober 1897 in Wekelsdorf/ Böhmen
† 21. Oktober 1944 in Wekelsdorf/ Böhmen

Theodor Fontane (1819-1898), der Berliner Schriftsteller, besichtigte 1866 die Nachwirkungen des Preußisch-Österreichischen Krieges vor Ort, unter anderem in Trautenau, wo die Preußen einen unerklärlichen Verlust erlitten hatten. Er fand aber auch noch anderes Bewundernswertes. „Trautenau, eine Meile von der preußischen Grenze entfernt, gilt, neben Reichenberg, als die bedeutendste Fabrikstadt Böhmens. Es ist Mittelpunkt und Hauptmarkt für die Flachsspinnerei in ganz Oestreich und der Reichtum einzelner Firmen, wie die Betriebsamkeit seiner Bevölkerung geben ihm ein geordnetes und lachendes Ansehn. Im Uebrigen bildet, wie bei allen böhmischen Städten, der Ringplatz den Mittelpunkt…“ (Theodor Fontane, Der deutsche Krieg von 1866, Band 1, S. 358).

Ein Abbild dieses Reichtums der Fabrikanten findet man heute noch in ihren Grabstätten auf dem Trautenauer Friedhof, so die Grabstätte von Johann Faltis (1796-1874), der in Trautenau große Leinentuchfabriken besaß und Begründer der mechanischen Flachsspinnerei in Österreich war. Dieser Familie entstammt die heute unbekannte Dichterin Gertie Faltis.

Josef Mühlberger stellt sie in seiner Erzählung Die Tafelrunde vor (ca. 1970 in dem Erzählband Der Scherbenberg, 1983 noch mal in dem Band Wo ich daheim war, Helmut Preußler Verlag, Nürnberg, veröffentlicht): „… ein anderer Klang meldete sich eines Abends in unserer Tafelrunde. Er kam von einem Gedichtband, der den Titel ,Das große Rauschen‘ trug. Er erregte auch deswegen unsere Aufmerksamkeit, weil er von einer jungen Dame, der letzten Überlebenden der bedeutenden Industriefamilie unserer Stadt, Faltis, stammte. Die Dame lebte, für uns sagenhaft, in einem barocken Schloß unweit unserer Stadt. Die Gedichte wurden vorgelesen und für gut, einzelne für ausgezeichnet befunden. Ernst Redlich, der sie neben die Hermann Hesses stellte, bewunderte neidlos, was er in seinem Leben nie erreichen sollte, ein gedrucktes Gedichtbuch. Zuweilen zitierte er ehrfurchtsvoll einen Vers aus dem ,Großen Rauschen‘: Der Wintersonne karge Gnade/ Hat mich berührt.“ (Mühlberger, Die Tafelrunde, in: Wo ich daheim war, S. 71 f.)

Eines Tages finde ich tatsächlich in einem Antiquariat ihren Lyrikband, 1931 im Verlag der Literarischen Adalbert-Stifter-Gesellschaft in Eger erschienen. Das vollständige Gedicht heißt:

Erweckung

Der gelben Wintersonne karge Gnade
hat mich berührt. O mein Herz!
Winterstilles Herz. Frorst du? Starbst du?
Ach nein, du begannst zu zittern, zu atmen
i
m schrägen Lichte. Die Baumgebilde warfen Schatten
auf deinen erblindeten Spiegel
und der blaue, klare Himmel beschwor deinen Atem,
schlug deine Eisflächen durch.

Nun blinken die lebendigen Wasser,
nun öffnen sich wieder die erstarrten Ohren,
ahnen Vögel und Laub, Regen und Wind –
nun flattern wieder die eingefalteten Schwingen,
weiten sich, o so weit und groß!
und wollen mich wieder tragen
über die Erde hinauf in den Himmel!
Der gelben Wintersonne Gnade
Hat mich berührt.

Das ist gute Dichtung, klare, einprägende Bilder, mit großen Gefühlen eingebettet in eine expressive Naturbeschreibung, aber noch konservativer Wortwahl.  Auch Josef Mühlberger ist fasziniert: „Ihre Lyrik (Das große Rauschen, 1931) ist stark und tief im Erle­ben und einfach in der Form, ihr Herz schlägt mit der Natur und den Jahreszeiten.“ (Mühlberger, Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen 1900-1939, S. 348-349, Verlag Langen Müller, München, 1981). Es ist der einzige Gedichtband von Gertie Faltis. Wer etwas über sie erfahren will, tappt im Dunklen und erhält widersprüchliche Angaben. Mühlberger (ebd. S. 348f.) erwähnt, dass sie 1895 in Trautenau geboren und 1944 in Wekelsdorf verstorben sei und dass sie „… auf ihrem Schloß in der Wald- und Felsenlandschaft von Adersbach-Wekelsdorf, woher Sidonie Nadherný stammte“, lebte. Das ist nur halb richtig.

