Nicht mehr still dulden, sondern aufbegehren gegen ein ungerechtes Schicksal – das erlaubte sich Sophie Gräfin von Hatzfeldt nach einer vierundzwanzigjährigen Leidenszeit. Die Gesellschaft nahm es ihr übel, doch nach langem Kampf erreichte sie ihr Ziel: Die Scheidung von ihrem grausamen Ehemann. Das allein war zu ihrer Zeit schon ein Skandal, und daß der unermüdliche Kämpfer für ihr Recht ein zwanzig Jahre jüngerer jüdischer linker Revolutionär war, erst recht. Doch an der Seite Ferdinand Lassalles fand sie Verständnis, Schutz und eine Art von Liebe, die ihr das Leben lebenswert machte. Gräfin Sophie von Hatzfeldt – eine große Frau, die in keine Schablone paßt: Damals nicht und heute auch nicht, und gerade das macht ihr Schicksal so einzigartig.
Geboren wurde Sophie Josepha Ernestine am 10. August 1805 im schlesischen Trachenberg als dritte Tochter von Franz Ludwig Fürst von Hatzfeldt zu Trachenberg und seiner Gemahlin Friderike. Sophie erhielt eine standesgemäße Erziehung und wuchs mit ihren beiden älteren Schwestern gemeinsam auf. Das Mädchen erblühte zu einer auffallenden Schönheit, die ihren Vetter, Edmund Graf von Hatzfeldt-Wildenburg, neben familienpolitischen Gründen um die Hand der gerade erst sechzehnjährigen Sophie anhalten ließ. Am Vorabend ihres 17. Geburtstags wurde sie mit Edmund verheiratet, der sie schon bald demütigte, mißhandelte und ihr das Geld für ihren persönlichen Bedarf vorenthielt. Auch die Geburt von zwei Söhnen und einer Tochter milderte Edmunds Abneigung gegen Sophie nicht, und er ließ sich sogar dazu hinreißen, ihr die Kinder zu entziehen und jeden Kontakt mit ihnen zu unterbinden. Tatsächlich gelang es Edmund, die beiden älteren Kinder der Mutter zu entfremden. Um ihren jüngsten Sohn Paul kämpfte Sophie aber jetzt mit umso stärkeren Waffen. Als ihre Eltern früh starben, war Sophie ganz allein – ihre beiden jüngeren Brüder versuchten zwar zunächst, zwischen ihr und ihrem Gatten zu vermitteln, zogen sich aber zurück, als ihre Bemühungen nicht fruchteten: Sophie sollte ihre Ehe ertragen, eine Scheidung wäre in ihren Kreisen ein Skandal.
Sophie brauchte 24 Jahre, bis sie, verzweifelt und zutiefst verletzt, die Kraft fand, einen Schlußstrich unter ihr Martyrium zu ziehen. Sie sagte sich von ihrer Familie los, die sie im Stich gelassen hatte, und bat den Bankierssohn Felix Alexander Oppenheim um Rechtsbeistand. Oppenheim war ein Anhänger Ferdinand Lassalles, dem er Einsicht in die Papiere der Gräfin gewährte. Zu Beginn des Jahres 1846 lernten sich die Gräfin und der einundzwanzigjährige jüdische Student im Salon des Grafen Keyserlingk kennen. Lassalle war zutiefst berührt von Sophies Schicksal, bot ihr seine Hilfe an und wurde schnell Sophies Vertrauter; vor ihm mußte sie ihr Elend und ihre Seelenqualen nicht vertuschen, und er, zwei Tage jünger als ihr ältester Sohn, wurde zu dem Beschützer, nach dem sie jahrelang verzweifelt gesucht hatte.
Lassalle unterbrach sein Studium, um mit ihr den spektakulärsten Scheidungsprozeß des 19. Jahrhunderts durchzufechten. Vor 38 Gerichten war er – der Philosophie, Geschichte und Philologie, nicht aber Jura studiert hatte – in erbitterten Prozessen der Rechtsvertreter Sophies. Fast ein Jahrzehnt dauerte es, bis sie gesiegt hatten, und in dieser Kampfzeit wurden beide füreinander zum nicht zu ersetzenden Gegenüber, zum gegenseitigen Lebenselixier.
