Biographie

Herrmann-Neisse, Max

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 23. Mai 1886 in Neisse/Oberschlesien
† 8. April 1941 in London

Da Max Herrmann, der am 23. Mai 1886 in Neisse als Sohn eines Gastwirtes und Bierverlegers geboren wurde, unter seinen körperlichen Gebrechen schon als Kind sehr zu leiden hatte, war er von einer außerordentlichen Sensibilität, die ihn schon beizeiten über die Seinszusammenhänge nachsinnen ließ. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums in seiner Heimatstadt studierte er von 1906 an Literatur- und Kunstgeschichte in Breslau und München. Zu einem Abschluß ist es nicht gekommen, und so ließ er sich auf das Wagnis ein, „freier Schriftsteller“ zu werden.

Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1916 und der bald darauf durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Mutter war es für ihn schwer, sich als unabhängiger Schriftsteller zu behaupten. Mit seiner treu ihm zur Seite stehenden Lebensgefährtin Leni ging er zunächst nach Berlin und war als Angestellter im S. Fischer-Verlag tätig. Zu seinen Förderern zählen in dieser Zeit u.a. Alfred Kerr, Carl Hauptmann, Moritz Heimann und Oskar Loerke, die damals schon, als Kritiker oder als Schriftsteller, einen Namen hatten. Max Herrmann hatte bald einige Bühnenerfolge zu verzeichnen, z. B. mit dem 1919 gedruckten Schauspiel „Joseph der Sieger“, das in der nächsten Wintersaison unter der Regie des damals bekannten Karl-Heinz Martin im „Kleinen Schauspielhaus“ siebenunddreißigmal aufgeführt wurde. Im gleichen Jahr kam er mit seinem Bühnenwerk „Insel der Seligen“ heraus.

Sein Auskommen fand Herrmann als Tagespublizist; er schrieb für den „Berliner Börsen-Courier“, das „Kölner Tagblatt“, die „Prager Presse“ und die „Literarische Welt“ Buch- und Theaterkritiken.

Ab 1920 machte Max Herrmann als Erzähler von sich reden, aber er wurde nicht so stark beachtet, wie er erwartet hatte. 1920 erschien der Prosaband „Hilflose Augen“ und der Roman „Cajetan Schaltermann“ und 1922 ein weiteres Bühnenwerk „Der letzte Mensch“. Vom Expressionismus wandte er sich in seiner Lyrik allmählich ab, um sich in der Schreibweise der „neuen Sachlichkeit“ auszudrücken. Über den Dichter äußerte sich Ernst Alker wie folgt: „Es mag für Herrmann besonders schmerzlich gewesen sein, daß er während der Berliner Jahre weniger durch seine Werke denn durch seine körperlichen Defekte einigermaßen berühmt wurde.  Der kleine Körper des Krüppels trug einen übergroßen Kopf, ein ‚Verberbrechergesicht‘ (wie Herrmann selbst sagte). Er sah so aus, wie ihn George Grosz darstellte und Ludwig Meidner malte, wie eine fleischgewordene Karikatur.“

1925 erschien von Herrmann der Erzählband „Die Begegnung“ 1927 die Erzählung „Der Todeskandidat“. Als lyrische Sammelbände legte er 1928 „Einsame Stimme“ und „Abschied“ vor. Diesen folgte 1932 „Musik der Nacht“. Mit diesen Werken fand der Dichter noch einmal Anerkennung in Deutschland, bevor er in die Emigration ging.

