Biographie

Hausdorff, Felix (Paul Mongré)

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Mathematiker
* 8. November 1868 in Breslau
† 26. Januar 1942 in Bonn

„Eine der merkwürdigsten Erscheinungen des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts“ nennt der Journalist und Literaturhistoriker Paul Fechter in seinen Erinnerungen den philosophischen Schriftsteller Paul Mongre, der eigentlich Felix Hausdorff hieß und Professor der Mathematik war — nacheinander in Leipzig, Bonn, Greifswald und schließlich von 1921 bis 1935 nochmals in Bonn. Weshalb merkwürdig? „Seine Persönlichkeit hatte sich gespalten in den Mathematiker Hausdorff und in den Schöngeist und Literaten Dr. Paul Mongré“, schreibt Wolfgang Krull in einer faszinierenden Würdigung Hausdorffs. Am 8. November 1868 in Breslau als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, besuchte Hausdorff in Leipzig die Schule und studierte, nachdem ihm sein Vater den Wunsch, Musiker und Komponist zu werden, ausgeredet hatte, in Leipzig, Freiburg und Berlin Mathematik und Astronomie. Nach Doktorarbeit (1891) und Habilitationsschrift (1895) über mathematische Probleme der praktischen Astronomie wandte sich Hausdorff der reinen Mathematik zu und erlangte 1902 den Titel eines außerordentlichen Professors der Mathematik. Eine Berufung an die berühmte Universität Göttingen lehnte er kurz darauf ab und erhielt erst 1910 einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Bonn und 1913 einen Ruf auf eine ordentliche Professur in Greifswald. 1921 schließlich folgte er einem Ruf als Ordinarius an die Universität Bonn.

In seiner Leipziger und Greifswalder Zeit verkehrte Hausdorff vor allem mit Künstlern und Literaten. Unter dem Pseudonym „Paul Mongré“ (wohl vom französischen „à mon gre“ = „nach meiner Meinung“, „nach meinem Gutdünken“) veröffentlichte er 1897 Sant’Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras sowie 1900 einen Gedichtband Ekstasen,in denen uns freilich, wie Krull schreibt, nicht der echte Hausdorff entgegentritt, sondern ein Hausdorff, „der in die Haut Nietzsches geschlüpft war“. Eigenwillig und selbständig ist dagegen die 1898 erschienene, heute zu Unrecht fast vergessene philosophische Studie Das Chaos in kosmischer Auslese. Ein erkenntnißkritischer Versuch, die eine Art Metaphysik des Chaos entwickelt und unter anderem interessante Gedanken über den Begriff der Zeit enthält. Von größerer Dauer als die Wirkung dieser Schriften und der 1904 verfaßten, seit 1912 mit Erfolg aufgeführten zeitkritischen Groteske Der Arzt seiner Ehrewar freilich Hausdorffs wissenschaftliches Werk – er gilt heute als einer der großen Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Die Wissenschaft der Mathematik erlebte in unserem Jahrhundert eine umfassende Vereinheitlichung durch Mengenlehre und Topologie. Letztere erhielt dabei, ursprünglich von Leibniz als eine allgemeinste, nur Nachbarschafts- und Lageverhältnisse von Gebilden im Raum betreffende Disziplin konzipiert, zunehmend abstraktere Züge. Hausdorff wurde zum Begründer der modernen mengentheoretischen Topologie, als ihm ihre „Axiomatisierung“ gelang: Er konnte zeigen, wie sich alle Sätze der Topologie rein logisch aus endlich vielen Grundaussagen herleiten lassen, in denen nur von den Begriffen „Punkt“ und „Umgebung“ Gebrauch gemacht wird. Zahlreiche Begriffe und Ergebnisse der heutigen Mathematik sind nach Hausdorff benannt, z.B. der „Hausdorff-Raum“, die „Hausdorffsche Dimension“, der „Hausdorff-Operator“ und die „Hausdorffsche Paradoxie“ – die Entdeckung, daß sich unter bestimmten mathematischen Voraussetzungen die Oberfläche einer Kugel so in drei Teilgebiete zerlegen läßt, daß jedes dieser Gebiete genauso „groß“ ist wie die beiden anderen zusammen. Hausdorffs Grundzüge der Mengenlehre von 1914, in denen sich dieses widersinnig scheinende Resultat erstmals mitgeteilt findet, gelten als ein noch heute mit Gewinn zu studierendes Meisterstück mathematischer Darstellungskunst.

Hausdorff wurde 1935als Jude zwangsemeritiert. Der drohenden Deportation in ein KZ entzog er sich mit seiner Familie am 26. Januar 1942 durch den Freitod.

Werke (Auswahl): (P. Mongré:) Sant’Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras, Leipzig 1897. – Das Chaos in kosmischer Auslese. Ein erkenntnißkritischer Versuch, Leipzig 1898, Neudruck (u. d. Namen Hausdorff) als: Zwischen Chaos und Kosmos oder Vom Ende der Metaphysik, eingeleitet von Max Bense, Baden-Baden 1976. – (F. Hausdorff:) Grundzüge der Mengenlehre, Leipzig 1914 (2. Aufl., gekürzt unter dem Titel „Mengenlehre“, Berlin/Leipzig 1927), erw. 3. Aufl. 1935 (zahlreiche Nachdrucke). – Nachgelassene Schriften I-II, ed. G. Bergmann, Stuttgart 1969.

Lit.: Wolfgang Krull, Felix Hausdorff 1868-1942, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. [9:] Mathematik und Naturwissenschaften, Bonn 1970 (=150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1818-1968), 54-69. – Christian Thiel, Felix Hausdorff, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Band 2, Mannheim/Wien/Zürich 1984, 46-47 (mit weiteren Literatur hinweisen).

Bild: Archiv der Universität Bonn