Biographie

Hauptmann, Gerhart

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller, Dichter
* 15. November 1862 in Obersalzbrunn/Schlesien
† 6. Juni 1946 in Agnetendorf/Schlesien

Gerhart Hauptmann wuchs zunächst in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Seine Eltern betrieben im niederschlesischen Ober Salzbrunn, einem seit den 1820er Jahren prosperierenden Heilbad, ein Hotel. Nach dem Besuch der Dorfschule wurde der jüngste Sohn 1874 auf die Zwinger-Realschule im rund 80 Kilometer entfernten Breslau geschickt. Die wirtschaftliche Situation der Eltern verschlechterte sich nach der Reichsgründung rapide, weshalb der Junge zusammen mit seinem Bruder Carl in verschiedenen günstigen Knabenpensionaten wohnen musste. Da Gerhart Hauptmann in der Schule nicht nur mäßige Leistungen, sondern auch wenig Fleiß zeigte, nahmen ihn seine Eltern bereits 1878 von der Schule und schickten ihn in die Lehre bei einem Onkel, der im Kreis Strigau mehrere Landgüter bewirtschaftete. Aufgrund gesundheitlicher Probleme brach er die Ausbildung im folgenden Jahr wieder ab. Der Versuch, das fehlende Realschulexamen nachzuholen, scheiterte, stattdessen schrieb er sich im Oktober 1880 an der Königlichen Kunst- und Gewerbeschule in Breslau ein. Anfang des nächsten Jahres schloss ihn die Schule wegen mangelnder Unterrichtsteilnahme und schlechten Betragens aus. Aber Gerhart Hauptmann fand im erfolgreichen Bildhauer Carl August Robert Härtel einen Förde­rer, der auch sein poetisches Talent erkannte. Die zeitweilig dramatischen wirtschaftlichen Verhältnisse, unter denen er seit dem Abbruch der landwirtschaftlichen Lehre lebte, besserten sich schlagartig durch die Verlobung mit Marie Thienemann (1860-1914), die zusammen mit ihren vier Schwestern ein beträchtliches Vermögen geerbt hatte. Zwei Schwestern heirateten zwei Brüder Hauptmanns, er feierte mit Marie 1885 in Dresden kirchliche Hochzeit. Seit ihrer zuerst noch heimlichen Verlobung konnte Gerhart Hauptmann eine freie Künstlerexistenz führen, wobei er sich nach wie vor in erster Linie der Bildhauerei verschrieb, freilich ohne die Literatur aufzugeben. 1881 erschien die erste Veröffentlichung Liebesfrühling. Ein lyrisches Gedicht als Privatdruck. In den Jahren 1884 bis 1886 versuchte sich Hauptmann mit einer Ausbildung als Zeichner in Dresden, begann ein Geschichtsstudium in Berlin und nahm Schauspielunterricht, nebenbei betrieb er die Schriftstellerei, wobei längst nicht alles zum Druck gelangte.

