Biographie

Hegenbarth, Josef

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Zeichner, Illustrator
* 15. Juni 1884 in Böhmisch-Kamnitz
† 27. Juli 1962 in Dresden

Josef Hegenbarth, einer der größten deutschen Zeichner und Illustratoren des 20. Jahrhunderts, lebte, nach Studien in Dresden – sein älterer Vetter, Emanuel Hegenbarth, war sein erster Lehrer – und Prager Kriegsjahren, einige Zeit im Umkreis des großen Lehrers der Prager Kunstakademie, des Expressionisten August Brömse, schließlich von 1919 bis zu seinem Tode in Dresden, eine Periode, die kaum von Reisen, im wesentlichen nur durch den Aufenthalt in seiner Heimat m den Jahren 1943 bis 1945 unterbrochen wurde. Von 1946 an war er für drei kurze Jahre Professor an der Dresdner Akademie. Trotz hoher Ehrungen nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten fühlte sich der übersensible Künstler stets als gefährdeter Außenseiter.

In seiner lakonischen Art, der Humor und Selbstkritik nie fremd waren, hat der Künstler in Wolfgang Gurlitts Buch „Das graphische Jahr“, 1923, sich so charakterisiert:

„Wurde am 15. Juni 1884 zu Böhmisch-Kamnitz geboren. Ein jahrelanges Leiden gab mir die Freude am Stift wieder. Die Schule hatte sie mir verleidet. Meine eigentlichste Studienzeit beginnt im Alter von 21 Jahren in Dresden. Meine allgemeine Ausbildung genoß ich in meinem Heimatort Böhmisch-Kamnitz und in der Realschule zu Böhmisch-Leipa. Bin Deutschböhme.“

Dieses „Bin Deutschböhme“ war mehr als nur ein äußerliches Bekenntnis. Er hat in sehr reizvollen Zeichnungen seiner kleinen, an Begabungen reichen Heimatstadt östlich von Tetschen-Bodenbach unweit der Elbe und des Elbsandsteingebirges ebenso gehuldigt wie in vielen Blättern und Illustrationen, etwa aus der Welt Rübezahls, dem Lande. Darüber hinaus aber war die Weltliteratur und war die Welt um ihn sein Schaffensraum, stets mit einer Fülle von Motiven, aus der er dann seine sehr persönliche Handschrift entwickelte. Er hat im hohen Alter einmal zu der Spannung seines Lebenswerks gesagt: „Die Realität und die Magie des Unwirklichen halten mich gleichermaßen in Bann.“

Josef Hegenbarths Werk ist heute über viele Galerien und Privatsammlungen des deutschen Kulturraums und darüber hinaus verbreitet. 1957 gab ihm die tschechoslowakische Regierung einen Teil seines Œuvres, das in Böhmen geblieben war, heraus. Josef Hegenbarth, ähnlich wie der dämonischere Alfred Kubin – die beiden schätzten einander sehr und tauschten Blätter aus – war ein geradezu von der Zeichenlust Besessener, einer der genialsten Illustratoren der Weltliteratur, von Don Quichote und Goethes Reineke Fuchs bis zu Gogol (er hat mit über 400 Zeichnungen „Die toten Seelen“ illustriert) und Dostojewski, von Grimmelshausen zu den böhmischen Urthemen, so dem Rübezahl oder Adalbert Stifters Erzählung „Der Hochwald“ (Rötelzeichnungen in der Ostdeutschen Galerie Regensburg, vom Adalbert-Stifter-Verein als Faksimile-Mappe erstmals ediert). Der Meister psychologischer Treffsicherheit, atmosphärischer Dichte und oft nur skizzenhafter, aber um so markanterer Momentaufnahmen, erreichte in dramatischer, dynamischer Verdichtung seiner Inhalte zeitlose Gültigkeit. Das gilt auch besonders für die Tierdarstellungen und die Impressionen von Gutsarbeitern oder Dresdner Trümmerarbeiterinnen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Für Josef Hegenbarth blieb immer der Mensch die Mitte. Was aus dem Augenblick heraus entstanden zu sein schien, ist die Summe eines Lebens innerer und äußerer Gefährdung. Er schöpfte aus den Quellen seiner Herkunft. Sein zeichnerischer Kosmos umkreiste alle Bereiche des Humanen, zeigte Blitze des Humors, ebenso wie Signale des Mysteriums und des Martyriums. Nie vordergründig sozialkritisch, war er doch ein genauer Schilderer sozialer Erscheinungen. Viele Zeichnungen zeigen malerische Differenzierung, auch wenn sie nur schwarz-weiß angelegt sind, und verfolgen so etwas wie eine Tiefenperspektive, die durch die stärkere oder schwächere Hervorhebung der Tuschfeder, des Tuschpinsels oder des Lavierens erreicht wird. Wenn sich Hegenbarth vor allem auch im Schwarzweiß entwickelte (von den Radierungen des frühen und des mittleren Werks bis zu den späten Bibeldarstellungen), so soll doch nicht der Maler, vor allem mit seinen realistischen Bauernszenen oder seinen Tierdarstellungen, seinen Kaffeehaus- und Zooimpressionen (Öl, Tempera, Aquarell, Mischtechnik) unterschätzt werden. Hegenbarths nervig expressiv-realistischer Stil wurde im Alterswerk immer knapper, prägnanter, asketischer und zugleich sinnfälliger. Fritz Löffler, der am meisten und kompetentesten über Hegenbarth geschrieben hat, weist auf seine Beschäftigung mit dem Alten und Neuen Testament hin. So schreibt er: „Das Geschehen um Golgatha ließ ihn niemals wieder los. In Hunderten von Blättern ist er dem gekreuzigten Herrn mit allen Techniken und durch alle Stadien seiner stilistischen Entwicklung nachgegangen. Jeder erreichte neue Reifegrad fand eine Dokumentation auch in Schilderungen der Kreuzigung. Man kann den langen Weg, den er als Künstler formal zurücklegte, lückenlos an dem einen Thema des gekreuzigten Christus nachgehen. Es gibt keinen bedeutenden Künstler der Gegenwart, von dem sich das gleiche sagen läßt.“

Eines der erschütterndsten Dokumente dieser Beschäftigung mit der Passion ist die Folge der „Letzten Passionsblätter“ (1963 erschienen). 1961 hatte er lange gezögert, den Auftrag anzunehmen, für die aus Trümmern wiedererstandene St.-Hedwigs-Kathedrale in Ostberlin die Kreuzwegstationen für die untere Kirche zu schaffen. Der 77jährige Künstler hat dann doch nach intensiver Beschäftigung die vierzehn Kreuzwegstationen (Pinselzeichnungen) für St. Hedwig vollendet. Sie sind heute ein Zeichen dafür, wie auch scheinbar ganz esoterische Kunst nachhaltig auf viele Menschen wirken kann.