Biographie

Helmer, Gilbert Johannes

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Abt von Tepl
* 2. Januar 1864 in Stiersmühle/ Scherlowitz
† 4. März 1944 in Tepl/ Egerland

Abt Gilbert Helmer wurde in Schiskowitz als Sohn eines Müllers geboren und auf den Namen Johannes der Täufer getauft. Er hatte sechs Geschwister: fünf Brüder und eine Schwester. Die Schulausbildung erhielt er an der Volksschule des Prämon­stratenserstiftes in Tepl und an der Bürgerschule der Stadt Tepl, später am k.k. Gymnasium in Pilsen, das von den Chorherren des Stifts geleitet wurde. Nach der Matura trat er als Novize in das Stift ein und studierte Philosophie und Theologie zunächst an der stiftseigenen Hauslehranstalt und später an der Theologischen Fakultät in Innsbruck. Seine erste Profess legte er 1885 ab, die ewigen Gelübde 1888. Ein Jahr später weihte ihn der Brixener Fürstbischof, zu dessen Diözese damals noch Innsbruck gehörte, zum Priester. Seine Primiz feierte der junge Chorherr am 11. August 1889 in der Stiftskirche in Tepl. Seit 1887 war Abt Clementso Leiter des Stifts, der den jungen Neupriester Pater Gilbert Helmer zum Weiterstudium in Innsbruck bestimmte, und zwar für die Fächer Germanistik, Altphilologie und Geschichte. Für seine Arbeit Sprache, Stil und Metrik des jungen Schiller erhielt Helmer einen Preis der Universität. 1893 wurde er mit der Arbeit Die Sprache des jungen Schiller promoviert und danach als Lehrer am deutschen Gymnasium in Pilsen eingesetzt, wo er außer in der Schule auch durch Vorträge in der Erwachsenenbildung bekannt wurde. In seiner freien Zeit studierte er das Altnordische und andere altgermanische Dialekte, schrieb eine Studie Zur Syntax Hugos von Montfort und hielt Kurse über Die deutsche Sprache, ihre Geschichte und ihren Zusammenhang mit den anderen indogermanischen Sprachen. Helmer korrespondierte damals mit dem Direktor des Gymnasiums in Reykjavik und hatte die isländische Zeitung Thjodolfur abonniert. In Germanistenkreisen galt er als Spezialist des frühen nordischen Schrifttums, aber auch der mittelhochdeutschen Literatur.

Als im Jahre 1900 Abt Clementso starb, wählten die Chorherren von Tepl den 36jährigen Helmer zum neuen Abt. Er leitete das Stift 44 Jahre und verschönerte es so, wie es bis heute sein Aussehen im Bewusstsein der Besucher bewahrt hat. Eine Fest­schrift zu seinem silbernen Jubiläum 1925 als Abt zeigt uns, was er für die Kultur, Wirtschaft und Verwaltung des Stiftes leistete. Das Stift betreute 25 Pfarreien, verwaltete den Weltkurort Marienbad und erlebte unter Helmer die Jahre des Weltkrieges und den Zerfall des Habsburgerreiches. Helmers Vorbild war Abt Reiten­berger, unter dem Marienbad aufgeblüht war und der freundschaftliche Kontakte mit Goethe unterhalten hatte. Helmer ließ den heutigen Bibliothekstrakt erbauen und richtete ein Museum ein. Der von ihm angelegte Park ist leider nach den Verwüstungen in kommunistischer Zeit nur noch ein Schatten seiner selbst.

Die neuen Machthaber der am 28. Oktober 1918 ausgerufenen Tschechoslowakei entzogen dem Stift die Leitung des Gymnasiums in Pilsen, das tschechisiert wurde. Die Bodenreform der Prager Regierung nahm dem Stift viel Grundbesitz und 1921 wurden die dem Stift gehörenden Kuranstalten in Marienbad unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Da die deutschen Ordensangehörigen einer Reihe von Klöstern seit 1919 aus Prag vertrieben wurden und auch für Tepl diese Gefahr bestand, erwarb Abt Helmer das 1803 aufgehobene Stift Speinshart in der benachbarten Oberpfalz wieder für den Orden.

