Biographie

Havenstein, Rudolf

Herkunft: Pommern
Beruf: Jurist, Reichsbankpräsident
* 10. März 1857 in Meseritz
† 20. November 1923 in Berlin

Rudolf Emil Albert Havenstein ist in die deutsche Finanzgeschichte eingegangen als der Präsident der Reichsbank, der sich einerseits große Verdienste um die deutschen Finanzen vor dem Ersten Weltkrieg und um die Kriegsanleihen während jenes Krieges erworben hat, in dessen Amtszeit andererseits die riesige Geldentwertung durch die Inflation von 1923 fiel.

Rudolf Havenstein wurde als Sohn des Juristen Robert Havenstein und seiner Frau Bertha geb. Braut in Meseritz geboren. Hier besuchte er die Volksschule und die ersten Klassen des Gymnasiums und zog dann mit seinen Eltern nach Stargard/ Pommern um. Dorthin war sein Vater als Landgerichtsdirektor versetzt worden. Am renommierten Gymnasium in Stargard bestand Rudolf Havenstein im Jahre 1873 als kaum Sechzehnjähriger mit guten Noten sein Abitur. Seine Mutter war ein Jahr davor gestorben.

An der Rupprecht-Karls-Universität im idyllischen Heidelberg begann er 1873 das Studium der Rechtswissenschaften. Die letzten Semester studierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin (heute: Humboldt-Universität). Nach drei Jahren schloss Rudolf sein Jurastudium mit dem Referendarexamen ab.

Im August 1876 begann er seinen Staatsdienst für Preußen. Es sollte eine beispiellose Juristenkarriere werden mit hohen Ämtern und Ehrungen.

Im Dezember 1981 wurde Havenstein Gerichtsassessor und im Bezirk des Oberlandesgerichts Stettin/Pommern eingesetzt. Sechs Jahre später war er Amtsrichter in Arnswalde/Neumark. Er blieb seiner Heimat im Osten treu. In dieser Zeit begründete Rudolf auch sein privates Glück: 1889 heiratete er die neun Jahre jüngere Maria von Meyer. Die Braut war wie er evangelisch erzogen.

Wenig später, 1890, wurde Havenstein unter Ernennung zum Regierungsrat an das Preußische Ministerium der Finanzen in Berlin versetzt und noch im selben Jahr zum Geheimen Finanzrat befördert. Nach sechs Jahren stieg er zum Geheimen Oberfinanzrat auf. Ihm wurde die Aufgabe als Kommissar des Deutschen Reiches bei der Ansiedlung für Westpreußen und Posen übertragen. Damit war der geborene Meseritzer wieder für seine Heimat tätig.

Im März 1900 erhielt Havenstein in Berlin eine neue Aufgabe: Er wurde zum Präsidenten der Königlich-Preußischen Seehandlung(Preußische Staatsbank) ernannt. Diese Einrichtung war von König Friedrich II. von Preußen im Jahre 1772 unter dem Namen Seehandlungssocietät gegründet worden. Dieses See- und Handelsinstitut entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer wichtigen Finanzeinnahmequelle des preußischen Staates, dem es jährlich 3 bis 4 Millionen Mark zuführte (so z. B. im Haushaltsjahr 1890). Bald wurde auch der Name Seehandlungssocietätgeändert in Königlich-Preußische Seehandlung und später in Preußische Staatsbank (Seehandlung). Diese Preußische Staatsbank leitete Havenstein von März 1900 bis Ende 1907.

Dann erwartete ihn die letzte und größte Aufgabe seiner erfolgreichen Berufskarriere: Am 6.1.1908 erhielt er das Amt des Präsidenten der Reichsbank, zunächst mit der AmtsbezeichnungRat l. Klasse, wenige Monate späterWirklicher Geheimer Rat. Als solchem gebührte ihm die Anrede „Exzellenz“, ein Titel, der in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert nur für höchste Beamte und Militärs verwendet wurde. Weitere Ehrungen erfuhr er, als er 1909 die Rote-Kreuzmedaille 2. Klasse erhielt, dann den Königlichen Kronenorden 1. Klasse, ein Jahr später den Kaiserlich-Österreichischen Orden der Eisernen Krone 1. Klasse. Im Jahre 1913 wurde Havenstein Mitglied des Preußischen Herrenhauses, der Ersten Kammer des Preußischen Landtages.

Der Erste Weltkrieg 1914 bis 1918 ging am Leben der Familie Havenstein nicht spurlos vorüber. Der einzige Sohn Leutold fiel am 14. August 1916. Den Eltern blieben die Töchter Annemarie und Gerda.