Der Durchbruch als Autor und damit die endgültige Entscheidung für die Literatur erfolgte seit den späten 1880er Jahren. 1888 erschien die „novellistische Studie“ Bahnwärter Thiel, die sehr schnell begeisterte Kritiken erntete und als ein naturalistisches Werk im Stile Zolas gewürdigt wurde. Die im Kleinbürgermilieu spielende Geschichte besitzt aber eine Vielzahl ästhetischer Stilmerkmale und ist eines der einschneidendsten Werke der Zeit. 1889 erlebte das Drama Vor Sonnenaufgang in Berlin seine Uraufführung und sorgte für heftige Diskussionen, die Hauptmann über Nacht bekannt machten. Weitere Dramen folgten im jährlichen Rhythmus und festigten Hauptmanns Ruf als Dramatiker: Das Friedensfest (1890), Einsame Menschen (1891), Die Weber (1892), Der Biberpelz (1893) sind die bis heute bekanntesten unter ihnen. Privat rutschte der nunmehr berühmte Schriftsteller in eine Krise, die nach einer bereits langjährigen Trennung schließlich 1904 zur Scheidung führte. Noch im selben Jahr heiratete Hauptmann seine Geliebte Margarete Marschalk (1875-1957). Zu dieser Zeit war Gerhart Hauptmann längst zum Großschriftsteller avanciert und wurde mit bedeutenden Literaturpreisen und mit Ehrungen überhäuft, wobei er international vor allem als Dramatiker berühmt wurde. Zwischen 1896 und 1905 gewann er allein drei Mal den Grillparzer-Preis, 1905 verlieh ihm die Universität Oxford die Ehrendoktorwürde, 1909 erhielt er diese von der Universität Leipzig und 1912 folgte der Literaturnobelpreis. Im Jahr darauf kam es erstmals zu einer Verfilmung eines Werkes: Die dänische Produktion Atlantis (nach der gleichnamigen Novelle von 1912) schrieb Geschichte in dem damals noch neuen Medium als erster und für längere Zeit teuerster skandinavischer Monumentalfilm. Die weibliche Hauptrolle in diesem technischen Meisterwerk der frühen Filmkunst spielte Hauptmanns ehemalige Geliebte Ida Orloff (1889-1945), die viele Frauenfiguren in seinem späteren Werk beeinflusste und 1906 die Hauptrolle in seinem mystischen Märchdrama Und Pippa tanzt! gegeben hatte, ein Stück, für das sie dem Dichter gleichzeitig die Muse gewesen war.

Hauptmann blieb bis an sein Lebensende einer der erfolgreichsten und vor allem auch einflussreichsten Dramatiker Deutschlands – und gilt bis heute zu Recht als einer der größten seiner Zunft in deutscher Sprache. Mehr als vier Dutzend Stücke – Tragödien, Komödien, Tragikomödien, Schauspiele, in Prosa und in Versen – vollendete er, dazu kommen zahlreiche dramatische Fragmente, die zwei Bände der Centenar-Ausgabe seiner Sämtlichen Werke füllen. Ihnen stehen mehr als zwanzig vollendete Prosawerke zur Seite, vornehmlich Novellen und Romane, aber auch ein Reisebericht (Griechischer Frühling, 1908) und eine Autobiographie (Das Abenteuer meiner Jugend, 1937), denen sich wiederum mehrere Fragmente hinzufügen (Bd. 10 der Centenar-Ausgabe). Zudem entstanden zeitlebens Gedichte, wobei Hauptmann einen Hang zur großen Epik hatte, obgleich er auch immer wieder kleine Dichtungen hervorbrachte. Die letzte Publikation kurz vor seinem Tod war ein kleiner Band Neue Gedichte (1946).

In der Literaturgeschichte wird Gerhart Hauptmann in erster Linie als führender Vertreter des Naturalismus in Deutschland hervorgehoben. Zweifellos spielen aktuelle Zeitprobleme in seinem Werk eine sehr große Rolle und er bemühte sich erfolgreich um möglichst exakte Gesellschafts- und Naturschilderungen, die er ästhetisch in die von ihm geschaffenen literarischen Welten transformierte. Aber selbst Die Weber, die als ein Musterbeispiel für das naturalistische Drama gelten, greifen darüber hinaus, indem nicht ein Einzelner, sondern eine ganze soziale Gruppe als Hauptfigur antritt und zumal sich diese aktiv gegen ihr Schicksal stemmt. In anderen Dramen, zum Beispiel im Märchendrama Die versunkene Glocke (1896, in Versen) rückt Hauptmann bewusst vom Naturalismus ab, und das auf Hartmann von Aue basierende Drama Der arme Heinrich – Eine deutsche Sage (1902) ist viel eher einer bürgerlichen Neuromantik zuzurechnen, die soziale Fragen bewusst ausspart. Wie sehr Hauptmann nicht nur mit einzelnen literarischen Strömungen mitging, vielmehr wie er mit ihnen und mit der Verbindung verschiedener Einflüsse experimentierte, zeigt sich in der Entwicklung seines dramatischen Werkes bis hin zur sog. Atriden-Tetralogie (Iphigenie in Aulis, Agamemnons Tod, Elektra und Iphigenie in Delphi), die zwischen 1940 und 1944 entstanden ist. Hier exerziert er eine nach wie vor naturalistische Darstellung einer ansonsten düsteren und remythisierten Antike, die eine archaische Schreckenswelt ist, in die aber durchaus auch religionsphilosophische Ideen oder die Erfahrungen des nahen Todes des über achtzigjährigen Dichters vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs hineinspielen.

