Biographie

Heydebrand und der Lasa, Tassilo von

Herkunft: Posener Land
Beruf: Schachspielmeister und -theoretiker
* 17. Oktober 1818 in Berlin
† 26. Juli 1899 in Storchennest/ Kr. Lissa

Die niederschlesische Adelsfamilie von Heydebrand und der Lasa wird erstmals im Jahr 1287 urkundlich mit Heinrich von Berolisdorf (Bärsdorf, heute Niedźwiedzice) auf Heinrichsdorf (Heinersdorf, auch Hayda) bei Liegnitz genannt. Seither ist die Stammreihe der Familie ununterbrochen verfolgbar. Nach dem Dorf Hayda bzw. Heyde erhielt die Familie den Namen v. der Heyde.

Ein Nachkomme der Familie besaß das Gut Lahse (Łazy) im Kreis Militsch, das offenbar zuvor einer Familie Brand gehört hatte, so entstand der Name v. der Heyde-Brand und der Lasa. Die Familie teilte sich mit Hans Christoph (1666-1748) und Joachim Sigismund v. Heydebrand (1670-1716) in zwei Linien: in Wilkau (Wilków, Kr. Namslau) und in Storchnest (Osieczna, Kr. Lissa).

Der Ort Osieczno wird 1393 erstmals urkundlich erwähnt. Es war ein adeliges, polnisches Dorf, das der nach dem Ortbenannten Familie Osieczny gehörte, die später auch Borek genannt wurde. Osieczna erhielt zu ungenannter Zeit das deutsche Stadtrecht. Im 16. Jahrhundert kaufte sich hier der Magnat lutherische Łukasz Górka h. Łodzia (II) ein. Nach dem Tod des letzten Górka erbte dessen Neffe Andrzej Czarnkowski h. Nałęcz die Stadt. Die nächsten Eigentümer waren 1601-53 die Przyjemski h. Rawa und 1653-90 die Opaliński h. Łodzia. In deren Zeit wurde die von Schweden besetzte Nachbarstadt Lissa (Leszno) im Kleinen Nordischen Krieg von polnischen Truppen niedergebrannt (1656). Die Bevölkerung floh, u.a. ins benachbarte Osieczna. Sie wunderten sich, der Legende nach, über die vielen Storchennester auf den Dächern. Daher soll die Kleinstadt den deutschen Namen Storchnest erhalten haben.

In den folgenden zwei Jahrhunderten wechselte die Gutsherrschaft noch mehrmals. Der hoch verschuldete Bonaventura Gajewski h. Ostoja musste seinen Besitz an einen deutschen Nichtadeligen verkaufen. Das Gut wechselte mehrfach den Besitzer, zuletzt an die Familie v. Helldorf. Da die Eigentümer nicht mehr hier lebten, verkam vieles, u. a. die Burg.

Durch Erbschaft von der Familie v. Helldorf erbte der preußische Diplomat Tassilo v. Heydebrandt und der Lasa 1877 den Besitz und verbrachte hier seinen Lebensabend. Die Stadt Storchnest zählte damals nur etwa 1.300 Einwohner. Nach Tassilo ist der zweite Familienzweig rückwirkend nach dem Ort Storchnest benannt, während er zuvor nach dem Gutsbesitz des Gründers, Ornontowitz (Ornontowice, Kr. Pless) in Oberschlesien, benannt war.

Tassilo war der Sohn des Heinrich v. Heydebrand u. der Lasa (1790-1868) und der Emilie v. Kleist (1785-1875), geb. Thomann. Sein Vater war preußischer Offizier – zuletzt Generalmajor – und Gutsherr auf Klein Tschunkawe (Wziąchowo Małe, ab 1936 Preußenfeld) im schlesischen Kreis Militsch (Milicz). Tassilo wurde am 17. Oktober 1818 in Berlin geboren.

Wo er das Gymnasium besuchte ist unbekannt, vermutlich in Berlin. Er entschied sich nach dem Abitur für ein Studium der Rechtswissenschaft, zuerst an der Universität in Bonn, dann in Berlin. Anschließend trat er in den Staatsdienst und zwar entschied er sich 1845 für den diplomatischen Dienst.