Doch gab es für Rudolf Havenstein in dieser Zeit auch hohe Ehrungen. Im November 1914 erfuhr er die Ehrenpromotion zum Dr. phil. h.c. sowohl der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als auch der Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg, im Juli 1915 die Ehrenpromotion zum Dr. jur. h.c. der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Er wurde im März 1915 Ehrenbürger der Stadt Stargard, im November 1916 Ehrenbürger seiner Heimatstadt Meseritz und im Dezember 1916 Ehrenbürger der Stadt Arnswalde. Selbst das Land Bayern verlieh dem Preußen Havenstein einen Orden: den Bayerischen Militärverdienstorden l. Klasse mit Schwertern. Besonders wertvolle Ehrungen erfuhr er durch die Verleihung des Roten Adlerordens l. Klasse mit Eichenlaub und der Goldenen Leibnizmedaille der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Als Kriegsauszeichnungen erhielt Havenstein im Dezember 1914 das Eiserne Kreuz mit weißem Band in schwarzer Einfassung, im März 1915 das Eiserne Kreuz 2. Klasse, dann im April 1915 das der 1. Klasse.

Schon vor Ausbruch des Krieges hatte Havenstein große Verdienste um die Finanzierung der deutschen Volkswirtschaft. Nach dessen Ausbruch hatte er maßgeblichen Anteil an der Einführung der Kriegsanleihen. Bei diesen Anleihen handelte es sich um langfristige staatliche Kreditaufnahmen zur Deckung von Ausgaben des Deutschen Reiches für den Krieg. Insgesamt wurden neun solcher Anleihen aufgelegt; sie erbrachten 98,7 Milliarden Mark. Rudolf Havenstein hat zwei wichtige Reden dazu gehalten: eine zur 7. Kriegsanleihe am 20. September 1917 in der Handelskammer Frankfurt am Main und eine andere am 11. März 1918 in der Universität München; am 2. Mai 1918 hielt er die Festrede zur Eröffnung der Zentralstelle für bargeldlosen Zahlungsverkehr.

Die während der Amtszeit Havensteins als Reichsbankpräsident herausgegebenen Banknoten als gesetzliche Zahlungsmittel enthielten seine aufgedruckte Unterschrift und die der anderen Mitglieder des Reichsbankdirektoriums. So steht sein Name auch auf einer Banknote von 1923 mit dem riesigen Nennwert von l Million Mark.

Die Inflation in Deutschland war es denn auch, die an Havenstein in der Schlüsselposition des Reichsbankpräsidenten wie auch an alle für Währung und Geldwert verantwortlichen Politiker, Beamte und Banker in Deutschland höchste Anforderungen stellte. Aus l Mark im Jahre 1913 waren 45 Mark im Januar 1922 geworden, 4.200 Mark im Januar 1923, über l Million Mark im August 1923, 6 Milliarden Mark im Oktober 1923 und l Billion Mark auf dem Höhepunkt der Inflation am 15. November 1923. Entsprechend stiegen die Kosten für l US-Dollar von 4 Mark vor der Inflation auf 4 Billionen Mark auf deren Höhepunkt. Die Auswirkungen der Geldentwertung auf die Menschen in Deutschland waren katastrophal. Die geradlinigen Schemata und die Grenzen überkommener wirtschaftlicher Regeln waren zerrissen. Vorher Verbundenes war auseinander gesprengt. Widerstreitende Interessen von Banken, von Finanzwissenschaftlern und von Politikern verschiedener Parteien konnten nicht mehr miteinander in Einklang gebracht werden. In dieser aus den Fugen geratenen Wirtschaftslage war es für einen preußischen Beamten vom alten Schlage tiefbegründeter Tradition gerader und ehrlicher Arbeit ungeheuer schwer, wenn nicht unmöglich, sich der Wendung der Dinge anzupassen.

Im Sommer 1923 wurde in der Berliner Börsenzeitung mehrfach schon Dr. Hjalmar Schacht als der Nachfolger von Rudolf Havenstein als Reichsbankpräsident genannt. Die Regierung Gustav Stresemann (Deutschnationale Volkspartei) hatte unmittelbar nach ihrem Regierungsantritt am 13. August 1923 versucht, Havenstein zum Rücktritt zu bewegen. Dieser aber hatte das Ansinnen abgelehnt. Stresemann, der Kanzler einer großen Koalition mit SPD und DVP, musste sich mit dieser Entscheidung Havensteins abfinden. Die Reichsbank war seit Mai 1922 in ihren Entschlüssen unabhängig; so konnte sich der Zentralausschuss der Reichsbank in Berlin mit einem Beschluss vom 25. August 1923 demonstrativ hinter den Präsidenten stellen.

Doch hinter den Kulissen wurde viel geschoben. Hugo Stinnes, Fritz Thyssen, Albert Vogler und andere Großindustrielle und Bankiers berieten, wie sie die ins Wanken geratene bürgerliche Ordnung retten könnten. Reichskanzler Stresemann suchte einen Ausweg aus der „Katastrophen- und Erfüllungspolitik“, den Reparationszahlungen an die Siegermächte. Am wichtigsten erschien allen eine Stabilisierung der Mark. Die Inflation musste ein Ende haben. Dazu sollten im Rahmen einer Zwischenlösung die deutschen Gold- und Devisenbestände durch Schaffung der Rentenmark beitragen. Dr. Schacht sollte mit Hilfe der Großbanken, wie Deutsche Bank und Dresdner Bank, sowie mit Einsatz von USA-Kapital die Pläne durchsetzen. Schacht wurde am 12. November 1923 zum Reichswährungskommissar ernannt.

