Biographie

Hau, Woldemar

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Porträtmaler
* 4. Februar 1816 in Reval
† 11. März 1895 in St. Petersburg

Woldemar Hau (russ.: Vladimir Ivanowitsch Gau) war der Sohn des aus Flensburg stammenden Dekorations- und Landschafts­malers Johannes Hau (1771-1838) und dessen zweiter Frau Annette Juliane geb. Nielsen. Seine erste Ausbildung erhielt er beim Vater, der als Vorsitzender der St. Kanuti-Gilde, als Theatermaler, Landschaften und mit seinen Revaler Stadtansichten sowie mit seinem Kosmorama und Ausstellungen der wohl tätigste Künstler im damaligen Reval war. Während der Schulzeit an der Kreisschule in Reval erhielt Woldemar Unterricht bei dem Hofmaler Karl Ferdinand von Kügelgen, der seine letzten Lebensjahre in Reval verbrachte, wo er 1835 verstarb. Als Sechzehnjähriger hatte er Gelegenheit, den Revaler Militärgouverneur Admiral Graf Ferdinand von Lütken zu malen, wodurch eine Hofdame, die Gräfin Baranoff auf ihn aufmerksam wurde. Daraus ergab sich ein Empfehlungs­schreiben an den berühmten deutschbaltischen Schlachten­maler und St. Peters­burger Akademieprofessor Gottlob Alexander Sauerweid. 1832 kam Hau an die St. Petersburger Akademie. Sein Studium schloss er bereits als Zwanzigjähriger mit dem Diplom in der Aquarellmalerei als „Freier Künstler“ ab, dazu wurde ihm 1836 eine Medaille verliehen. Nach Aufenthalt in seiner estländischen Heimat, 1834 porträtierte er eindrucksvoll und charakte­ristisch seinen Vater, machte er 1838 bis 1840 eine Studienreise nach Deutsch­land und Italien. Im Dezember 1838 ist er in Begleitung eines St. Petersburger Künstlers namens Sanftleben in Augsburg nachzuweisen. Hau ließ sich dann 1840 in St. Petersburg nieder. 1842 heiratete er die St. Petersburgerdeutsche Louise Sanftleben, welche ihm sechs Töchter und einen Sohn schenkte. Hau wurde zum Hofmaler ernannt und war Porträtist der Zarenfamilien von Nikolaus I. bis Alexander III. 1849 erhielt er für ein Porträt der Großfürstin Maria Nikolajewna – Herzogin von Leuchtenberg, den Titel „Akademiker“. 1857 und 1865 sind Aufenthalte in seiner Heimatstadt Reval nachzuweisen. Woldemar Hau verstarb 1895 in St. Petersburg. Sein Grabmal hat sich auf dem Evangelischen Smolensker Friedhof in St. Petersburg erhalten.

Freundschaftlich verkehrte er in St. Petersburg im Hause des deutschbaltischen Malers August Pezold, von dessen Sohn, dem Schriftsteller-Maler Leopold von Pezold, er 1865 ein Porträt malte.

Hau schuf ein umfangreiches Werk, das fast ausschließlich dem Porträt in der Form von Miniaturen in Aquarell galt. Einen großen Auftrag stellten die 200 Miniaturbildnisse der Veteranen des Ismailowschen Regiments und der Leibgarde für Kaiser Nikolaus I. dar, die zu dessen 50-jährigem Jubiläum als Chef dieser Regimenter entstanden. Lithographiert von Feldt erlangten seine Aquarelle Kaiser Nikolaus I. zu Pferde und Kaiser Nikolaus I. auf dem Toten­bett von 1855 Bekanntheit. Als empfangende Engel stehen die bereits ver­storbene Tochter Alexandra Nikolajewna und die Enkelin Alexandra neben sei­nem Totenbett. Besonders zu erwähnen sind Porträts von Puschkins Ehe­frau Natalja Puschkina (1844) sowie von den berühmten Schauspielerinnen A. M. Stepanova und Warwara Assenkova (1838) im Theatermuseum Bachruschin.