Wurde sein Frühwerk von den progressiven und oppositionellen Kreisen im Kaiserreich besonders gefeiert, so wandelte er sich in den folgenden Jahrzehnten zum repräsentativen Autor des bürgerlichen Deutschlands. Auch im Ausland wurde er in dieser Rolle gesehen. Anders als beispielsweise Thomas Mann bekannte sich Hauptmann aber von Anfang an zur (Weimarer) Republik. 1922 verlieh im Reichspräsident Friedrich Ebert als erstem den Adlerschild des Deutschen Reiches. Bei stetig nachlassendem Verkaufserfolg seiner Bücher sicherte das neue Medium Film Hauptmann seit dem Ersten Weltkrieg die Aufrechterhaltung seines kostspieligen Lebensstils. Mehrere seiner Werke wurden zu seinen Lebzeiten verfilmt (u.a. Rose Bernd, 1919; Die Ratten, 1921; Hanneles Himmelfahrt, 1922 und 1933/34; Der Biberpelz, 1927 und 1937), außerdem wirkte er in verschiedenen dokumentarischen Filmen mit (z.B. Gerhart Hauptmann spricht über sein Werk ‚Der Biberpelz‘, 1937; Gerhart Hauptmann liest aus eigenen Werken, 1941; Gerhart Hauptmann in seinem schlesischen Heim, 1942). Hauptmann genoss ungebrochene Popularität. Anlässlich seines 70. Geburtstages kam es 1932 zu großen öffentlich Feierlichkeiten, verschiedene nationale und internationale Auszeichnungen kamen zu seinen zahlreichen Preisen hinzu. So erhielt er während einer Lesereise in die USA die Ehrendoktorwürde der Columbia University und wurde Ehrenmitglied der American Akademy of Arts und Letters. Obwohl nicht nur sein Frühwerk abgelehnt wurde, sondern immer wieder Werke und Filme zensiert wurden, suchten die Nationalsozialisten, die große Popularität Hauptmanns, der im Gegensatz zu vielen Anderen nicht ins Exil gegangen war, für sich zu nutzen. Seinen 80. Geburtstag instrumentalisierte die Reichsregierung 1942 für große öffentliche Inszenierungen. Dass Gerhart Hauptmann diese Ehrungen uneingeschränkt entgegennahm und sich an keiner Stelle von der Führerpartei distanziert hat, brachte ihm nach Kriegsende (und über seinen Tod hinaus) viel Kritik ein. Der alte Gerhart Hauptmann verschanzte sich hinter einem künstlerischen Selbstverständnis, das die Tagespolitik ausklammerte und das ästhetische Leistungsprinzip als eigenen Maßstab legitimierte. Seine Haltung zu den Nationalsozialisten und ihrer antisemitischen und rassistischen Ideologie in vielen Punkten negativ, in anderen aber durchaus zustimmend (z.B. Anschluss von Österreich) oder immerhin ambivalent (z.B. zu Hitlers Mein Kampf oder dem Gedanken der Rassenhygiene). Als Gerhart Hauptmann am 6. Juni 1946 in seinem Haus im schlesischen Agnetendorf verstarb, wurden weder die Trauerfeierlichkeiten auf Hiddensee, wo er in Kloster begraben liegt, noch sein öffentliches Andenken durch diese durchaus problematische Haltung der letzten eineinhalb Lebensjahrzehnte getrübt. Diese moralische Indifferenz gehört indes zum Bilde eines dennoch ästhetisch wie künstlerisch zweifellos herausragenden Dichters der deutschen Literatur in den Jahrzehnten vor und nach 1900.

