Biographie

Hellpach, Willy

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Psychologe, Mediziner, Politiker
* 26. Februar 1877 in Oels/Schlesien
† 6. Juli 1955 in Heidelberg

Geboren wurde Willy Hellpach als einziges Kind von Hugo und Agnes Hellpach, geb. Otto. Der Vater, königlicher Kreisgerichtskalkulator, verstarb ein knappes Jahr nach der Geburt seines Sohnes. Daraufhin begaben sich Mutter und Sohn nach Landeshut im schlesischen Riesengebirge, dem Heimatort der Mutter. Hier wuchs Willy Hellpach auf. Sein Leben lang hat er sich seiner schlesischen Heimat, in der er glückliche Kinder- und Jugendjahre verlebte, verbunden gefühlt. 1883 wurde er in die evangelische Volksschule von Landeshut eingeschult, 1886 bezog er das Landeshuter Realgymnasium, an dem er Ostern 1895 das (Real-)Abitur bestand, und zwar mit sehr gutem Erfolg. Im September 1895 legte er am humanistischen Gymnasium in Hirschberg die für das Universitätsstudium erforderliche Ergänzungsprüfung in Latein und Griechisch ab. Mit Beginn des Wintersemesters 1895/96 studierte er an der Universität Greifswald Medizin und Psychologie. In Greifswald immatrikulierte Hellpach sich deshalb, weil ihr Renommee seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert durch die zu Weltgeltung aufgestiegene Medizinische Fakultät geprägt wurde. Vom Wintersemester 1897/98 an setzte er sein Studium an der Universität Leipzig fort. Hier war seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein großzügiger Neu- und Ausbau der Fakultäts- und Institutsgebäude erfolgt, begleitet von einer entsprechenden personellen Aufstockung. Von einer reinen Lehrhochschule hatte Leipzig sich innerhalb eines halben Jahrhunderts zu einer Lehr- und Forschungsuniversität von überregionaler Bedeutung entwickelt. Den hohen wissenschaftlichen Rang Leipzigs verkörperten in der Philosophischen Fakultät der Psychologe Wilhelm Wundt und der Historiker Karl Lamprecht. Im Jahre 1900 promovierte Hellpach bei Wundt mit der Note „summa cum laude“ zum Dr. phil. 1901 schloß er in Greifswald sein medizinisches Studium mit dem Staatsexamen ab. In Greifswald leistete er auch seinen Militärdienst ab. Anschließend war er in Heidelberg und in Berlin als Assistenzarzt beschäftigt. Daneben betätigte er sich literarisch. 1903 wurde Hellpach in Heidelberg mit „summa cum laude“ zum Dr. med. promoviert. Das von Schwierigkeiten begleitete Habilitationsverfahren konnte 1906 in Heidelberg erfolgreich abgeschlossen werden. Die venia legendi wurde Hellpach am 23. Juni 1906 erteilt. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges betrieb er eine Praxis als Nervenarzt; gleichzeitig war er als Privatdozent, seit 1911 als nichtplanmäßiger außerordentlicher Professor im Bereich der „Psychologie auf medizinisch-naturwissenschaftlicher Grundlage“ an der Technischen Hochschule Karlsruhe tätig. Den Ersten Weltkrieg erlebte Hellpach als Arzt in Lazaretten in Frankreich und Deutschland. Im Rang eines Oberarztes wurde er 1918 demobilisiert. Die in den Lazaretten gemachten Erfahrungen und gewonnenen Einsichten brachten ihn dazu, politisch aktiv zu werden. Er trat in die am 20. November 1918 gegründete Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein, deren Programm „durch ein Spannungsfeld von demokratischem Nationalismus und internationalem Friedensdenken geprägt war“. Am 1. April 1920 erhielt Hellpach an der TH Karlsruhe ein planmäßiges Extraordinariat für allgemeine und angewandte Psychlogie. Außerdem wurde ihm die Leitung des dort eingerichteten Instituts für Sozialpsychologie übertragen.