Im Jahr 1933 gelangte er mit seiner Frau über die Schweiz, Holland, Frankreich nach England, wo er in London eine Zuflucht fand und sich mit einem bescheidenen Einkommen begnügte. Aber Herrmann-Neisse, der sich als Bekenntnis zu seiner Vaterstadt Namen mit zu seinem Familiennamen gegeben hatte, fühlte sich in der Fremde nicht wohl. Wie schrieb doch Stefan Zweig über ihn: „Von all den vielen Exilierten litt er vielleicht am schmerzhaftesten unter Fremdheit der Sprache und der kalten Gesinnung, weil er als ,reinblütiger‘ Schlesier doch nicht aus Zwang den Weg ins Exil genommen, sondern aus verstümmelter Liebe für das alte, das dichterische, das denkerische Deutschland, das er durch Brutalität und Ungerechtigkeit geschändet sah.“ Und an anderer Stelle: „Noch vor einigen Jahren veranstalteten wir anläßlich seines 50. Geburtstages in London eine öffentliche Feier. Ernst Toller undich sprachenüber sein Lebenswerk, dann las er seine Gedichte. Er war rührend wie immer anzusehen, niedergeduckt auf das Pult, der kleine verwachsene Mann mit klugen Augen, die an jenem Abend besonders hell und zart leuchteten. Man spürte es so sehr, wie er beglückt war, endlich wieder einmal Verse, deutsche Verse einem andächtig lauschenden Kreise vorlesen zu dürfen und inmitten der riesigen und fremden Stadt die Wärme von Freundschaft, Anerkennung und dankbarer Bekräftigung um sich zu fühlen.“ In der Emigration schuf Max Herrmann-Neisse seine schönsten Gedichte. Die für sein Schicksal bezeichnende Lyriksammlung „Um uns die Fremde“ erschien 1936 im Oprecht-Verlag in Zürich. Auf die Bekanntmachung über seine Ausbürgerung antwortete er mit einem Bekenntnis zu seiner Herkunft, dessen Verse so ausklingen: „Was man liebt, kann nie vergehen: / heimatlich vertraute Töne/ überall uns treu umwehen; / denn die Heimat bleibt bestehen / in dem Lied verstoßner Söhne.“ Im Vorwort zu Herrmanns Gedichtband „Erinnerung und Exil“ äußerte sich Stefan Zweig so: „Unaufhörlich träumte er sich in dieses Deutschland von einst und seine Landschaft zurück, und aus diesen Träumen wurden Strophen und Gedichte edler männlicher Trauer, die schönsten vielleicht, die seit Heinrich Heine im Exil geschrieben wurden.“

Nach all den körperlichen und seelischen Beschwernissen seine Lebens mag er sich mitunter den Tod herbeigesehnt haben; am 8. April 1941 hatte er ihn nach einem Herzanfall zu sich genommen. Max Herrmann-Neisse fand seine letzte Ruhestätte auf dem Londoner Marylobone-Friedhof.

Werke:„Ein kleines Leben“, Gedichte und Skizzen, 1906; „Das Buch Franziskus“, Gedichte, 1911; „Porträt des Provinztheaters“, Sonette, 1913; „Sie und die Stadt“, Gedichte, 1914; „Empörung, Andacht, Ewigkeit“, Gedichte, 1918; „Verbannung“, Gedichte, 1919; „Die Preisgabe“, Gedichte, 1919; „Joseph der Sieger“, Komödie, 1919; „Die Laube der Seligen“, Komödie, 1919; „Cajetan Schaltermann“, Roman, 1920; „Hilflose Augen“, Novellen, 1920; „Der Flüchtling“, Roman, 1921; „Im Stern des Schmerzes“, Gedichte, 1924; „Die Begegnung“, Erzählungen, 1925; „Der Todeskandidat“, Erzählung, 1927; „Einsame Stimmen“, Gedichte, 1928; „Abschied“, Gedichte, 1928; „Musik der Nacht“, Gedichte, 1932; „Um uns die Fremde“, Gedichte, 1936; „Letzte Gedichte“, Gedichte, 1941; „Mir bleibt mein Lied“, Gedichte, 19 „Erinnerung und Exil“, Gedichte, 1946; „Heimatfern“, Gedichte in Auswahl, 19 Max Herrmann-Neisse (Auswahl), 1961; Ich gehe wie ich kann. Gedichte, 1979.