 

Lit.: (Bibliographien:) Sigfrid Hoefert, Internationale Bibliographie zum Werk Gerhart Hauptmanns, 4 Bde., Berlin 1986-2012 (= Veröffentlichungen der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft, 3, 4, 12 und 15). – Rudolf Ziesche, Der Manuskriptnachlaß Herhart Hauptmanns, 4 Bde., Wiesbaden 1977-2000 (= Staatsbibliothek zu Berlin. Kataloge der Handschriftenabt., 2/1-4). – (Gesamtausgabe:) Gerhart Hauptmann, Sämtliche Werke. Centenar-Ausgabe zum 100. Geburtstag des Dichters. Hrsg. von Hans-Egon Hass, 11 Bde., Berlin u.a. 1962-1974. – (Biographien, u.a.:) Sigfrid Hoefert, Gerhart Hauptmann, 2. Aufl., Stuttgart 1982 (= Sammlung Metzler, 107). – Wolfgang Leppmann, Gerhart Hauptmann. Eine Biographie. Ungekürzte Neuausg., Berlin 2007 (erstmals 1986). – Friedhelm Marx, Gerhart Hauptmann, Stuttgart 1998 (= Reclams Universal-Bibliothek, 17608). – Kurt Lothar Tank, Gerhart Hauptmann. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 28. Aufl., Hamburg 2006 (= Rowohlts Monographien, 50027; erstmals 1959. – Peter Sprengel, Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biographie, München 2012. – (Einzelstudien, Auswahl:) Alan Marshall, The German naturalists and Gerhart Hauptmann. Reception and Influence, Frankfurt am Main 1982. – Peter Delvaux, Antiker Mythos und Zeitgeschehen. Sinnstruktur und Zeitbezüge in Gerhart Hauptmanns Atriden-Tetralogie, Amsterdam [u.a.] 1992 (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, 100). – Ders., Leid soll lehren. Historische Zusammenhänge in Gerhart Hauptmanns Atriden-Tetralogie, Amsterdam [.a.] 1994 (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, 110). – Sigfrid Hoefert, Gerhart Hauptmann und der Film. Mit unveröffentlichten Filmentwürfen des Dichters, Berlin 1996 (Veröffentlichungen der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft, 7). – Ulrich Erdmann, Vom Naturalismus zum Nationalsozialismus. Zeitgeschichtlich-biographische Studien zu Max Halbe, Gerhart Hauptmann, Johannes Schlaf und Hermann Stehr. Mit unbekannten Selbstzeugnissen, Frankfurt am Main [u.a.] 1997. – Helga Ibarth, „Bilddenken“ im dramatischen Frühwerk Gerhart Hauptmanns. 1889-1903. Studien zum sinnbildlichen Verweis unter Berücksichtigung kunsthistorischer Perspektiven, Frank­furt am Main [u.a.] 1998 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 1, 1696). – John Osborne, Gerhart Hauptmann and the naturalist drama. Reviewed and updated ed., Amsterdam [u.a.] 1998 (= German Theatre Archive, 1). – Rüdiger Bernhardt, „… geschehen ist der Götter Ratschluss!“ Gerhart Hauptmanns Delphi lag auf Hiddensee. Der Dichter in der Zeit von 1933 bis 1945, Halle 2006. – Edward Białek/ Mirosława Czarnecka (Hrsg.), Carl und Gerhart Hauptmann. Zwischen regionaler Vereinnahmung und europäischer Perspekti­vierung, Wrocław [u.a.] 2006 (= Hauptmanniana, 1). – Wolfgang de Bruyn, Antje Johanning-Radžienė, Gerhart Hauptmann und seine Häuser. Hiddensee – Erkner – Schreiberhau – Agnetendorf. Ein literarischer Reiseführer, Bliesdorf an der Oder 2007. – Peter Sprengel, Der Dichter stand auf hoher Küste. Gerhart Hauptmann im Dritten Reich, Berlin 2009. – Bernard Tempel, Alkohol und Eugenik. Ein Versuch über Gerhart Hauptmanns künstlerisches Selbstverständnis, Dresden 2010. – Werner Ziegenfuss, Gerhart Hauptmann. Dichtung und Gesellschaftsidee der bürgerlichen Humanität. Berlin [u.a.] 2019.

Axel E. Walter