Biographie

Heymann, Walther

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Dichter
* 19. Mai 1882 in Königsberg i.Pr.
† 9. Januar 1915 in bei Soissons/Frankreich

Walther Heymann gehört zu der Generation junger talentierter Schriftsteller in Deutschland, die um 1910 unter dem Einfluss des frühen Expressionismus zu erstem literarischen Ruhm gelangten, dann freiwillig und mit großer Begeisterung in den Krieg zogen, dort unvollendet umkamen und bald nach 1918 in Vergessenheit gerieten. Alfred Lichtenstein, Ernst Stadler, Au­gust Stramm, Gorch Fock (d.i. Johann Kinau), Reinhard Sorge oder Walter Flex sind nur einige andere einst klangvolle Namen, die heute nur noch wenigen Kennern der deutschen Literaturgeschichte vertraut sind. Im letzten Feldpostbrief an seine Ehefrau Maria, geborene Perk, die Walther Heymann 1913 geheiratet hatte, finden das jene Generation zerreißende Widerspiel zwischen einem emotionalen Patriotismus und der Unabgeschlossenheit des künstlerischen Lebens lakonischen Ausdruck: „Mein Leben wäre ganz am Anfang, wenn’s bald enden sollte. Wie es auch komme, mir ist Frieden in der Seele. Leben herrlich, verwundet heimkehren – schwer schön. Sterben – schad um zehn ungeschriebene Bücher.“

Heymann wurde in eine seit vier Generationen in Ostpreußen ansässige jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren, die es mit Saatguthandel zu einigem Vermögen gebracht hatte. Er schloss mit 17 Jahren das Friedrichskolleg ab und studierte danach in Königsberg, Freiburg, München und Berlin Jura. Nach dem 1. Staatsexamen 1902 ging er ins Referendariat, das er am Amtsgericht in Fischhausen, dann in Insterburg absolvierte, jedoch kurz vor dem Assessorexamen 1907 abbrach.

Eigenen Aussagen nach hatte Heymann sich schon früh zum Dichter berufen gefühlt. Dass sich ihm diese Karriere eröffnete, verdankte er Alfred Petrenz (1872-1915), einem bei Bartenstein in Ostpreußen geborenen Journalisten, der für die Ostpreußische Zeitung und die Tägliche Rundschau in Berlin tätig war. Petrenz, als erster Förderer von Gottfried Benn in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen, nahm 1905 in seine Anthologie Ostpreußisches Dichterbuch 14 Gedichte von Heymann auf. Walther Heymann gelangte dadurch zu überregionaler Bekanntheit und nutzte diese, um Anfang 1907 seinen ersten Gedichtband Der Springbrunnen vorzulegen. Dieser Band brachte ihm mehr als nur einen Achtungserfolg ein, vielmehr verschaffte er ihm deutschlandweit eine positive Resonanz. Dieser Erfolg dürfte Heymann, nachdem er einen körperlichen Zusammenbruch erlitten hatte, entscheidend darin bestärkt haben, seine juristische Laufbahn aufzugeben und sich fortan ganz der Schriftstellerei zuzuwenden. Das elterliche Vermögen wird diese Lebensentscheidung zusätzlich erleichtert haben, und es erlaubte ihm auch, die nächsten zwei Jahre in Italien zu verbringen, um nicht nur die Gesundheit wieder herzustellen.

1909, im Jahr der Rückkehr aus Italien, veröffentlichte Walther Heymann die Gedichtsammlung Nehrungsbilder, die ihn endgültig unter die führenden Lyriker seiner Zeit katapultierte. Heymanns Nehrungsbilder können mit aller literarästhetischen Berechtigung als „das bedeutendste poetische Gemälde der kurischen Nehrung“ (H. Orłowski) gewürdigt werden. Stilistisch variabel und experimentierfreudig, beeindruckend wortbegabt und bildgewaltig lässt Heymann hier das Erhabene und Unvergängliche, aber auch das Bedrohliche und Vereinsamende der Nehrung als Gesamtkunstwerk der Natur auf sich und auf die Leser wirken. Diese Sammlung zeigt deutlich Berührungspunkte und Abgrenzungen zwischen Heymanns Lyrik und dem Frühexpressionismus auf. Als Lyriker teilt er die künstlerische Perspektive, die er 1914 als Essayist in seinem Text Max Pechstein als Nehrungsmaler formulieren wird: „Aber Pechstein hat die Nehrung nicht ostpreußisch empfunden, nicht als schauerliche Einöde. So sieht er sie nur, wo sie zum Fischerschicksal in Beziehung steht. Ihm war sie ein wunderbares Land, ein Samoa der Farbe, die erste Erfüllung seines Kindertraumes von fremden, farbigen Ländern.“

