Biographie

Heiduczek, Werner

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 24. November 1926 in Hindenburg/Oberschlesien

Werner Heiduczek wurde als fünftes Kind einer katholischen Arbeiterfamilie in Hindenburg/Oberschlesien geboren. Seine Eltern, der Vater war Maschinenbauschlosser, konnten ihn 1937 auf die Oberschule schicken, von wo er 1943 als „Luftwaffenhelfer“, 1944 zum „Reicharbeitsdienst“ und zur „Wehrmacht“ einberufen wurde. Im Mai 1945 geriet er zunächst in amerikanische, später in sowjetrussische Kriegsgefangenschaft, wurde aber schon im August 1945 entlassen.

Danach war er Gelegenheitsarbeiter in der Landwirtschaft und im Gleisbau, im Januar 1946 konnte er für acht Monate in Grochwitz bei Herzberg/Mark Brandenburg einen Kurs für „Neulehrer“ besuchen, war zwei Monate Dorfschullehrer in Wehrhain/Kreis Herzberg, studierte anschließend Pädagogik und Germanistik in Halle/Saale und wurde 1949 als Lehrer für Latein und Geschichte an der Herzberger Oberschule eingesetzt, wo er schon 1950 stellvertretender Direktor wurde.

Als er 1951, im Alter von 24 Jahren, Referent für Oberschulen im „Ministerium für Volksbildung“ des Landes Sachsen-Anhalt geworden und nach Halle übergesiedelt war, schien ihm ein steiler Aufstieg im DDR-Bildungswesen offenzustehen. Er wurde 1952 Kreisschulrat in Merseburg, absolvierte 1953/54 ein Erweiterungsstudium für Germanistik an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam und schrieb seine Diplomarbeit über den kommunistischen Schriftsteller Friedrich Wolf (1888-1953), dessen Nachlaß er in der Ostberliner „Akademie der Künste“ aufarbeitete.

In den vier Jahren 1955/59 wirkte er als Lehrer für Geschichte und Deutsch an der Jugendsportschule „Friedrich Engels“ in Halle und ging 1961 nach Burgas in Bulgarien, wo er drei Jahre Lehrer für Deutsch am Fremdsprachengymnasium war, 1964 kehrte er nach Halle zurück, war vorübergehend Dozent am Herder-Institut Leipzig und entschloß sich 1965, als freischaffender Schriftsteller zu arbeiten. 1972 verzog er von Halle nach Leipzig, wo er heute noch lebt.

Als Schriftsteller wurde Werner Heiduczek mit der für Kinder geschriebenen Erzählung „Jule findet Freunde“ (1958) bekannt, für die er mit dem Literaturpreis des „Ministeriums für Kultur“ ausgezeichnet wurde. Der staatlich angeordneten Literaturbewegung des „Bitterfelder Weges“ vom 24. April 1959 konnte er sich nicht entziehen und arbeitete noch im selben Jahr mehrere Monate als Bauhilfsarbeiter bei den Chemischen Werken Buna in Schkopau. Sein Ziel war, wie man in seiner Autobiografie „Im Schatten meiner Toten“ (2005) nachlesen kann, dem „ungeliebten Lehrerberuf zu entfliehen. Das hatte er auch in früheren Jahren schon versucht, als er „in Merseburg als Schulrat gescheitert“ (Autobiografie) war, was in DDR-Monografien über Leben und Werk verschwiegen wurde. So wollte er bei Alfred Kantorowicz (1899-1979) an der Ostberliner Humboldt-Universität eine Dissertation über „Friedrich Wolf und sein expressionistisches Frühwerk“ schreiben, gab aber auf, als sein Doktorvater im Sommer 1957 nach Westberlin geflohen war.

Literatur für Erwachsene begann er zu schreiben, als er 1964 aus Bulgarien zurückgekehrt war, wobei es ihm in seinem Roman „Abschied von den Engeln“ (1968) auch darum ging, den aus Oberschlesien mitgebrachten Stoffvorrat zu verarbeiten. Die vier Geschwister Marula leben 1959/60, also noch vor dem Mauerbau 1961 in Berlin, in beiden deutschen Nachkriegsstaaten: in Westdeutschland der progressive Theologe Max und die „kapitalistische“ Schuh- und Pelzhändlerin Anna, in Mitteldeutschland Herbert, stellvertretender Bezirksratsvorsitzender, und Thomas, Direktor einer Oberschule. Weitere Figuren sind Annas Sohn Franz, der in die DDR übersiedelt, Herberts Frau Ruth, die zu Thomas überläuft, und ihr in Westdeutschland als KPD-Funktionär inhaftierter Vater. Werner Heiduczek ist ein guter und sicherer Erzähler, aber das Buch ist mit Ideologie überfrachtet und überzeugt kaum. Eine Verfilmung des Romans wurde abgebrochen, der Autor aber bekam 1969 den Heinrich-Mann-Preis verliehen.