Havenstein war in jenen Wochen des Höhepunkts der Inflation zunehmender Kritik und öffentlicher Diskussion ausgesetzt. Diese Kritik war selten sachlich, sondern meist voller Häme, wie die Bemerkung des britischen Botschafters in Berlin, Viscounte D’Abernon, zeigt, der Rathenau, Wirth und Havenstein zu den Inflationisten zählte, die in seinen Augen „allesamt Schwachköpfe“ waren, weil sie die Inflation als Produkt der ungünstigen Zahlungsbilanz und nicht der Druckerpresse interpretierten. „Wie ich schon an anderer Stelle sagte, kam es in Deutschland nur über vier Leichen zur Stabilisierung … Es waren dies Rathenau, Havenstein, Helfferich und Stinnes“ (D’Abernon in: „Deutschland und der Youngplan“). Dem hier gegebenen Konflikt, zusammen mit den immer wieder aufgenommenen Versuchen, auch den Erfordernissen der Wirtschaft gerecht zu werden, war „die intellektuelle und willensmäßige Struktur dieses menschlich aufs höchste zu schätzenden altpreußischen Beamten nicht gewachsen“ (Berliner Börsenzeitung, 20. November 1923; Zeit, November 1923).

Während eines dringend notwendigen kurzen Erholungsurlaubs im November 1923 überfiel Havenstein eine Grippe, so dass er schon krank nach Hause zurückkehrte. Er starb am 20. November 1923 an einem Herzschlag in seiner Berliner Dienstwohnung.

Der plötzliche Tod von Rudolf Havenstein führte zu einer Wende. Zwar bekämpften Direktorium und Zentralausschuss der Reichsbank erbittert Hjalmar Schachts Kandidatur als Reichsbankpräsidentund zogen Karl Helfferich von der Deutschen Bank vor. In der neuen Reichsregierung von Wilhelm Marx setzten sich jedoch die Kräfte für eine Entscheidung zugunsten von Schacht als neuen Reichsbankpräsidenten durch. Dieser trat das Amt am 8. Januar 1924 an.

Nach einer großen Trauerfeier am 23. November 1923 im Lichthof der Halle des Reichsbankgebäudes in Berlin, an der u.a. Reichskanzler Dr. Stresemann, Finanzminister Dr. Luther, General von Berendt vom Wehrkreiskommando und prominente Mitglieder der Industrie, der Banken, des Handels und Handwerks teilnahmen, wurde Rudolf Havenstein im engsten Familienkreis auf dem St. Annen-Friedhof in Berlin-Dahlem beigesetzt. Die Grabstätte besteht noch heute.

Werke (Auswahl):Rede aus Anlass der VII Kriegsanleihe, gehalten am 20. September 1917 im großen Sitzungssaal der Handelskammer Frankfurt am Main, in: Mitteilungen der Handelskammer Frankfurt a. M., Sondernummer 1917. – Vortrag zur Kriegsanleihe, gehalten bei einer vom Königlichen Staatsministerium des Innern veranstalteten Vortragsfolge im großen Hörsaal der Universität München am 11. März 1918, Sonderdruck 1918 – Rede anlässlich der Eröffnung der Zentralstelle für bargeldlosen Zahlungsverkehr am 2. Mai 1918 [ohne Ortsangabe], Sonderdruck 1918.

Lit.(Auswahl):Erich Achterberg: Havenstein, Rudolf Emil Albert, in: Neue Deutsche Biographie, hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 8, Berlin 1969, S. 137. – Herrmann A. L. Degener/R. Ade (Hrsg.): Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Biographien von rund 20000 lebenden Zeitgenossen, Angaben über Herkunft, Familie Lebenslauf, Veröffentlichungen und Werke, Lieblingsbeschäftigungen, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse, andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse, 8. vollkommen neu bearbeitete und bedeutend erweiterte Ausg., Leipzig 1922, S. 594 f. –Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg): Havenstein, Rudolf (Emil Albert), in: Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE), Bd. 4, München [u. a.] 1996, S. 457. –FelixPinner: Rudolf Havenstein, in: Deutsche Wirtschaftsführer, Berlin-Charlottenburg 1925, S. 181-192. – [Jakob]Riesser: Reichsbankpräsident Dr. Rudolf Havenstein 1857-1923, in: Bank-Archiv 23 (1923/24), S. 39-41. – Reinhold Schillinger: Havenstein, Rudolf, in: Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, hrsg. von Wolfgang Benz und Hermann Graml, München 1988, S. 128 f.