Die ostpreußische Landschaft ist ein Hauptthema Heymanns. Es korrespondiert an vielen Stellen des Werkes mit vaterländischen Stoffen und Motiven, in die sich ganz selbstverständlich jüdisches Selbstverständnis hineinmischt. Nach 1909 freilich verstummte Heymann als Lyriker. Nur gelegentlich taucht sein Name in kleinen Liederdrucken auf, wo Gedichte von ihm Kompositionen von Paul Scheinpflug (1875-1937) und Fritz Lissauer (1874-1937) erhalten haben. Selbst tritt er nur noch als freier Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften in Erscheinung, wobei er teilweise umfangreiche Essays zu aktuellen literarischen und kulturellen Themen lieferte, darunter im Januarheft der Xenien 1911 einen bemerkenswerten Beitrag Zur Würdigung Oscar Wildes. 1912 wurde er Mitarbeiter der Hartungschen Zeitung in Königsberg. Warum er keine weiteren Gedichte veröffentlichte, lässt sich nicht genau erklären, doch deutet sich mehrfach in Briefen und Essays ein innerer „Widerstreit“ an zwischen ästhetischem Anspruch und dem Selbstbild, „Dichter für Menschen“ sein bzw. werden zu wollen, ein Pro­blem, das Heymann für sich noch nicht gelöst glaubte. Gleichwohl dichtete er unermüdlich weiter.

Nach Heymanns Tod konnten aus dem Nachlass fünf weitere Bücher herausgegeben werden. Viele Gedichte entstanden noch vor Veröffentlichung der Nehrungsbilder. An den Gedichten der Sammlung Die Tanne. Ein deutsches Volksbuch (München 1917) arbeitete er zum größten Teil zeitgleich mit dem Gedicht Die Hochdüne im Juni 1908 in Italien. Julius Bab, der 1920 mit seiner Bibliographie Die deutsche Kriegslyrik 1914-1918 eine kritische Bilanz dieser unüberschaubaren Produktion zog, lobte schon kurz nach Heymanns Tod dessen Kriegsgedichte, die mit einer Auswahl der Feldpostbriefe 1915 erschienen, die für ihn „zu dem wenigen Eigenen, Ernsten, Echten, was sich unter sechs Millionen deutscher Kriegspoesien findet“ gehörten. Dass Heymann nicht nur als Lyriker und Essayist Talent besaß, belegen seine kurzen Erzählungen und Novellen, die unter dem Titel Das Tempelwunder, so auch der Titel einer Erzählung über die Weissagung des Johannes von der Geburt Jesu im jüdischen Tempel, 1916 publiziert wurden. Wie eng jüdische, volkstümliche und ostpreußische Motivkreise in Heymanns Werk verwoben waren, wird in dieser Sammlung noch einmal deutlich, beginnt sie doch mit einer Fischergeschichte von der Kurischen Nehrung. Das Affirmative der Kriegslyrik und das – besonders in der Tanne – ausgeprägt Vaterländisch-Volks­tüm­liche im lyrischen Werk müssen in ihren zeitgeschichtlichen Kontexten betrachtet werden, um den Blick dafür frei zu machen, dass Walther Heymann um 1910 einer der herausragenden Dichter und ein herausfordernder Essayist war.