Mit der wissenschaftlichen Karriere Hellpachs ging einher seine politische. Sein rhetorisches Talent verschaffte ihm Respekt und trug zu seinem Aufstieg in der DDP, zu deren maßgebendem Theoretiker er avancierte, erheblich bei. Von 1922 bis 1925 wirkte er als badischer Minister für Kultus und Unterricht. Zu seinen Hauptverdiensten während seiner Ministertätigkeit gehört das unter ihm erarbeitete Modell einer neuen Berufsschulordnung, dessen Wirkung über Baden hinausging. Als der badische Landtag am 7. November 1924 zusammentrat, um turnusgemäß die Wahl des Staatspräsidenten vorzunehmen, entschieden sich die Abgeordneten für Hellpach, nachdem er im Jahr zuvor schon stellvertretender Staatspräsident gewesen war. Und als nach dem Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 28. Februar 1925 die Wahl eines neuen Reichspräsidenten anstand, wurde Hellpach wegen seiner Verdienste um das Land Baden durch die DDP zum Kandidaten für die Reichpräsidentenwahl am 29. März 1925 nominiert. Von der Presse als „Repräsentant besten sozialen und republikanischen Geistes“ bezeichnet, erreichte er im ersten Wahlgang 5,8 % der abgegebenen Stimmen. Die Regierungsbildung in Baden allein durch die SPD und das Zentrum 1925 führte dazu, daß Hellpach sich wieder verstärkt der Wissenschaft zuwandte. Vom 6. Januar 1926 an wirkte er als ordentlicher Honorarprofessor mit Lehrauftrag für allgemeine und angewandte Psychologie an der Universität Heidelberg. Die Zeitspanne von 1925 (Dezember) bis 1933 (Frühjahr) hat Hellpach im nachhinein die schaffensreichste in seinem Leben genannt. Befaßt war er im wesentlichen mit Forschung und Lehre. Hinzu traten Vortragsreisen in die Schweiz, nach Frankreich, Italien, Norwegen, in die Niederlande, nach Polen und nach Lettland. Bei den Wahlen zum Reichstag am 20. Mai 1928 trat Hellpach als DDP-Kandidat an. Mit dem durch ihn gewonnenen Mandat verband er große politische Einflußmöglichkeiten, die sich allerdings nicht erfüllten. Vielmehr kam es zu Spannungen mit dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der DDP Erich Koch-Weser (1876-1944). Das war für ihn Anlaß, im März 1930 sein Reichstagsmandat niederzulegen. Doch damit nicht genug. Er, der von 1925 bis 1930 stellvertretender Vorsitzender der DDP gewesen war, verließ noch im gleichen Jahr die Partei. Dokumentiert ist sein Austritt in der (171.) Sitzung des DDP-Vorstandes vom 16. Oktober 1930. Seit seinem Ausscheiden aus dem politischen Leben war er wissenschaftlich und publizistisch engagiert. Die Jahre des „Dritten Reiches“ überstand Hellpach relativ unbehelligt. Seinen Verpflichtungen als Hochschullehrer konnte er weiterhin nachkommen.

Nach Kriegsende, am 21. August 1945, beurteilte ihn die amerikanische Militärregierung als „unconditionally accepted“. Ehrungen erfuhr Hellpach durch seine Wahl zum Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften sowie der „Leopoldina“, der Akademie der Naturforscher in Halle. 1949 erhielt er eine außerordentliche Professur für Psychologie und Soziologie an der TH Karlsruhe. 1953 wurde er mit dem „Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland mit Stern“, der Wilhelm-Wundt-Plakette und der Ehrenmitgliedschaft des Berufsverbandes deutscher Psychologen, 1953 mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet. Parteipolitisch hat Willy Hellpach sich nach 1945 nicht mehr engagiert. Er starb unerwartet in Heidelberg und wurde auf dem dortigen Bergfriedhof bestattet.

