Biographie

Hesse, Adolph Friedrich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Orgelvirtuose, Komponist, Musikkorrespondent
* 30. August 1809 in Breslau
† 5. August 1863 in Breslau

In den allgemeinen musikalischen Epochen-Publikationen wird der am 30. August 1809 in Breslau geborene Adolph (Friedrich) Hesse allenfalls am Rande erwähnt, sehr wohl aber in den einschlägigen Veröffentlichungen über Orgelspieler und Orgelkompositionen und in der Nachfolge der kontrapunktischen Kunst Johann Sebastian Bachs, selbstverständlich in den Musiklexika. Obwohl er auch Kammer- und Kirchenmusik, Symphonien und Klavierwerke geschrieben hat, sind nur seine Orgelwerke den Organisten und Kennern heute noch bekannt und beliebt. In der Romantik wirkten Komponisten– im Gegensatz zur Klassik – oft auch als Musikschriftsteller; als solcher wird Adolph Hesse erst jetzt mehr oder weniger entdeckt. Adolph Hesse war und ist unbestritten in der Fachwelt als einer der europäischen Orgelvirtuosen zwischen 1828 und 1860 angesehen. Kontrovers diskutiert wird in den letzten Jahren die durch François-Joseph Fétis entstandene Meinung, dass der Belgier Nicolas Jacques Lemmens als Schüler Hesses in Breslau dessen auf Bach zurückgehende Kunst des Kontrapunkts den Franzosen bis Albert Schweitzer weiter gegeben habe. Hesse gab in der Neuen Zeitschrift für Musik (36 1852, S. 163) bekannt, er habe keinen Einfluss auf das Orgelspiel und den Kontrapunkt Lemmens ausüben können. (Siehe Ahrens in der Rubrik Literatur).

Der Vater Friedrich war in Bernburg geboren; er ließ sich in Breslau nieder. Mit seinem Sohn Adolph zusammen besuchte er gern die Verwandtschaft in seiner Geburtsstadt. Adolph war als Schüler des Oberorganisten der Breslauer Elisabeth-Kirche und Komponisten Friedrich W. Berner geeignet, bereits 1827 in dieser Kirche die zweite Organistenstelle zu übernehmen. Auf einer Konzertreise 1828/29, auf der u.a. auch den Weimarer Hofkapellmeister Joh. Nep. Hummel besuchte, erhielt er ein halbes Jahr Unterricht im Orgelspiel und Komposition bei Christian Heinrich Rinck, bei dem er auch wohnte. Von dort ging er zu Louis Spohr in Kassel, mit dem er dann freundschaftlich verbunden blieb. In mehreren Städten konzertierte er auf dieser Weiterbildungsreise. An seinem 22. Geburtstag 1831 erhielt er die Anstellungsurkunde als Oberorganist von St. Bernhardin, der Breslauer drittgrößten evangelischen Pfarrkirche, die ein reiches religiöses und kirchenmusikalisches Leben auszeichnete. Am 12. September des gleichen Jahres wurde Hesse mit der Einweihung der neuen Orgel feierlich eingeführt. Hochverehrt vor allem als Orgelvirtuose, geachtet als Komponist und Musikberichterstatter (seit 1828), unternahm er, teilweise auf besondere Einladung, weitere Reisen, u.a. nach Wien (1831), Köln (1832), Paris (1844 und 1862), Prag (1853 und 1858), London (1851 und 1862). Über die wichtigen Ereignisse und Begegnungen bei seinen Reisen berichtete er gern in musikalischen Fachzeitschriften. – Louis Spohr verehrte er als Mensch, Geiger und Komponisten, Hummel dankte er in einem Brief, Paganinis Geigenvirtuosität erstaunte ihn sehr, er übte aber Kritik an ihm, menschlich und musikalisch. Über die Situationen in den großen Musikstädten schrieb er geschmeidig, besonders über den Orgelbau und die Möglichkeiten der Spielweisenverschiedener Orgeln. In Wien bemängelte er die Kurzoktave der dortigen Orgel im Pedal, die aber dem süddeutschen Orgelkompositionsstil damals entsprach. In Paris wurde er 1844 zur Einweihung der neuen Orgel in St. Eustache zu einem Aufsehen erregenden Konzert eingeladen. Dort führte er den französischen Kollegen den Orgelkompositionsstil Johann Sebastian Bachs vor, den sie nicht gewohnt waren.