Der stark autobiografisch eingefärbte Roman „Tod am Meer“ (1977) wurde bereits diskutiert und analysiert, bevor er erschienen war. Ein Auszug war bereits 1976 in der Anthologie „Im Querschnitt“ des Mitteldeutschen Verlags in Halle abgedruckt worden, außerdem hatte der Verlagsleiter Dr. Eberhard Günther ohne Wissen des Autors das noch unfertige Manuskript weit ergegeben, so daß es schließlich auch die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in Halle erreichte, wo Werner Heiduczek als „operativer Vorgang Schreiber“ geführt wurde.

 Es geht in diesem Roman um unaufgearbeitete Vorgänge im Leben des sozialistischen Schriftstellers Jablonski, der aus Oberschlesien stammt, heute in Leipzig lebt und der während einer Vortragsreise in Bulgarien einen Schlaganfall erleidet, an dem er Wochen später stirbt. Im Bezirkskrankenhaus von Burgas versucht er, „sein Leben zu korrigieren“ und legt seinem bulgarischen Bettnachbarn gegenüber ein ehrliche und rücksichtslose Beichte über seine und seiner Partei Verfehlungen seit 1946 ab.

 Werner Heiduczek hatte sich bei der Veröffentlichung dieses Buches, das voll politischer Sprengkraft war, durch literarische Kunstgriffe abgesichert. Er verfremdete den Stoff, indem er nicht als Autor, sondern lediglich als Herausgeber des Manuskripts, das ihm über den Verlag von der Witwe Anissa Jablonski zur Bearbeitung übergeben worden war, auftrat. Er weigerte sich auch, „Eingriffe im Manuskript vorzunehmen“, um es politisch zu entschärfen. Was der Literaturkritik und dem Sowjetbotschafter Pjotr Andrejewitsch Abrassimow in Ostberlin, auf dessen Intervention der Roman nach der zweiten Auflage verboten wurde, mißfiel, waren die nicht einmal geschilderten, sondern nur angedeuteten Vergewaltigungen deutscher Frauen beim Einmarsch der „Roten Armee“ 1945 in Deutschland: „Mit dem, was in jener Nacht und am folgenden Morgen auf diesem Bauernhof geschah, bin ich all die Jahre über nicht fertig geworden.“

Vernichtend waren, was das Buch nur noch begehrter machte, die Urteile der parteiamtlichen Rezensenten. Hans Koch, Direktor des „Instituts für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED“, sprach am 15. April 1978 im „Neuen Deutschland“ davon, daß das „Gesellschaftsbild des realen Sozialismus“ angezweifelt würde, weil hier „selbstzerstörerische Züge“ wirksam wären. Und Werner Neubert warf im SED-Bezirksblatt „Berliner Zeitung“ vom 8. Juli dem Autor vor, in diesem Buch dem „Klassenfeind“ mit den angedeuteten Vergewaltigungen Munition zu liefern für „Verleumdungen“, denn die „Rote Armee“ könnte auf ihre „opfervolle Geschichte der Rettung der Menschheit vor dem Versinken in die Barbarei“ verweisen, die „wirklichen historischen Erfahrungen unserer Arbeiter, unserer Bauern, unserer Intelligenz“ wären geprägt „vom täglichen Humanismus und der Freundschaft mit dem Sowjetvolk“. Der letzte Satz der Rezension lautete: „So bleibt der Eindruck von diesem Buch nicht zwiespältig, sondern eindeutig: negativ!“

Die erschreckenden Einzelheiten über das Schicksal dieses Aufklärungsromans und seines Verfassers erfuhr man 28 Jahre später, als Werner Heiduczek, der 1995 mit dem Eichendorff-Preis der Stadt Wangen im Allgäu und 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war, in Leipzig seine Autobiografie „Im Schatten meiner Toten“ (2005) veröffentlichte. Dieses Buch, in dessen erstem Kapitel „So sterben Schmetterlinge“ er von seiner Kindheit im katholischen Oberschlesien erzählt, ist ein unersetzliches Zeugnis vom Überleben ostdeutscher Kultur im 21. Jahrhundert.

Weitere Werke: Matthes. Roman. Berlin 1962. – Die Brüder. Novelle. Berlin 1968. – Mark Aurel oder Ein Semester Zärtlichkeit. Erzählung. Berlin 1971. – Briefe, in: Was zählt, ist die Wahrheit. Schriftstellerbriefe der DDR. Anthologie. Halle 1975. – Reise nach Beirut. Verfehlung. Erzählungen. Halle 1986. – Im gewöhnlichen Stalinismus. Aufsätze. Leipzig 1991. – Zahlreiche Kinderbücher, Dramen, Filme.

Lit.: Carsten Wurm, Nachwort zum Roman „Tod am Meer“, Neuausgabe, Leipzig 1995 (DDR-Bibliothek im Verlag Faber & Faber, Bd. 2). – Reinhard Stridde (Hrsg.): Werner Heiduczek zum 70. Geburtstag. Leipzig 1996.

Bild: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen.

Jörg B. Bilke