Als Gesandter kam er Gesandter ins schwedische Stockholm, nach Kopenhagen (Dänemark) und Rio de Janeiro (Brasilien).

Bekannt wurde er aber nicht für seine diplomatischen Erfolge, sondern für seine wahre Leidenschaft, das Schachspiel.

Bereits als Student spielte er mit großem Talent und stieß zu einer Gruppe begabter Schachspieler um Ludwig Bledow (1795-1846), dem sog. Siebengestirn, die später die Berliner Schachschule gründeten. Sie bemühten sich um eine wissenschaftliche, theoretische Erforschung des Spiels.

Heydebrand wurde zu seiner Zeit durch die Herausgabe des Handbuchs des Schachspiels (1843) – bis heute – bekannt. Das Konzept zu diesem Handbuch hatte ein anderer, aber zuvor verstorbener Schachtheoretiker entwickelt. Tassilo setzte dessen Werk fort und setzte selbstlos den Namen Paul Rudolf v. Bilguer (1815-1840) hinzu, weshalb das Werk bis heute den Namen der „Bilguer“ heißt – nun nicht der „Heydebrand“, obwohl er bis 1874 noch vier weitere Auflagen bearbeitete.

Von Heydebrand veröffentlichte darüber hinaus viele Fachartikel und verfügte selber eine sehr bedeutende Sammlung an Schachliteratur.

Er war es auch, der um für das Jahr 1850 die Ausrichtung eines ersten internationalen Schachturniers in Trier war. Dazu kam es nicht, so fand das erste internationale Schachturnier 1851 in London statt.

Heydebrand war aber nicht nur Theoretiker, sondern einer der weltbesten Spieler seiner Zeit. Aber angesichts seiner diplomatischen Laufbahn zog er sich immer mehr zurück. Für seine Lebensleistung wurde er 1898 als Erster mit der Ehrenmitgliedschaft im Deutschen Schachbund ausgezeichnet.

Heydebrand war seit 1860 mit Anna v. Helldorff a. d. H. Breda (1831-1880) verheiratet, mit der er zwei Söhne hatte. Über sie erbte die Familie auch das Gut Storchnest. Mit dem Ehrentitel kaiserlich-deutscher Wirklicher Geheimer Rat entlassen, setzte sich Heydebrand zum Lebensabend zur Ruhe.

Er war auch, wie viele evangelische Gutsherren, Rechtsritter des Johanniterordens.

Am 27. Juli 1899 starb Tassilo v. Heydebrand und der Lasa in Storchnest.

Das Gut blieb bis 1945 im Familienbesitz. Tassilo beerbte sein Sohn Heinrich v. Heydebrand und der Lasa (1861-1922), der sich auch politisch betätigte Mitglied des Posener Provinzial­landtages und Mitglied des Preußischen Herrenhauses wurde. Ob seine Weigerung, sich an der Versailler Friedensvertragskommission zu beteiligen, die ihm 1919 angeboten wurde, ein guter Schachzug war, darüber kann man streiten, auch wie sein Großvater als Diplomat und Schachspieler darüber gedacht hätte.

Lit.: P. Ellerholz, Handbuch des Grundbesitzes im Deutschen Reich, I. Das Königreich Preußen, VII. Lieferung. Die Provinz Posen, Berlin 1881. – Vlastimil Fiala (Hrsg.), Tassilo von Heydebrand und der Lasa and his chess collection. International conference of chess historians, September 16-18. Biblioteka Kórnicka, Kórnik 2003. – Martin Sprungala, Die Familie v. Heydebrand und der Lasa in Storchnest, in: Posener Blätter, Beilage des DGV in den Posener Stimmen, 13. Jahrgang, Nr. 57, Ausgabe August/ September, Lüneburg 2013. – Wilhelm Uhl, Heydebrand: Tassilo von H. und der Lasa, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Band 50, Leipzig 1905, S. 297-305.

Bild: Chess History & Literature Society.

Martin Sprungala