„Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder“ – ein geflügeltes Wort und ein Evergreen, doch nur wenige kennen noch den Namen des Komponisten, dessen Melodien zu Beginn der 1930er Jahre Millionen Menschen bezauberten: Werner Richard Heymann. Er war der jüngste Sohn des Getreidegroßhändlers Richard Heymann (1850-1908) und seiner Gemahlin Johanna geb. Sommerfeld (1855-1913). Die alteingesessene Königsberger Familie, verwandt mit dem Bankier und Mäzen Moritz Simon, gehörte dem jüdischen Großbürgertum an. Anfang des 20. Jahrhunderts ließen sich jedoch viele Familienmitglieder, auch Werner Richard, evangelisch taufen. Im Elternhaus Heymanns wurden musische Interessen gepflegt. Der zweitälteste Sohn Walther machte sich einen Namen als expressionistischer Dichter. Werner Richard galt als Wunderkind, spielte mit fünf Jahren eigene Melodien auf dem Klavier, erhielt eine musikalische Ausbildung, u. a. Geigenunterricht, und spielte bereits 1908 im Philharmonischen Orchester Königsberg unter Paul Scheinpflug. Mit 16 Jahren – die Familie war kurz zuvor nach Berlin übergesiedelt – schuf er sein erstes symphonisches Werk, dem weitere klassische Kompositionen folgten. Der unerwartete Tod der Mutter bedeutete eine tiefe Zäsur im Leben des sensiblen Siebzehnjährigen. Fortan hielt er sich bevorzugt in den literarischen Cafés des Berliner Westens auf.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs legte Heymann 1914 das Notabitur ab. Dem Zeitgeist folgend, vertonte er einige patriotische Gedichte. Ein freiwilliger Kriegseinsatz als Sanitäter führte ihm jedoch die brutale Kriegswirklichkeit vor Augen. Als sein Bruder Walther 1915 fiel, wandelte er sich zum entschiedenen Pazifisten. Aus gesundheitlichen Gründen vom Kriegseinsatz freigestellt, kehrte er nach Berlin zurück und lebte in den nächsten Jahren eher dürftig als Pianist und Komponist (Vertonung von Gedichten des Bruders; Rhapsodische Sinfonie, uraufgeführt 1918 von den Wiener Philharmonikern). In jene Zeit fällt seine erste Ehe, die ebenso wie zwei weitere scheitern sollte.
In der Weimarer Republik explodierte das Berliner künstlerische Leben und entwickelte neue Ausdrucksformen. Auch Heymann beteiligte sich an diesem Neuaufbruch, etwa zusammen mit Friedrich Hollaender in Max Reinhardts Kabarett Schall und Rauch (1919) oder auf der Wilden Bühne Trude Hesterbergs, deren musikalischer Leiter er 1921 wurde. Durch die Vertonung diverser Kabarett-Chansons, u. a. von Klabund (OGT 1990), Walter Mehring und Kurt Tucholsky, und die Komposition populärer Bühnenmusiken wurde Heymann einem breiteren Publikum bekannt, sodass auch die Filmgesellschaft UFA auf ihn aufmerksam wurde und ihn 1926 zum Generalmusikdirektor ernannte. Zu vielen Stummfilmen, darunter Faust von Friedrich Wilhelm Murnau (1926) und Spione von Fritz Lang (1927), komponierte er die Begleitmusik. Der Durchbruch gelang ihm mit der Musik zu einem der ersten Tonfilme: Liebeswalzer („Du bist das süßeste Mädel der Welt“, 1929). In Zusammenarbeit mit dem Textdichter Robert Gilbert entstanden in rascher Folge Melodien für Filme wie Die Drei von der Tankstelle („Ein Freund, ein guter Freund“; „Liebling, mein Herz läßt dich grüßen“, 1930), Bomben auf Monte Carlo („Das ist die Liebe der Matrosen“, 1931), Der Kongress tanzt („Das gibt’s nur einmal“, 1931), Der Sieger („Hoppla, jetzt komm’ ich“, 1932) und Ein blonder Traum („Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bißchen Glück“, 1932), die – mit den Worten Robert Gilberts – „Ervolks-Lieder“ wurden (zit. nach Volker Kühn, in: „Ein Freund, ein guter Freund“, S. 32) und Künstlerinnen und Künstler wie Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann, Hans Albers und die Comedian Harmonists berühmt machten. Heymann und Gilbert schufen damit zugleich eine völlig neue Kunstform: die Tonfilm-Operette.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten markierte eine zweite Zäsur in Heymanns Leben. Trotz seiner jüdischen Abstammung suchten die neuen Machthaber den populären Komponisten mit einer Ausnahmegenehmigung in Deutschland zu halten, doch dieser wählte den Weg ins Exil, der ihn über Paris nach Hollywood führte. Auch in den Jahren nach 1933 blieb er ein gefragter Filmkomponist (z. B. Ninotschka mit Greta Garbo, 1939), der zwischen 1940 und 1944 mit vier Oscar-Nominierungen (One Million B.C., That Uncertain Feeling, To Be or Not to Be, Knickerbocker Holiday) gewürdigt wurde.
