Biographie

Heike, Otto

Herkunft: Zentralpolen (Weichsel-Warthe)
Beruf: Publizist, Schriftsteller, Heimatforscher
* 11. Februar 1901 in Lodz/Polen
† 13. Oktober 1990 in Erkrath/Düsseldorf

In der Wiege von Otto Heike, die im Hause des Gerbers Friedrich Heike in Lodz stand, lag kein Patent für den hohen Aufstieg des Söhnchens. Er sollte ganz aus eigenen Kräften werden, was er im späteren Leben darstellte. Ein Selfmademan im wahrsten Sinne des in Amerika geprägten Wortes! Doch während in den amerikanischen Staaten diese Bezeichnung zumeist auf Männer angewandt wird, die in der Wirtschaft zu großen Erfolgen aufgestiegen sind, so handelt es sich im Falle Heikes um einen Mann geistigen, wissenschaftlichen und politischen Gepräges.

Denn: was konnte schon eine deutsch-russische städtische Volksschule in Lodz dem heranwachsenden Jungen gegeben haben, wenn diese Art der Schulbildung bereits mit dem dreizehnten Lebensjahr, beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges, beendet war. Während seiner Lehrzeit als Schriftsetzer bei der „Deutschen Lodzer Zeitung“ in den Jahren 1915 bis 1919 nahm er zusätzlich an Abendkursen teil. 1920 begann für den 19jährigen die Rekrutenzeit beim polnischen Heer, die durch die Wirren des bolschewistischen Krieges bis zum Dezember 1923 ausgedehnt wurde.

Der wenig privilegierte junge Mann suchte in jenen Jahren Schutz bei der Sozialdemokratie und fand 1926 ein Betätigungsfeld als Redakteur bei der „Deutschen Volkszeitung“, herausgegeben von der Deutschen Sozialistischen Arbeiterpartei Polens (DSAP).

Fortbildungskurse am Deutschen Institut für Zeitungskunde in Berlin Ende 1930 machten aus Heike einen gewandten Journalisten, der in der Folgezeit zum freien Mitarbeiter in einem Pressebüro für lokale und Wirtschaftsnachrichten aufstieg.

Die seit Jahren betriebene Sammlung von Zeitschriften und Broschüren führte ihn zur Heimatforschung, und bereits 1927 erschien die erste größere heimatgeschichtliche Abhandlung über Chojny bei Lodz. Sein Forscherdrang führte ihn des weiteren in das Lodzer Stadtarchiv, die Kirchenarchive Mittelpolens und das Warschauer Staatsarchiv.

Heimatkundliche Beiträge erschienen unter dem Pseudonym Wilhelm Friedrich in der Lodzer „Freien Presse“, der „Neuen Lodzer Zeitung“, dem „Volksfreund“, in Kalendern und anderen Zeitschriften. Im Januar 1939 wurde Heike Redakteur bei der „Neuen Lodzer Zeitung“.

In den dreißiger Jahren trat Heike energisch für die Belange der deutschen Schulen in Mittelpolen und namentlich in Lodz ein. Etliche seiner öffentlichen Auftritte, sei es als Pressemann oder als Parteiführer (Heike gehörte bis 1936 dem engsten Kreis der DSAP um Arthur Kronig, Emil Zerbe und Gustav Ewald an), brachten ihm Prozesse und Gerichtsstrafen ein.

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der Einnahme von Lodz durch deutsche Truppen wurde Heike mit der Leitung des Stadtarchivs von Lodz-Litzmannstadt beauftragt. In diese Zeit fällt die Übernahme des Bischöflichen Archivs und des Diözesanarchivs der römisch-katholischen Kirche von Lodz in das Stadtarchiv, was eine Sicherstellung dieser Archivalien bewirkte.

Gegen Ende des Krieges, gelang es Otto Heike, seine Familie bis Potsdam zu bringen. Dort wurde er Leiter des Amtes für Presse und Statistik beim Landeskriminalpolizeiamt der Landesregierung.

Die zweite Flucht innerhalb von zwei Jahren führte ihn schließlich aus der SBZ in den Westen Deutschlands, wo er zuerst in Hannover, dann 1948 bis 1954 in Bonn als Schriftleiter der „Sopade“, einer Monatsschrift im Auftrag der SPD, beim Verlag des „Neuen Vorwärts“ ein Betätigungsfeld fand.

Der Öffentlichkeitsarbeit seit den zwanziger Jahren eng verhaftet, beschränkte sich Heike schon in Hannover nicht auf seine berufliche Tätigkeit und trat in der Zeit des Koalitionsverbotes für die Vertriebenen in das Hilfskomitee der evangelisch-lutherischen Deutschen aus Mittelpolen ein. Als dann das Koalitionsverbot fiel, wurde er 1949 Mitbegründer und stellvertretender Bundessprecher der Landsmannschaft Weichsel-Warthe.

