Biographie

Harnack, Theodosius

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Prof. f. Systematische Theologie
* 3. Januar 1817 in St. Petersburg
† 23. September 1889 in Dorpat/Estland

Zu den zu ihrer Zeit profiliertesten Lehrkräften der Theologischen Fakultät der baltischen Landesuniversität Dorpat gehörte Theodosius Harnack. Er wurde als Sohn eines aus Ostpreußen gebürtigen Schneidermeisters am 22. Dezember 1816 in St. Petersburg geboren und starb am 11. September 1889 in Dorpat, der Stadt seines langjährigen Wirkens.

Harnak besuchte die deutsche St. Petri-Schule zu St. Petersburg und widmete sich von 1834 bis 1837 dem Studium der Theologie an Universität Dorpat, wo er im Jahre 1836 mit einer silbernen Preismedaille ausgezeichnet wurde. Nachdem er in den Jahren bis 1840 als Hauslehrer bei den Grafen Stackelberg gewirkt hatte, setzte er seine Studien an den Universitäten Bonn, Erlangen und Berlin fort. Im Jahre 1840 erschien seine erste Schrift „Die Gesetzeserfüllung Christi auf Grund von Matth. 5,17“, und 1842 „Jesus, der Christ oder der Erfüller des Gesetzes und der Propheten“.

Im Jahre 1842 kehrte der 25jährige Harnack von seinen ausländischen Studien nach Dorpat zurück, wo er im gleichen Jahr die Erlaubnis des Ministers zum Halten von Vorlesungen erhielt, sich im folgenden Jahr als Privatdozent für Praktische Theologie habilitierte und 1844 mit der Dissertation „Die Idee der Predigt“ zum Magister der Theologie promovierte. Im Jahre 1845 erschien seine Schrift„Die Grundbekenntnisse der evangelisch-lutherischen Kirche“. Im gleichen Jahr noch wurde er als Kandidat für den vakanten Lehrstuhl der Praktischen Theologie präsentiert und am 13. September zum außerordentlichen Professor gewählt. Zwei Jahre später, 1847, wurde er zum Doktor der Theologie promoviert und hatte von 1847 bis 1852 die ordentliche Professur für Praktische Theologie inne, wobei er zur gleichen Zeit auch Prediger der Universitätsgemeinde war und als solcher zur 50-Jahrfeier der Universität (1852) im Rahmen eines Festgottesdienstes in der St. Johannis-Kirche die eindrucksvolle Festpredigt hielt, nachdem ihm der Rat der Stadt auf Ersuchen der Theologischen Fakultät bereits im Jahre 1844 die Genehmigung erteilt hatte, in der St. Johannis-Kirche besondere akademische Gottesdienste abzuhalten, unter der Bedingung allerdings, daß die Universität keine eigenständige Gemeinde bilde. Dennoch hat Harnack die Bildung der Dorpater Universitäts-Gemeinde vorbereitet. Während seiner Amtsführung in den Jahren 1844 bis 1852 reifte sie so weit aus, daß sie im Jahre 1855, als Harnack selbst in Erlangen lehrte, sich konstituieren und ins Leben treten konnte. So hat sie als Harnacks Schöpfung zu gelten. Im Jahre 1860 hat sie hinter dem Hauptgebäude der Universität ein eigenes Gotteshaus erhalten.