Über die Art des Verhältnisses zwischen dem jungen Revolutionär und der reiferen Gräfin ist viel spekuliert worden. Beide betonen immer wieder die tiefe, innige, von reinsten Motiven bestimmte Freundschaft; beide entdecken eine Art Seelenverwandtschaft, die sich im Fühlen und Denken des anderen widerspiegelt. Die Beziehung der beiden hat etwas von dem Verhältnis einer Mutter zu ihrem Kind oder dem eines Bruders zu seiner Schwester, aber ganz lassen sich Liebesahnungen nicht verdrängen. Die Gräfin spricht Lassalle in ihren Briefen oft als „liebes Kind“ an, doch der Ton wechselt auch zu dem einer liebenden Frau. Lassalle selbst scheint zwischen Verehrung für die ältere Gräfin, geradezu kindlicher Eifersucht auf Sophies Sohn Paul – das einzige ihrer drei Kinder, das sich nicht von ihr abgewandt hatte – und echter Liebe hin- und her gerissen.
Lassalle nahm Verhaftungen, Verleumdungen und die Minderung seines politischen Ansehens in Kauf, um der Gräfin beizustehen. Sie selbst war vor Rufmord ebenso nicht sicher, hatte sie doch zu offensichtlich mit ihren gesellschaftlichen Kreisen gebrochen. Außerdem stand sie in einer zumindest doppeldeutigen Beziehung zu einem linken Revolutionär, der ihr Sohn hätte sein können. Als Lassalle zu ihr in ihr Düsseldorfer Haus zog, um sie vor ihren Gläubigern zu schützen, war der Skandal perfekt.
Die zahlreichen Prozesse, die die beiden gegen Sophies Ehemann führten, waren zum Teil von den politischen Strömungen und dem Hintergrund der 1848er Revolution begünstigt, dann aber auch wieder benachteiligt – Sophie identifizierte sich mittlerweile mit Lassalles politischen Anliegen, öffnete ihr Düsseldorfer Haus, das danach nicht selten Schauplatz polizeilicher Durchsuchungen wurde, seinen Gesinnungsgenossen, und war selbst ein Teil der demokratisch-revolutionären Bewegung der Jahre 1848/49.
Am 11. August 1854 wurde endlich die letzte Prozeßakte geschlossen: Zwischen Edmund und Sophie von Hatzfeldt kam ein Trennungsabkommen zustande, das die Gräfin finanziell unabhängig machte: Endlich war sie frei!
Fast 10 Jahre hatten die Gräfin und Lassalle unter einem Dach gelebt; hatten den Alltag geteilt, doch die immerwährenden Kämpfe des vergangenen Jahrzehnts zerrten an den Nerven von beiden, und Spannungen konnten nicht ausbleiben. Lassalle wollte die Krise durch eine vorübergehende Trennung beilegen und begab sich auf eine dreimonatige Orientreise. Beide erkannten, daß sie, um ihr inniges Verhältnis vor der Zermürbung des Alltags zu bewahren, künftig eigenständiger leben sollten – diese Trennung, um das Wertvollste, was sie beide hatten, zu schützen, ließ jeden für sich Umzugspläne schmieden: Lassalle wollte nach Berlin, wo das politische und wissenschaftliche Leben pulsierte, und auch Sophie zog es in die Hauptstadt, wo ihr Sohn Paul lebte. Im Frühling 1857 siedelte Lassalle nach Berlin über, während die Gräfin vorerst keine Aufenthaltsgenehmigung erhielt: Zu frisch war die Erinnerung an den spektakulären Scheidungsprozeß – das Skandalpaar sollte nicht zusammen an die Spree kommen. Zwei Jahre später durfte auch Sophie nach Berlin umziehen, doch konnte sie dort kaum neue Kontakte knüpfen.