Berühmt war sein reichhaltiges Pedalspiel auf der Orgel, u.a. sein doppeltes Oktavspiel mit beiden Beinen. Seine Orgelwerke waren hoch geschätzt; Musikverleger in Breslau, Hamburg, Leipzig, Offenbach und Wien brachten sie gedruckt heraus. Neben Variationen und anderen romantischen Einzelstücken für die Orgel arbeitete Hesse gern kontrapunktisch; deshalb wird er mit Joh. Seb. Bach in Verbindung gebracht. Hesse hat seine sechs Symphonien in verschiedenen Städten dirigiert. Robert Schumanns Stellungnahme zu ihnen ist distanziert, obwohl Adolph Hesse Clara Schumann sehr verehrte. In Breslau leitete er Orchesterkonzerte und wurde als Musikkorrespondent geachtet. Hesse trat auch als gediegener praktischer Musiker auf dem Klavier (als Solist und Begleiter) und auf der Viola in Konzerten auf; er beteiligte sich ebenso an den Schlesischen Musikfesten. Sein Kollege Carl Freudenberg hielt aus Anlass von Hesses 25-jährigem Dienstjubiläum 1856 in Breslau eine sehr ironisch gefärbte Laudatio. In dem letzten Lebensjahr zog sich Adolph Hesse etwas zurück. Am 5. August 1863 starb Adolph Hesse (wie er sich selbst stets schrieb) in Breslau. Aus diesem Anlass wurde er in verschiedenen Fach- und Tageszeitungen mit – meist kurzen – Beiträgen bedacht.

Eine neue Bewertung des Werkes, der Leistung und des Einflusses von Adolph Hesse deutet sich an. Eine stärkere Hinwendung und Wiederbelebung etlicher Kompositionen, nicht nur von Orgelwerken, ist wünschenswert.

Werke: Gedruckte Kompositionen (zusammengefasst): 1. Vokal: 4 Motetten – 2 Kantaten – Einige Lieder mit Klavierbegleitung. – 2. Orchestral: 6 Symphonien. – 3. Kammermusik: 1 Klaviertrio – 1 Quatuor. – Klavierstücke: 4 Werke. – 4. Orgelwerke: Zahlreiche eigenständige Ausgaben und in verschiedenen Sammelwerken ab 1828. Die frühen Orgelkompositionen sind ohne Opus-Nummer, dann von Op. 22 bis 87; vereinzelt sind auch Stücke für vier Hände enthalten. Etliche Werke sind in Nachdrucken zugänglich. – 5. Ausgaben: Einige Choralbücher, meist mit Zwischenspielen. – 6. Musikberichte von 1828 bis 1863 in Fachzeitschriften: Eutonia – Allgemeine musikalische Zeitung (Leipzig) – Euterpe – Neue Zeitschrift für Musik; – in Tageszeitungen: Breslauer Zeitung – Schlesische Zeitung. Handschriftliche Kompositionen: Kleine frühe Gelegenheitsstücke – Oratorium Tobias, nur der 1. Teil, UA 19.10.1832 in St. Bernhardin – 5 Ouvertüren – 2 Klavierkonzerte – 1 Quintett – 1 Quatuor. (Nähere Angaben siehe Lothar Hoffmann-Erbrecht, Schlesisches Musiklexikon, Art. Hesse, Adolph)

Lit.:1. Schlesische Musiklexika: Carl Julius Adolph Hoffmann, Die Tonkünstler Schlesiens. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte Schlesiens, vom Jahre 960 bis 1830, Breslau 1830. – (Carl) Koßmaly, und Carlo, Schlesisches Tonkünstler-Lexikon, 1. Heft Breslau 1846. – Lothar Hoffmann-Erbrecht (Hrsg.), Schlesisches Musiklexikon, Augsburg 2001. – 2. Bücher und Aufsätze (chronologisch): Stephan Morelot, Beaux-Arts. Inauguration de l’Orgue de Saint-Eustache, Mardie 18 Juin, in: Revue et Gazette musicale de Paris (7.7.1844), S. 230-232. – Aus dem Leben eines alten Organisten. Nach den hinterlassenen Papieren Carl Gottlieb Freudenberg‘s bearbeitet von Dr. W. Viol, 2. Aufl. Leipzig 1872, speziell S. 178-180, 184 und 197f. – Stanley Lucas, A. F. Hesse and his Organ Music, in: The Musical Times 69 Nov. 1928, S. 1022f. – Hans Jürgen Seyfried, Adolph Friedrich Hesse als Orgelvirtuose und Orgelkomponist, Diss. Saarbrücken 1964, Druck Regensburg 1965 (Forschungsbeiträge zur Musikwissenschaft 17). – Fritz Feldmann, Die schlesische Kirchenmusik im Wandel der Zeiten, Lübeck 1975 (Das Evangelische Schlesien VI, Teil 2, S. 150-158). – Otto Biba, Adolph Friedrich Hesse und Wien, in: Organa Austriaca 2 1979, S. 37-62. –Christian Ahrens, Deutscher Einfluß auf die französische Orgelmusik der Romantik?, in: Die Musikforschung 34 1981, S. 311f. – Josef Burg, Quelques remarques sur les séjours d‘Adolf Friedrich Hesse a Paris, in: L’Orgue francophone 1992 Nr. 13, S.42-58. – Hubert Unverricht, Adolph Hesses Korrespondenz von 1829 bis 1832 mit Christian Heinrich Rinck, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 47/48 2006/07 (Insingen 2008), S. 265-289.

Bild:Porträt, Haslinger in Wien (Sept. 1831), Lithographie im Privatbesitz des Autors.