Biographie

Herbst, Eduard

Beruf: österreichischer Justizminister
* 1. Dezember 1825 in Wien
† 25. Juni 1892 in Wien

Ein Mann, ein Wort – und das in einem ungewöhnlichen Sinne. Nichts hat wohl mehr zum Ruf Eduard Herbsts beigetragen als die Anspielung Bismarcks, gemünzt auf die österreichischen Deutschliberalen: „Die Herbstzeitlosen nenne ich sie, weil sie nie etwas zur rechten Zeit getan.“ Herbst war der Führer dieser Liberalen zu ihrer Glanzzeit; und Bismarck sprach diese Worte mit Betonung in die Richtung der Nationalliberalen im Reich, die um dieselbe Zeit mit dem Anspruch gescheitert waren, den Kurs der Regierung nicht bloß zu kontrollieren, sondern zu bestimmen: „Ich bitte Sie, sich das Beispiel der Herbst’schen Partei in Österreich doch einigermaßen zu Herzen zu nehmen.“ Herbst, den ein feudaler Graf einmal neidisch-spöttisch „König Eduard von Deutschböhmen“ nannte, wurde in eine Wiener Juristenfamilie geboren; seine Vorfahren aber kamen aus Böhmen, waren übrigens sogar tschechischer Abstammung. Herbst erhielt nach Lehrjahren, die er zusammen mit einer Reihe späterer Ministerkollegen in der vormärzlichen Finanzprokuratur verbrachte, wenige Monate vor Ausbruch der Revolution (als 22jähriger!) den Ruf als Professor an die Universität Lemberg. Das „Sturmjahr“ 1848 erlebte er wie von einem Sitz auf der Galerie aus, nicht an vorderster Front. Erst nach seiner Versetzung nach Prag 1858 trat der Strafrechtler ins öffentliche Leben, wo ihm eine kometenhafte Karriere beschieden war. Bei Beginn des konstitutionellen Ära 1861 in den böhmischen Landtag, von dort in den Reichsrat gewählt, entwickelte er sich binnen weniger Jahre unübersehbar zum „Primus inter Pares“ unter den individualistischen Liberalen. Nach Königgrätz fand er sich mit dem Ausgleich mit Ungarn ab, den der Kaiser über den Kopf der Volksvertretung hinweg genehmigt hatte, doch er stellte als einziger schriftliche Bedingungen für seinen Eintritt ins „Bürgerministerium“ im Dezember 1867. Als Justizminister war er verantwortlich für das Herzstück der liberalen Reformen, die konfessionellen Gesetze – eine Folge vom legislativen Arbeiten, die auf eine Kündigung des verhaßten Konkordats auf stillem Wege hinausliefen. Doch die slawischen Föderalisten, Tschechen und Polen, boykottierten die Dezemberverfassung. Der Versuch der Krone, zu einem Ausgleich zu finden, beendete das liberale Zwischenhoch binnen wenig mehr als zwei Jahren. Herbsts Rücktritt im Frühjahr 1870 beschädigte seinen Nimbus nicht, im Gegenteil: Er blieb noch für ein Jahrzehnt der Führer der Liberalen, doch er sollte nie wieder Minister werden, auch als seine Partei binnen kurzem an die Schalthebel der Macht zurückkehrte. Der Zwiespalt zwischen Partei und Ministerium verkörperte sich in seiner Person, von den Gouvernmentalen mißtrauisch beäugt, doch bekämpft zunehmend auch von den „Jungen“ auf der äußersten Linken. So, wie er 1873 den aufmüpfigen linken Flügel der Verfassungspartei niedergeworfen hatte, bekämpfte er 1878 den rechten: Ohne Herbsts Böhmen waren keine Mehrheiten zustande zu bringen.

Er war gefürchtet, nicht geliebt: Selten traf man auch später auf ein Urteil, das nicht die Vokabel „dogmatisch“ enthielt. Dieses oft gehörte Epitheton bietet allerdings einen Schlüssel zum Verständnis der Rolle Herbsts. Der österreichische Reichsrat kannte Extremisten aller nur möglichen Schattierungen, doch Herbst allein wurde „dogmatisch“ genannt: Er war kein „Roter“ von 1848, der im Zeichen des Erfolgs zu einem großbürgerlichen „Enrichissez-vous“ gefunden hatte; er stellte die Nation nicht über den Staat und sagte über seine Deutschböhmen einmal: „Wir gravitieren doch alle nach Wien.“ Aber er beharrte auf seinen Prinzipien, und das machte ihn unangenehm. Er war nicht gemütlich und jovial, nicht biegsam, weder nach „unten“ noch nach „oben“, sondern unverblümt, unnahbar und unbeirrbar.

Die Spannung zwischen dem Ministerium und dem Mann, der über seine parlamentarische Mehrheit gebot, erreichte ihren Höhepunkt nach der Okkupation Bosnien-Herzegovinas im Sommer 1878. Die Erwerbung Bosniens war ein Danaergeschenk Bismarcks, so könnte man rückblickend formulieren; doch nicht bloß um die Vor- und Nachteile dieser Erwerbung ging es. Herbst warf die Machtfrage auf. Der kaiserliche Außenminister Andrassy – Mitglied weder des österreichischen noch des ungarischen Kabinetts – war keinem Parlament verantwortlich. Und doch forderte Eduard Herbst seinen Kopf. Er empfahl dem Kaiser einen Ministerpräsidenten und ließ ihn zugleich wissen, ein Premier, der Andrassy decke, würde seine Unterstützung nicht genießen. Um seinem Standpunkt Nachdruck zu verleihen, spaltete er den „Club der Linken“, den tonangebenden Verband der Liberalen, und zog sich mit der Mehrheit in die Opposition zurück. Die Wahlen des Jahres 1879 bestätigten seinen Standpunkt; die ministeriellen Kandidaten fielen durch – mit ihnen aber ging auch die Mehrheit der Liberalen, ja der Deutschen in Österreich unwiederbringlich verloren. Herbst mochte die Opposition kongenial sein; seine Partei rieb sich daran auf. Endlich fanden sich auch die innerparteilichen Gegner von links und rechts zusammen und vertrieben den einst so Mächtigen 1885 aus seinem alten Wahlkreis, dem Landgemeindenbezirk Tetschen. In der Wiener Innenstadt fand er ein parlamentarisches Ausgedinge, verbittert, aber ungebeugt. Sein Sohn Ernst, dem er ein Gut im Böhmerwald gekauft hatte, vertrat für kurze Zeit noch einmal um die Jahrhundertwende die Deutschliberalen im Reichsrat.

Herbsts Scheitern bezeichnete das Ende jedes Versuchs einer nicht bloß konstitutionellen, sondern parlamentarischen Regierung in Österreich. „Die Rache wird süß sein“, soll der Kaiser gesagt haben, als Herbsts Liberale ihm die Rolle als Mehrer des Reiches verderben wollten. Die Politiker der nächsten Generation hatten die Lektion gelernt. Außenpolitik blieb in der Habsburgermonarchie weiterhin Kabinettspolitik.

Nachlaß: Privatbesitz (Wien)

Lit.: Elisabeth Wymetal: Eduard Herbst, sein Werdegang und seine Persönlichkeit vornehmlich auf Grund seiner selbstbiographischen Aufzeichnungen, phil. Diss. Wien 1944.  – Friedrich Schütz: Werden und Wirken des Bürgerministeriums, Leipzig 1909. – Gustav Kolmer: Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 13, Wien1902-05.