Biographie

Haym, Rudolf

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Literaturhistoriker, Philosoph
* 5. Oktober 1821 in Grünberg/Schlesien
† 27. August 1901 in St. Anton am Arlberg/Tirol

Die Bedeutung Hayms liegt vor allem in der Verknüpfung von philosophiegeschichtlicher und literarhistorischer Forschung. Seine zweibändige, biographisch abgefaßte Monographie über Johann Gottfried Herder (1880/85) und sein Werk „Die Romantische Schule“ sind Standardwerke der Literaturgeschichtsschreibung, deren entstehungsgeschichtlicher Kenntnisreichtum bis heute der einschlägigen Forschungsarbeit Grundlagen und Anregungen zu liefern vermag. Herders Leben fällt in die philosophisch und literarisch erfüllteste Epoche der deutschen Kulturgeschichte. Ähnliches gilt für die Schriftsteller, die eine entwicklungsgeschichtliche Behandlung unter dem mehrere Einzeluntersuchungen zusammenfassenden Titel „Die Romantische Schule“ erfahren haben, wenn auch „der Herder“ durch die mit der Person Herders gegebene Einheit des Gegenstandes stärker zu fesseln vermag. Diese ungewöhnlichen Leistungen konnten nur einem Gelehrten gelingen, der gleichermaßen in der Philosophie wie in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts zu Hause war. In diesen großen Werken hat Haym die von ihm zuerst auf ein philosophisches Gedankengebäude angewandte historisch-genetische Methode – in seinem Hegel-Buch „Hegel und seine Zeit“ (1857) – zur Meisterschaft entwickelt.

Das Talent einer meisterhaften Darstellung von Charaktergestalten der Kulturgeschichte hat Haym auch schon in seinen Essays gezeigt, die er in den von ihm 1858 gegründeten und bis 1864 herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern veröffentlicht hat – u.a. über Ulrich von Hutten, Arthur Schopenhauer, Ernst Moritz Arndt, Karl August Varnhagen von Ense und Caroline Schelling. Es handelt sich bei diesen Aufsätzen um Kabinettstücke wissenschaftlicher Literatur. (Siehe auch: Gesammelte Aufsätze von Rudolf Haym, herausgegeben von Wilhelm Schrader, Berlin 1903.)

Der äußere Lebensweg führte Haym nach dem Besuch der Bürgerschule in der schlesischen Weinbaustadt Grünberg, an der sein Vater, von seiner Ausbildung her rationaler Theologe, als Konrektor wirkte, auf das Köllnische Gymnasium in Berlin, wo er bei Verwandten seiner Mutter leben konnte. Von 1839–1842 studierte er Philologie in Halle, danach ein Semester in Berlin. In Halle erfolgte bereits 1843 seine Doktorpromotion mit einer Arbeit über die Tragödien des Aischylos. Zunächst wurde er Gymnasiallehrer in Berlin und bemühte sich 1845 vergeblich in Halle um die Habilitation, die dann 1851 gelang. 1860 wurde er in Halle zunächst außerordentlicher, seit 1868 ordentlicher Professor für deutsche Literaturgeschichte. Als akademischer Lehrer wirkte er durch seine Kunst der Darstellung faszinierend. Wie in seinen wissenschaftlichen Schriften war er auch im Vortrag in schlichten Sätzen gehaltvoll, in wohlgeformten Perioden eindeutig und im charakterisierenden Ausdruck treffend.

Die begriffliche Klarheit und der stilistische Schliff der Prosa Rudolf Hayms verdanken gewiß einiges auch seinen politischen Sturm- und Drangjahren und darüber hinaus seinem politischen Engagement im Rahmen des Liberalismus. Durch  seinen Vater hatte er eine Prägung in Richtung der rationalen Theologie (Christian Wolff, Hermann Samuel Reimarus, Johann Salomon Semler, Wilhelm Traugott Krug, Johann Friedrich Röhr) erfahren und war in Verfolgung dieser Linie als Student in Halle durch sein Eintreten für eine Berufung von David Friedrich Strauß, einem Repräsentanten der historisch-kritischen Leben-Jesu-Forschung, der preußischen Kultusverwaltung unangenehm aufgefallen, so daß sein erster Habilitationsversuch in Halle zum Scheitern verurteilt war. Die Verzögerung seiner akademischen Laufbahn führte aber zu einer ausgedehnten puplizistischen Tätigkeit, die seine kunstvolle Rhetorik sicher noch gefördert hat. 1847 veröffentlichte er „Reden und Redner des ersten Preußischen Vereinigten Landtages“, und 1848–1850 gab er eine vielbeachtete Darstellung der Verhandlungen der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, der er als schweigsames Mitglied der Partei des rechten Zentrums (konstitutionell, erbkaiserlich) angehört hatte, die schon damals den später beschrittenen Weg der kleindeutschen Lösung (ohne Österreich) erstrebte. 1866 veranlaßte er die berühmte Hallische Erklärung vom 26. April – gleichsam das erste Programm der Nationaliberalen – zur Unterstützung der Politik Bismarcks, die der nationalen Frage Vorrang vor freiheitlichen Reformen gab. Im selben Jahr wurde er als Mitbegründer der Nationalliberalen Partei in den Preußischen Landtag gewählt, zog sich aber schon 1867 aus der aktiven Politik zurück.

Wie man Hayms postum erschienenen Lebenserinnerungen entnehmen kann, war seine schlesische Herkunft neben der Persönlichkeit seines Vaters prägend für seinen Lebensweg. So kann man auch von ihm sagen, was er in seinem trefflichen Nachruf auf Ernst Moritz Arndt, neben dem er einst in der Paulskirche gesessen hatte, zum Ausdruck bringt: „In Prosa wie in Versen, auf jeder Stufe seines Lebens, mit immer gleicher Liebe wendet Arndt sich zurück zu dem Idyll seiner Knabenzeit. Hier ist der gesunde Grund dieses ganzen kerngesunden Daseins.“

Lit.: Rudolf Haym: Aus meinem Leben. Erinnerungen, Berlin 1902. – Alois Riehl: Zu Rudolf Hayms Gedächtnis, in: Führende Denker und Forscher, Leipzig 1922. – Eberhard G. Schulz: Rudolf Haym und seine Grünberger Jugendjahre, in: Schlesien.Jg. X (1965), Heft 1.

Bild: Eberhard Günter Schulz, Der kulturgeschichtliche Beitrag der Schlesier, Würzburg 1991, Abb. 33.

Eberhard Günter Schulz