Werke: (14 Gedichte in:) Adolf Petrenz (Hrsg.), Ostpreußisches Dichterbuch, Dresden 1905. – Der Springbrunnen. Gedichte, München 1907. – Nehrungsbilder, Königsberg 1909. – Zur Würdigung Oscar Wildes, in: Xenien. Eine Monatsschrift für literarische Ästhetik und Kritik. Jg. 4 (1911), Heft 1, S. 1-20. – Berliner Sezession 1911, in: Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste. Jg. 2 (1911/12), Nr. 63, S. 503-504; Nr. 65, S. 519-520; Nr. 67, S. 534-535; Nr. 68, S. 543. – Paul Scheinpflug, Sechs Gesänge zum Klavier für mittlere oder hohe Stimme. Op. 18. Zu Gedichten von Walther Heymann (Die Nachtigall, Vom Wege, Ohne Ruh, Verwandlung, Johannisfeuer, Widmung), Magdeburg 1912. – (1 Lied in:) Fritz Lissauer, Drei vaterländische Lieder. Für 1 Singstimme mit Klavierbegleitung. (Gerhart Hauptmann: Reiterlied; Walther Heymann: Ostpreußischer Landsturm; H. Zuckermann: Österreichisches Reiterlied), Berlin 1914. – Kriegsgedichte und Feldpostbriefe, München 1915. – Paul Scheinpflug, Den Hinterbliebenen! Für eine mittlere Singstimme mit Klavier, Magdeburg 1915. – Zum Verständnis neuerer Wortkunst, in: Das literarische Echo. Jg. 18 (1915/16), Heft 22, 15. August 1916, Sp. 1361-1372; Heft 23, 1. September 1916, Sp. 1439-1445. – Max Pechstein. Mit 4 Farbendrucken, 44 Netzätzungen nach Gemälden und 58 Strichätzungen im Text, München 1916. – Das Tempelwunder. Erzählungen, München 1916. – Die Tanne. Ein deutsches Volksbuch, München 1917. – Von Fahrt und Flug. Gedichte, München 1919. – Feldwache. Gedichte. Nebst Originallithographien von Willy Geiger, München [1922]. – (Auswahlausgabe:) Gedichte, Prosa, Essays, Briefe. Hrsg. von Leonhard M. Fiedler und Renate Heuer, Frankfurt a.M. 1998.

Lit.: Harry Schumann, Walter Heymann. Eine Monographie. Vorw. von Ernst Lissauer. Lötzen 1915 (Sonderausgabe der Altpreußischen Rundschau). – Heinrich Spiero, in: Deutsche Köpfe, Berlin 1926. – Goetz Otto Stoffregen, Walther Heymann, in: Ernst Jünger (Hrsg.), Die Unvergessenen, Berlin [u.a.] 1928, S. 141ff. – Renate Heuer, in: Neue deutsche Biographie 9 (1972), S. 90. – Helmut Motekat, Ostpreußische Lite­raturgeschichte mit Danzig und Westpreußen, München 1977, S. 359ff. – Paul Raabe, Die Autoren und Bücher des literarischen Expressionismus. Ein bibliographisches Handbuch. 2. Aufl., Stuttgart 1992, S. 217f. – Renate Heuer, Rekonstruktion der Biographie, in: W.H., Gedichte, Prosa, Essays, Briefe. Hrsg. von Leonhard M. Fiedler und Renate Heuer, Frankfurt a.M. 1998, S. 10-36. – Lexikon deutsch-jüdischer Autoren 11 (2002), S. 296-302. – Jens Stüben, „Wen die Nehrung geweiht hat, der taucht tiefer in alle Schächte“. Walther Heymanns Ästhetisierung der ostpreußischen Geschichtslandschaft, in: Literatur im Zeugenstand. Beiträge zur deutschsprachigen Literatur- und Kulturgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Hubert Orłowski. Hrsg. von Edward Bialek [u.a.], Frankfurt a.M. 2002, S. 257-281. – Hubert Orłowski, Landschaft und Natur als sinnstiftende Faktoren einer Regionalliteratur. Über Ostpreußens deutsche Literatur vor 1945, in: Sandra Kersten, Manfred Frank Schenke (Hrsg.), Spiegelungen. Entwürfe zu Identität und Alterität. Festschrift für Elke Mehnert, Berlin 2005, S. 293–314.

Bild: https://www.judeninostpreussen.de.

Axel Walter, 2017