Werke (Auswahl):Der deutsche Charakter, Bonn 1954. – Einführung in die Völkerpsychologie, Stuttgart 1938. – Erzogene über Erziehung (zusammen mit Friedrich Meinecke), Heidelberg 1954. – Die Grenzwissenschaften der Psychologie. Die biologischen und soziologischen Grundlagen der Seelenforschung vornehmlich für Vertreter der Geisteswissenschaften und Pädagogik dargestellt, Leipzig 1902. – Grundlinien einer Psychologie der Hysterie, Leipzig 1904. – Grundriß der Religionspsychologie, Stuttgart 1951. – Gruppenfabriktion, Berlin 1922. – Politische Prognose für Deutschland, Berlin 1928. – Heilkraft und Schöpfung. Aus der Welt des Arztes und vom Geheimnis des Daseins, Dresden 1934. – Kulturpsychologie. Eine Darstellung der seelischen Urspünge und Antriebe, Gestaltung und Zerrüttungen, Wandlungen menschlicher Wertordnungen und Güterschöpfungen, Stuttgart 1953. – Logos und Pragma, in: Universitas Literarium. Gesammelte Aufsätze von Willy Hellpach zum 70. Geburtstag im Namen von Freunden und Kollegen hrsg. v. G. Heß/W. Witte, Stuttgart 1948, S. 367-375. – Magethos, Stuttgart 1947. – Nervenleiden und Weltanschauung. Ihre Wechselbeziehungen im deutschen Leben und heute (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens), Wiesbaden 1906. – Pax futura. Die Erziehung des friedlichen Menschen durch eine konservative Demokratie, Braunschweig/Berlin/Hamburg 1949. – Sozialorganismen: Eine Untersuchung zur Grundlegung wissenschaftlicher Gemeinschaftslebenskunde, Leipzig 1944. – Tedeum. Laienbrevier einer Pantheologie, Hamburg 1947. – Die Wesensgestalt der deutschen Schule, Leipzig 21926. – Wirken in Wirren. Lebenserinnerungen. Eine Rechenschaft über Wert und Glück, Schuld und Sturz meiner Generation, Bd. 1 (1877-1914), Hamburg 1948; Bd. 2 (1914-1925), Hamburg 1949.

Lit.: Hans Georg Gadamer, Willy Hellpach, in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Heidelberg 1957, S. 26-28. – Horst Gundlach, Willy Hellpach: Attributionen, in: C. F. Graumann (Hrsg.), Psychologie im Nationalsozialismus, Berlin/Heidelberg/New York 1985, S. 165-195. – Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Hellpach, Willy, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4, München u. a. 1996, S. 569. – Klaus Lankenau, Willy Hellpach – Ein Leben zwischen Politik und Wissenschaft, in: ZGO 1934 (1989), S. 359-375. – Helmut E. Lück, Willy Hellpach. Geopsyche, Völker- und Sozialpsychologie. Der geisteswissenchaftliche Zugang. Von Leipniz bis Foucault, hrsg. v. G. Jüttemann, Weinheim 21955, S. 263-272. – Thomas Pfanzer, Die Begründung der Arbeitswissenschaft in der Soziologie von Willy Hellpach, Würzburg 1994. – Marie Salabova (Bearb.), Repertorium zum Nachlaß Willy Hellpachs, Karlsruhe 1974 (Nachtragsband 1995). – Walter Stallmeister, Willy Hellpach, in: Baden-Wüttembergische Biographien, Bd. 3, Stuttgart 1999, S. 209-212. – Walter Stallmeister, Der Psychologe als Politiker und politischer Journalist. Das Beispiel Willy Hellpach, in: H.E. Lück/R. Müller (Hrsg.), Illustrierte Geschichte der Psychologie, München 1993, S. 301-304. – Walter Stallmeister/Helmut E. Lück (Hrsg.), Willy Hellpach. Beiträge zu Werk und Biographie (Beiträge zur Geschichte der Psychologie, Bd. 4), Frankfurt/M. u. a. 1991. – Walter Stallmeister/Helmut E. Lück, Willy Hellpach. Wissenchaftler, Politiker und Journalist, in: Dies. (Hrsg.), Willy Hellpach, Beiträge zu Werk und Biographie (Beiträge zur Geschichte der Psychologie, Bd. 1), Frankfurt/M. u. a. 1991, S. 4-22. – Wilhelm Witte, Hellpach, Willy, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 8, Berlin 1969, S. 487-488. – Helmuth Auerbach, Hellpach, Willy, in: Wolfgang Benz/Hermann Graml (Hrsg.), Biographisches Lexikon der Weimarer Republik, München 1988, S. 135-136. – Claudia-Anja Kaune, Willy Hellpach (1877-1955), Frankfurt/M. u. a. 2005.

  Konrad Fuchs