Harnacks Vielseitigkeit und seine hohe theologische Leistungsfähigkeit wurden nicht zuletzt auch dadurch deutlich, daß er, im Jahre 1852, von der Praktischen zur Systematischen Theologie übergehend, Dogmatik und Ethik in seinen Vorlesungen behandelte. Nur kurze Zeit jedoch bekleidete er diesen Lehrstuhl, denn bereits im Jahre 1853 erging an ihn der Ruf zum ordentlichen Professor der Praktischen Theologie an der Universität Erlangen, dem er Folge geleistet hat. Er blieb bis zum Jahre 1866 in Erlangen und kehrte dann nach Dorpat zurück, wo man ihn am 17. September 1865 wiederum zum Professor der Praktischen Theologie gewählt hatte und ihn am 8. November in diesem Amt bestätigte. In den Jahren 1867 bis 1869 bekleidete er das Amt des Dekans der Theologischen Fakultät. Bei der geplanten Gründung des Theologischen Vereins, dessen Statuten am 28. Dezember 1867 die Bestätigung des Rektors erhielten, stellte er seine tätige Mitarbeit zur Verfügung und erbot sich, die Leitung wissenschaftlicher Abende zu übernehmen. An der kirchlichen Arbeit seiner Landessynode nahm er ebenfalls lebhaftesten Anteil und war auf liturgischem Gebiet von hervorragender Bedeutung. Seiner Initiative und Mitarbeit verdankte die evangelisch-lutherische Kirche in Livland, daß Revision und Ausgestaltung der Agende in Angriff genommen und durchgeführt wurden. Harnk war erster Präses des Liturgischen Komitees und der eigentlicher Schöpfer der liturgischen Gottesdienst-Ordnung seiner livländischen Kirche.

Es war Theodosius Harnack indessen nicht vergönnt, seine Tätigkeit an seiner alten Wirkungsstätte noch lange auszuüben. Im April 1872 erlitt er einen Schlaganfall. Zwar konnte er nach eingetretener Besserung seines gesundheitlichen Zustandes seine akademische Lehrtätigkeit fortsetzen, bat jedoch am 24. Februar 1875 um seine Entlassung. Seine ihm verbliebene geistige Frische gestattete es ihm, eine rege schriftstellerische Tätigkeit zu entfalten.

Theodosius Harnack gehörte zu den bedeutendsten Vertretern der Praktischen Theologie, und seine Lehrbücher galten als gründliche und wertvolle Arbeiten. Zu seinen wichtigsten Werken gehören u.a.: „Die lutherische Kirche Livlands und die Herrnhutische Brüdergemeinde“ (1860), „Die Kirche, ihr Amt und ihr Regiment“ (1862, Neudruck 1934, 1947), „Luthers Theologie, mit besonderer Ziehung auf seine Versöhnungs- und Erlösungslehre (I:1862, II: 1886, Neuausgabe 1927), ein in Harnacks Dorpater Zeit entstandenes Werk, das als maßgebende Leistung auf diesem vielumstrittenen Gebiet galt, „Die freie lutherische Volkskirche“ (1870), „Praktische Theologie“ (2 Bände 1877/1878), für die ihm die Prämie der Robert Heimbürgerschen Stiftung zuerkannt wurde, nachdem die theologische Presse aller Richtungen dieses Werk als eine hervorragende wissenschaftliche Leistung anerkannt hatte, und „Katechismus und Katechismuserklärung“ (2 Bände 1882f.).

Theodosius Harnack war zweimal verheiratet. In erster Ehe mit Marie von Ewers, einer Tochter des langjährigen Rektors der Universität Dorpat, Professor Gustav von Ewers, in zweiter Ehe mit Baronesse Helene von Maydell, deren Bruder Eduard Baron Maydell Kammerherr, Ritterschaftshauptmann von Estland war.

Von Harnacks Kindern aus erster Ehe haben vier Söhne sich als Professoren einen Namen gemacht: der berühmte Theologe, Initiator und Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sowie Kanzler des Ordens Pour le mérite, Exzellenz Adolf von Harnack (1851-1930),  sein Zwillingsbruder,  der Physiker Axel von Harnak (1851-1888), der Pharmakologe Erich von Harnak (1852-1915) und der Literaturhistoriker Otto von Harnak (1857-1914).

Lit.: Johannes Frey, Die Theol.Fakultät der Kais. Universität Dorpat-Jurjew 1802-1903, Reval 1905. – Reinhard Wittram (Hrsg.), Baltische Kirchengeschichte, Göttingen 1956. – Roderich von Engelhardt, Die Deutsche Universität Dorpat in ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung, Reval 1933. – Hugo Semel, Die Universität Dorpat 1802- 1918, Dorpat 1918. – Deutsch-Baltisches Biographisches Lexikon 1710-1960, Köln 1970.