Es gibt mehrere Schlösser, eins in Adersbach, das hatte der Vorfahr von Sidonie Nadherný (1885-1950), Johann Nadherný (1772-1860), der 1838 geadelt wurde, erworben. Die Familie war in der Eisenproduktion reichgeworden. Sidonie war die Tochter von Carl von Nadherný (1849-1895), einem Sohn von Johann. Adersbach fiel aber an einen weiteren Sohn, Othmar (1840-1925) bzw. dessen Sohn Constantin (1877-1952), dem es aber 1945, manche Quellen schreiben 1948 – kommunistischer Putsch unter Klement Gottwald 1896-1953, beide Jahreszahlen sind möglich – enteignet wurde. Sidonie zählt zu den großen Frauen der böhmischen Literatur als Muse von Rainer Maria Rilke (1875-1926) und Geliebte von Karl Kraus (1874-1936), der große Teile seines Dramas Die letzten Tage der Menschheit auf Schloss Janowitz bei Prag schrieb, das ihrer Familie gehörte. Auch dieses Schloss wurde 1948 von den Kommu­nis­ten enteignet. 1950 starb sie verarmt im englischen Exil. Dass sie bei ihren Verwandten in Adersbach zu Besuch war, ist zu vermuten.

Bei den Vorbesitzern des Schlosses von Adersbach, das auch mitunter als Schloss am Schwanenteich bezeichnet wird, hatte Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) im September 1790 auf seiner Schlesienreise Halt gemacht. Er hatte die soeben in ihrer Bedeutung bekanntgewordenen Adersbacher Felsen besich­tigt, wo die Mettau entspringt und ihre Wasserläufe die Felsenstadt prägen.

Noch nicht mal zehn Kilometer weiter östlich finden wir das Städtchen Wekelsdorf, ebenfalls von interessanten Felsformationen umlagert und an dem Flüsschen Mettau gelegen. Hier war auch eine Herrschaft ansässig gewesen. Das am Marktplatz gelegene sogenannte Niederschloss, das dem Besitzer der Domäne Unter Wekelsdorf gehörte, wurde 1694 von Ferdinand Wenzel Schmiedel Freiherr von Schmieden erbaut. Das reiche Barockportal zeigt das Wappen des Erbauers.

Der Vater von Gertie, Fritz Faltis, ein Sohn von Johann Faltis, kaufte 1891 diesen Großgrundbesitz Unter Wekelsdorf, den er seiner Tochter Gertie 1927 zur Hochzeit mit Kurt Hampel (Schneidermeister) schenkt. Die Parkanlagen dieses Faltisschen Schlosses waren der Öffentlichkeit zugänglich.

Gertie Faltis’ hat eine Tochter. Die Familie lebt auf dem Schloss. Kurt Hampel ist Soldat, als Gertie 1944 stirbt. Die Tochter Renate ist bei Kriegsende 15 Jahre alt, wird wie alle Deutschen nach 1945 enteignet und vertrieben.

Das ist im Großen und Ganzen alles, was wir aufgrund der spärlichen Informationen über Gertie Faltis herausbekommen haben.

Auch die Lebensdaten stimmen in den Quellen nicht überein, ich habe die des Trautenauer Archivs übernommen. Sie ist auf dem Friedhof in Wekelsdorf beigesetzt, die Grabstätte ist aufgelöst.

Mühlberger schreibt weiter über sie: „Ihre Lyrik (Das große Rauschen, 1931) ist stark und tief im Erleben und einfach in der Form, ihr Herz schlägt mit der Natur und den Jahreszeiten. Das Gedicht ,Ich lese ein Buch, das dir gehört‘ ist ein Beispiel dafür, wie ein Liebesgedicht das allgemeine Klischee überragen kann:

Auf diesen Seiten ruhte deine Hand
Und wandte Blatt um Blatt
Aus diesen schwarzen Zeichen kommt dein Blick
In meine Augen, warm und lebensvoll.
Dein Atem rührte diese Blätter an,
Ich fühle ihn, als wärst du neben mir.
Und Menschenschicksal, eingepresst in kurze Zeilen,
Das mich nun anrührt,
Ging an dein Herz, das mir so nahe war.“
(
aaO, S. 349)

Es gibt Gedichte in dem Band, in denen Gertie Faltis zeigt, dass sie die Versformen beherrscht. Wenn man sich jedoch in der deutschsprachigen Lyrik der zwanziger Jahre umschaut, da nimmt sich ihr Stil doch noch recht konservativ aus.

Gertie Hampel-Faltis, eine Dichterin im deutschsprachigen Böhmen, ist noch beheimatet in den Bildern von der Stille der Wälder, den Nebelschwaden über Moore, die eher an das 19. Jahrhundert erinnern.  In ihrem behüteten Bürgertum herrscht eine die Existenz sichernde Kontinuität vor. Auch wenn die Vorfahren Fabrikbesitzer und viele Arbeiter bei ihnen beschäftigt waren, ist doch diese Welt ihr fremd, wie auch die laute, aggressive Stadt mit ihren sozialen Problemen nicht den Ausdrucksmöglichkeiten von Gertie Hampel-Faltis entspricht.

Ende der zwanziger Jahre bis 1938 erscheinen weitere Gedichte von ihr, oft aber auch nur aus dem veröffentlichten Gedichtband, so in der Ostböhmischen Heimat und gelegentlich in „Witiko: Zeitschrift für Kunst und Dichtung“.

Der Herausgeber der Zeitschrift „Heimat“, der aus Oberprausnitz stammende Historiker und Bohemist Anton Blaschka, brachte in diesen Beilagen der Trautenauer Zeitschrift „Volksbote“ des Katholischen Preßverein für Ostböhmen immer wieder Gedichte von Gertie Faltis, allerdings nur bis 1938, bis zur Nr. 40, danach marschieren die Nazis ins Sudetenland ein, eine andere Zeit bricht an.

Bild: Braunauer Hefte, 2013.

Jenny Schon