Im alten Österreich war Helmer von 1901 bis 1913 Mitglied des Böhmischen Landtags gewesen und seit 1903 auch des Österreichischen Herrenhauses in Wien. Im neuen Staat leistete er seit 1928 als Abgeordneter der Deutschen Christlich-Sozialen Partei in Prag viel für seine sudetendeutschen Landsleute. Im Prämon­stratenserorden wurde er 1927 Generalvikar der Circarie Tschechoslowakei, d.h. aller Prämonstratenserstifte in der Tsche­cho­slowakei, zu denen außer Tepl auch Strahov und Seelau in Böhmen, Neureisch in Mähren und Joos in der Slowakei gehörten. Die Prager Akademie der Wissenschaften ernannte ihn zum Mit­glied. Im schwierigen Zusammenleben von Deutschen und Tsche­chen trat er entschieden für deutsche Rechte ein. Wie maßvoll er dabei als Landespolitiker vorging, zeigen seine Verhandlungen über den Verkauf der Kuranlagen von Marienbad. Da diese seit 1921 unter staatlicher tschechischer Zwangsverwaltung standen, wollten die Marienbader Nationalsozialisten nach dem Anschluss an das Deutsche Reich 1938 die Anlagen verstaatlichen. Helmer gelang es jedoch, die Bäder und Kuranlagen nach zähen Verhandlungen an das Reich zu verkaufen. Über die­ses Kapitel der Tepler Stiftsgeschichte in der Geschichte Marienbads, das meist äußerst oberflächlich und ein­seitig dargestellt wird, hat der Tepler Prämonstratenser P. Kurt Augustin Huber als Zeitzeuge und unter Auswertung seltener Quellen berichtet.

Trotz des Rückgangs im Ersten Weltkrieg und der schwierigen Nachkriegszeit erlebte Marienbad einen Aufschwung, so dass man Helmer den „Reitenberger unserer Zeit“ nannte, aber auch einen „pater patriae“. Während seiner Zeit als Abt wurde 1901 die neue Pfarrkirche in Auherzen geweiht, die Pfarrei Maria Stock übernommen, die dortige Kirche renoviert und ein Pfarrhaus gebaut. Der Orden hielt Generalkapitel im Stift Tepl ab, und Helmer selbst nahm an den Eucharistischen Weltkongressen in Montreal und Wien teil, an österreichischen Katholikentagen und an der Überführung der Gebeine des seligen Gottfried von Cappenberg von Prag ins hessische Ilbenstadt im Jahre 1911. Die Nähe Tepls zu Marienbad und die engen Beziehungen des Stifts zu diesem Kurort brachten Helmer in Kontakt zu vielen Großen der Politik und der Kirche und machen deutlich, welch bedeutendes geistig-kulturelles Zentrum das deutsche Tepl war. Die Liste von Persönlichkeiten, die Helmer in Tepl besuchten oder ihn in Marienbad trafen, ist derart beeindruckend und umfangreich, dass hier nur einige ausgewählte Beispiele aufgeführt werden können. Mit manchen Gästen war er längere Zeit verbunden, ja es entwickelten sich Freundschaften wie mit dem Zaren Ferdinand von Bulgarien, der ihn öfter besuchte und sein 24. Thronjubiläum mit einer Messe im Stift feierte. Als der englische König Eduard 1904 Kaiser Franz Josef in Marienbad traf, saß Helmer neben dem König, der auch im Stift zu Gast war und Helmer ins Schloss Windsor einlud.

Wer heute den auch ein Vierteljahrhundert nach der Wende von 1989 immer noch sichtbaren Verfall des Stifts kennt, kann sich kaum vorstellen, welche berühmten Namen einst das Stift mit ihrem Besuch beehrten: Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Ungarn und Exkönig Alphons von Spanien, König Abbas Hilmi von Ägypten, österreichische Minister und Statthalter, päpstliche Nuntien und Kardinäle, Bischöfe aus Paris, Rio de Janeiro, Polen und Ungarn. Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger, der seit 1901 Jahr für Jahr in Karlsbad kurte, erklärte: „Was die Zibeben im Guglhupf sind, das ist bei meinem Karls­bader Aufenthalt der Ausflug nach Tepl.“

1944 konnte Helmer noch seinen 80. Geburtstag begehen. Das Stift hatte im Jahr zuvor seines 750. Gründungstages durch den seligen Hroznata gedacht. Am 4. März 1944 starb der Abt, dessen Nachfolger Petrus Möhler durch die Vertreibung der Sudetendeutschen mit seinen deutschen Mitbrüdern Tepl verlassen musste, nachdem er in Eger inhaftiert worden war. Das seit 1946 tschechische Stift wurde 1950 von den Kommunisten aufgehoben und erst 1990 dem Orden zurückgegeben.

Bild: Prämonstratenser-Stift Speinshart.

Rudolf Grulich