1951 kehrte er nach Europa zurück und ließ sich nach verschiedenen Zwischenstationen in Salzburg und München nieder. Dort fand er endlich auch privat in der Ehe mit der Schauspielerin Elisabeth Millberg (1922-2005) sein Glück. Die 1952 geborene Tochter Elisabeth Trautwein-Heymann pflegt heute das musikalische Erbe des Vaters. Heymanns Haus wurde zum Treffpunkt vieler früherer Kollegen. Er selbst versuchte, mit der Komposition der Filmmusik zu Heidelberger Romanze (mit Liselotte Pulver und O. W. Fischer, 1951), Alraune (mit Hildegard Knef, 1952) sowie zu Remakes der Filmhits der dreißiger Jahre und zur Bühnenfassung von Professor Unrat nach Heinrich Mann an die Vorkriegserfolge anzuknüpfen. Wenige Monate nach seinem 65. Geburtstag verstarb er an den Folgen eines Schlaganfalls und fand auf dem Münchner Waldfriedhof seine letzte Ruhestätte.
Heymann, der „ernste Komponist mit heiterer Note“ (Kühn, a.a.O., S. 7), der eher zufällig zur Unterhaltungsmusik fand, ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Seine Melodien aber sind unsterblich und wurden auch im Ausland teilweise zum Volksgut. Seit dem 30. Mai 2008 erinnert eine Gedenktafel an Heymanns letztem Wohnhaus vor dem Exil in Berlin, Karolinger Platz 5a, an den Künstler; am 3. September 2012 wurde er auf dem Boulevard der Stars am Potsdamer Platz in Berlin verewigt.
Werke: Werner Richard Heymann, „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“. Der erfolgreichste Komponist der UFA-Zeit erinnert sich, hrsg. v. Hubert Ortkemper, Mainz 2011 (mit Werkverzeichnis u. Tondokumenten auf CD). – Der künstlerische Nachlass wird im Werner-Richard-Heymann-Archiv der Akademie der Künste, Berlin, verwaltet.
Lit.: Maurus Pacher, Den gab’s nur einmal … Werner Richard Heymann, München 1996. – „Ein Freund, ein guter Freund“. Der Komponist Werner Richard Heymann (1896-1961). Katalog zur gleichnamigen Ausstellung der Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, hrsg. v. Helga Gutsche (Akademie-Fenster, Bd. 2), Berlin 2000 (mit Wiederabdruck von Originalquellen u. Werkverzeichnis). – Klaus Kreimeier, Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns, Frankfurt am Main 2002, passim. – Wolfgang Trautwein, Liebeswalzer an der Tankstelle. Werner Richard Heymann und die Begründung der Tonfilm-Operette, in: Operette unterm Hakenkreuz. Zwischen hoffähiger Kunst und „Entartung“. Beiträge einer Tagung der Staatsoperette Dresden, hrsg. v. Wolfgang Schaller, Berlin 2007, S. 61-75. – Ders., Werner Richard Heymann: Berlin, Hollywood und kein Zurück (Jüdische Miniaturen, Bd. 113), Berlin 2011. – Ders., Art. W. R. H., in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit. Online-Lexikon, https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson _00001203 (mit Bibliographie). – Neue Sterne für Berliner „Boulevard der Stars“, in: Die Welt, 29.8.2012, https://www.welt.de/ 108857884. – Art. H., W. R., in: International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933-1945. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. II/1, München u. a. 1983, S. 507. – Thomas L. Gayda, Art. H., W. R., in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 11, 2. erw. u. verb. Aufl., London, New York 2001, S. 475 f. – Marion Linhardt, Art. H., W. R., in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 8, 2. neubearb. Ausg., Kassel u. a. 2002, Sp. 1505-1507. – Art. W. R. H., in: https://www.filmportal.de/print/194805. – Vgl. außerdem https:// www.heymann-musik.de (mit Biographie u. Werkverzeichnis).
Bild: Werner Richard Heymann um 1960, in: „Ein Freund, ein guter Freund“, a.a.O., S. 70.
Christof Dahm