Auf einer gemeinsamen Reise nach Italien im Sommer 1861 lernten Sophie und Lassalle den ehemaligen preußischen Artillerieoffizier Wilhelm Rüstow kennen, der sich sofort in die Gräfin verliebte und sie heiraten wollte. Lassalle, der sich seinerseits auf mehrere Abenteuer eingelassen hatte, war zutiefst verletzt und reiste ab. Fast ein Jahr lang blieb das Verhältnis zwischen Sophie und Lassalle gespannt.
Die Spannungen steigerten sich, als Lassalle 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gründete und dabei recht autoritär auftrat – dieses Verhalten ging nicht mit Rüstows demokratischer Einstellung konform. Die Gräfin applaudierte ihrem alten Freund, was den neuen umso mehr in Rage brachte und die Beziehung zwischen ihm und Sophie abkühlen ließ.
In der Schweiz lernte Lassalle die junge bayerische Diplomatentochter Helene von Dönniges kennen. Er stürzte sich in eine leidenschaftliche Affäre mit ihr und wollte sie heiraten, wurde aber von ihren Eltern abgewiesen. Daraufhin provozierte er ein Duell mit Helenes Verlobtem, einem rumänischen Bojaren, und wurde dabei am 28. August 1864 schwer verwundet. Die Gräfin eilte an sein Sterbebett, und sie war es, die dem Freund am 31. August die Augen schloß.
Sie konnte es kaum glauben: Das Unfaßbare war geschehen – nie hätte sie es für möglich gehalten, daß er vor ihr gehen könnte. In ihrem rasenden Schmerz ließ sie den Leichnam einbalsamieren und wollte den Sarg durch alle großen Gemeinden des Arbeitervereins führen, aber nur in Mainz und in Frankfurt kam es zu Totenfeiern. Als der Sarg per Schiff in Köln eintraf, wurde er von der Polizei im Auftrag der Mutter Lassalles beschlagnahmt und eilig nach Breslau überführt, wo er auf dem jüdischen Friedhof bestattet wurde.
Sophies Lebensinhalt wurde es jetzt, Lassalles Andenken zu bewahren und sein Werk in seinem Sinne fortzusetzen. Sie versuchte, im Arbeiterverein Einfluß zu nehmen und schreckte nicht vor Intrigen zurück, wenn es darum ging, Lassalles Ideale zu erfüllen – innerlich verband die Gräfin mit dem Arbeiterverein nichts als die Liebe zu seinem Gründer. Ihr Innerstes glorifizierte den Toten, ihr orthodoxer Lassalleanismus, den sie schon bald mit nur noch wenigen Mitgliedern des Vereins teilte, machte sie schnell zu verknöcherten Außenseiterin. Sophies Lebensfreude war mit Lassalles Tod erloschen – Rüstow kam gegen den toten noch weniger als gegen den lebenden Lassalle auf. Die Beziehung zwischen ihm und der Gräfin schlief allmählich ein, und als Rüstow im August 1878 seinem Leben ein Ende machte, reagierte Sophie gefaßt. Ihre Lebenskraft, ihr politischer Eifer im Sinne Lassalles war längst erlahmt. Sie siedelte zu ihrem Sohn Paul nach Wiesbaden um, wo sie am 25. Januar 1881 starb. Sie hatte ihr größtes Ziel erreicht, hatte den teuren Preis gern dafür bezahlt und ist dennoch niemals glücklich geworden.
Lit.: Wolfgang Kessler, Ferdinand Lassalle (Arbeitshilfe Nr. 42/1984), Bonn 1984. – Gustav Mayer, Gräfin Sophie von Hatzfeldt, Bismarck und das Duell Lassalle – Racowitza, in: Historische Zeitschrift 134 (1926) S. 47-56. – Christiane Kling-Mathey, Gräfin Hatzfeld. 1805 bis 1881. Eine Biographie, Bonn 1989. – Eva-Susanna Wodarz, Artikel Gräfin Sophie von Hatzfeld, in: Eva-Susanna Wodarz, Ich will wirken in dieser Zeit. Bedeutende Frauen aus den historischen deutschen Ostgebieten. 52 Kurzbiographien, Bonn 2000, S. 155-161.
Eva Wodarz-Eichner