Am 1. September 1956 wurde Otto Heike unter Ernennung zum Regierungsrat in das Arbeits- und Sozialministerium von NRW berufen. Hier eröffnete sich ihm im Referat für kulturelle Fragen der Vertreibungsgebiete ein breites Arbeitsfeld. Der Mann, der schon sein ganzes Leben lang für die Pflege und Erhaltung deutschen Kulturgutes eingetreten war, hatte nun ex officio die Aufgabe übertragen bekommen, im volkreichsten Lande der Bundesrepublik die ostdeutschen Vertriebenen in allen ihren Gruppen und Organisationen zu betreuen.

Die Monatsschrift „Der Wegweiser“, eine vom Arbeits- und Sozialministerium des Landes NRW herausgegebene Zeitschrift für das Vertriebenen- und Flüchtlingswesen, hat Heike redaktionell mitgestaltet und intensiv gefördert. Viele Kulturhefte der Wegweiser-Schriftenreihe sind seiner Initiative zu verdanken.

Während seiner Tätigkeit im Arbeits- und Sozialministerium erfolgte 1961 Heikes Beförderung zum Oberregierungsrat. Der „Wegweiser“ bescheinigt Heike, daß er „sich immer wieder darum bemüht hat, möglichst viele Zeugnisse ostdeutscher Kulturleistungen zu erhalten und zu sammeln, sie dann aber nicht nur den Vertriebenen und Flüchtlingen, sondern vor allem auch der einheimischen Bevölkerung sichtbar zu machen.“ In dieser Richtung setzte er sich nachhaltig für den Ausbau von Patenschaften, für eine sachgemäße Ausgestaltung der Heimatstuben, Heimatmuseen und Heimatarchive ein.

In Anerkennung seiner Verdienste beförderte der Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen Otto Heike im Jahre 1965 zum Regierungsdirektor.

Ein für die Deutschen aus Mittelpolen und Wolhynien unvergängliches Denkmal hat sich Heike durch den Aufbau des „Archivs der Deutschen aus Mittelpolen und Wolhynien“ in Mönchengladbach geschaffen. Es ist durch archivarische Kostbarkeiten, aber auch durch den großen Umfang an Überliefertem, das Heike jahrzehntelang gesammelt hatte und dem eine große Anzahl von Landsleuten sehr viel beigesteuert hatten, eine Fundgrube für Heimatforscher und wissenschaftlich arbeitende Landsleute.

Auch die Übernahme der Patenschaft für die Deutschen aus dem Lodzer Industriegebiet durch den Rat der Stadt Mönchengladbach am 18. November 1963 ist der Initiative Otto Heikes zu verdanken.

Lit.: 115 Jahre Kampf um die deutsche Schule in Litzmannstadt, 1940. – Neu-Schlesing. Eine deutsche Leinenwebersiedlung in Litzmannstadt, 1940. – Die erste Schule in Litzmannstadt, 1942. – Pabianice. Leben, Leistung und Schicksal deutscher Einwanderer in einer Textilstadt Mittelpolens, 1965. – Fundament deutschen Volkstums in Polen. Zum 100. Gründungstag des Deutschen Lehrerseminars in Warschau/Lodz 1866–1966, 1966. – Ozorkow. Erste Textilstadt Polens. Das Aufbauwerk eingewanderter deutscher Tuchmacher und Weber, 1967. – Zgierz. Ausgangspunkt der Textilindustrie in den Regierungsstädten Polens. Die Aufbauleistung deutscher Tuchmacher in Zgierz, 1969.

Werke: Die Provinz Südpreußen. Preußische Aufbau- und Verwaltungsarbeit im Warthe- und Weichselgebiet 1793–1806, Marburg 1953. – Das Deutschtum in Polen 1918–1939, Bonn 1955. – Das deutsche Schulwesen in Mittelpolen, Dortmund 1963. – Das deutsche Lehrerseminar in Mittelpolen, Troisdorf 1963. – Die Aufbauleistung rheinischer Textilpioniere in Mittelpolen, Neuss 1964. – Die deutsche Arbeiterbewegung in Polen 1835–1945, Dortmund 1969. – Aufbau und Entwicklung der Lodzer Textilindustrie, Mönchengladbach 1971. – 150 Jahre Schwabensiedlungen in Polen 1795–1945, Leverkusen 1979. – Die deutsche Minderheit in Polen bis 1939, Leverkusen 1985. – Leben im deutsch-polnischen Spannungsfeld. Erinnerungen eines deutschen Journalisten aus Lodz, Essen 1989.

Bild: Archiv der Deutschen aus Mittelpolen und Wolhynien, Mönchengladbach.

Edmund Effenberger