Seine Porträts, besonders beliebt waren seine Frauenbildnisse, sind vorwiegend als Halbfigur ausgeführt. Ein besonderes Merkmal seiner Kunst sind die spre­chenden Augen der Porträtierten, dahinter die prächtigste Garderobe oft eher verfließend zurücktritt. Dies ist wohl, neben der Präzision in biedermeierlicher Ausstrahlung, auch als Merkmal der Zeit zu werten. Skeptischen Realismus eines genau Beobachtenden zeigt sein Selbstbildnis, auch sind Porträts bekannt, die dem Rahmen gesellschaftlicher Anforderung einer aristokratischen Reprä­sentation enthoben sind und freiheitliche Gesinnung aufzeigen. So die Kreide­zeichnung Friedrich Pryper 17 Jahre alt, welche mit frischer, ja überraschen­der Darstellungsweise sich gleichzeitig scheinbar widersprechender Mittel bedient. Dies sind vergröbernde, schematische Strichführung einerseits und andererseits die An­wendung feiner Ausdrucksmittel, wie spezielle Licht­führung, Schattierungen und Binnengestaltung durch minutiöse zeich­nerische Mittel und Weißhöhung. Hau gelangte dadurch zu einem besonderen, einem unverwechselbaren Stil von klärender Charakterisierung, der bereits in moderne Üblichkeiten späterer Zeiten weist. Durch seine Gebundenheit als Hofmaler, mit den Veränderungen durch die aufkommende Photographie, aber vor allem seines Augenleidens wegen, musste er um 1870 die Miniaturmalerei aufgeben, so dass aus späterer Zeit nur noch vereinzelte, jedoch repräsentative Por­träts in Öl bekannt sind, wie jene der beiden Mitbegründer der Estländisch-Literäri­schen-Gesellschaft in Reval, des Sprach­wis­sen­schaftlers Dr. Ferdinand Wiede­mann (1876) und des Direktors Leopold Gahlnbäck.

Werke von Woldemar Hau finden sich in mehreren russischen Sammlungen u.a. in St. Petersburg (Eremitage) und Moskau (Tretjakoff-Galerie), in einigen Schlössern (Zarskoje Sselo) sowie in Tallinn (KuMu).

Sein Stiefbruder Eduard (Reval 1807 – Dorpat o. St. Petersburg1888), der ebenfalls beim Vater die erste Ausbildung erhielt und in Dresden studierte, war zunächst auch als Porträtmaler tätig. Noch heute bekannt sind seine Porträts Dorpater Professoren, die lithographiert in sechs Heften erschienen. In St. Petersburg erlangte er besonders durch meisterhafte Aquarelle von Innen­räumen Ansehen. Er war streitsüchtig und „durch seine Extravaganzen ist er schließlich zu Grunde gegangen. Seinen Stiefbruder Woldemar betrachtete er als seinen schlimmsten Feind“ (Neumann 1902, S. 100).

Lit.: Thieme-Becker. – AK. – Wilhelm Neumann, Baltische Maler und Bildhauer des XIX. Jahr­hunderts, Riga 1902, S. 99f. – Ders., Lexikon Baltischer Künstler, Riga 1908 (ND Hannover-Döhren 1972) S. 63f. – Deutsch-Baltisches biographisches Lexikon, hrsg. von Wilhelm Lenz, Köln usw. 1970, S. 303. – Voldemar Vaga, Kunst Tartus XIX Sajandil, Tallin 1971 (dtsch. u. russ. Zusammenfassung), div. S. – Ders., Kunst Tallinnas XIX Sajandil, Tallin 1976 (dtsch. u. russ. Zusammenfassung), div. S. – Katalog Estnische Malerei des frühen 19. Jahrhunderts, Kieler Stadtmuseum 1986, Nr. 32, S. 33. – Baltisaksa portreetkunst Eestis 1750-1900 (Deutschbaltische Porträtkunst 1750-1900) Tal­linn/Helsinki 1999, div. S. – Moonika Teemus, „Fort in ein frem­des Land versetzt”. Das Kosmorama von Johannes Hau (a. estn.) in: Kuus baltisaksa kunstnikku/ Sechs deutschbaltische Künstler, Baltisaksa Kultuuri Selts Eestis/ Gesellschaft für deutschbaltische Kultur in Estland 2008.

Bild: Selbstbildnis 1855.

Helmut Scheunchen, 2017