David Hilbert wurde in eine namhafte ostpreußische Juristen-dynastie hinein geboren; die Mutter entstammte einer Kaufmannsfamilie. Er besuchte in Königsberg das Friedrichskollegium und begann 18jährig das Studium der Mathematik an der Albertus-Universität zu Königsberg. Während der Schulzeit fiel er nach eigenem Bekunden nicht mit besonderen mathematischen Ambitionen auf. Doch stand wohl schon seinerzeit der Entschluss fest, dass er sich später eingehend mit der Mathematik befassen wollte.
Eine enge Freundschaft und auch sachliche Beziehung ergab sich mit dem jüngeren Kommilitonen Hermann Minkowski. Minkowski, der in jungen Jahren starb, widmete Hilbert einen bewegenden Nachruf. Auch der Ordinarius Ferdinand Lindemann, vor allem aber der Extraordinarius Adolf Hurwitz beeinflussten Hilberts frühe Fragestellungen. Nach der Promotion unternahm er eine längere Studienreise, unter anderem zu Felix Klein in Leipzig, der ihn als Ausnahmebegabung erkannte; von dort wechselte Hilbert nach Paris, wo er unter anderem mit Poincaré, Camille Jordan und anderen in engen wissenschaftlichen Austausch kam. Es folgte 1886 die Habilitation über Invariantentheorie, die ihn zunächst zum Privatdozenten und dann zum Extraordinarius in Königsberg avancieren ließ. Nach der Berufung heiratete er Käthe Jerosch, eine Cousine 2. Grades. Das Paar hatte einen gemeinsamen Sohn. 1895 erreicht Hilbert dann das Ziel seiner Laufbahn: die Berufung auf das Ordinariat für Mathematik an der Universität Göttingen. Sein Lehrstuhl erwarb sich im Lauf der nächsten 40 Jahren die internationale Ausstrahlung eines „Mekka der Mathematik“. Bereits die Berufung Hilberts hatte einen programmatischen Aspekt: In der Folge von Gauß und Riemann sollte in Göttingen Mathematik und Physik zu neuem Glanz gebracht werden. Felix Klein war im Hintergrund an der von Kultusminister Althoff betriebenen Berufung maßgeblich beteiligt.
Durch den Sohn Franz fiel ein Schatten auf Hilberts Biographie: Der Sohn litt wohl unter einer psychischen Störung und scheiterte in verschiedenen Berufen wie Hilfsgärtner und Buch-händler. Er hatte Teufels- und Dämonenvisionen und musste mehrfach in der Psychiatrie behandelt werden. Dabei gab es auch böse Gerüchte um den Verwandtschaftsgrad zwischen Hilbert und seiner Frau. Hilbert verstieß den Sohn. Doch insistierte die Mutter darauf, dass er im Haus blieb. Auf den Fotografien des 60. und 75. Geburtstags des Großordinarius ist Franz zu sehen. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.
Hilbert benötigte einige Zeit, ehe er sich, der von dem liberalen Königsberger Geist tief geprägt war, in dem engeren akademisch fokussierten Göttingen heimisch fühlte. Dennoch trug er dauerhaft zum hohen Rang der Göttinger Universität bei. Mehrere, teils namhafte Rufe nach Leipzig, Berlin, Heidelberg schlug er aus und blieb in Göttingen.
Als akademischer Lehrer ist Hilbert nach dem Zeugnis seiner Schüler von hoher Sachlichkeit geprägt gewesen. Er habe für die Studenten gelesen, nicht für sich; nicht Brillanz, höchstmögliche Klarheit war sein Ziel. Zugleich wird aber auch berichtet, dass Hilberts eigenes mathematisches Können so umfassend gewesen sei, dass selbst seine prominenten Hörer ihm nicht immer folgen konnten und auf die konventionellen Lehrbücher angewiesen blieben.
Hohe Auszeichnungen unterstrichen den Rang, den Hilbert innerhalb und außerhalb der Mathematiker-Zunft einnahm: Er wurde im Jahr 1900 Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, 1903 Korrespondierendes Mitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. Von 1902-1939 ist er Mitherausgeber der Mathematischen Annalen, des damals führenden Organs der Mathematiker Deutschlands. Seine Rede Naturerkennen und Logik, die er im September 1930 auf dem Kongress der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte hielt, zog eine philosophische Bilanz seines Werkes. Von ihr wurde eine Schallplatte gepresst, die Hilberts Stimme für die Nachwelt festhält. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die erzwungene Emigration seiner jüdischen Schüler traf Hilbert schwer. „Das Institut – das gibt es doch gar nicht mehr“, hat er auf Nachfragen erwidert.
Im Bereich der algebraischen Geometrie leistete Hilbert, ausgehend von seinen beiden akademischen Qualifikationsschriften grundlegende Beiträge zur Verbindung von Geometrie und Algebra. Ihm gelang in jungen Jahren die Lösung der Grundprobleme der Invariantentheorie, die der Großmeister der Disziplin, Paul Gordan aus Erlangen, für unlösbar gehalten hatte. Gordan musste das Verdienst Hilberts anerkennen, fügte aber hinzu: „Das ist keine Mathematik, sondern Theologie!“.
Hilbert suchte in einer Zeit, in der sich durch Frege die Logik von der Normalsprache ablöste, die Geometrie von der Euklidischen Anschaulichkeit zu lösen. Es ging ihm um strikte axiomatische Begründung, die ihm in seinen Grundlagen der Geometrie 1899 durch die Entwicklung eines vollständigen Axiomensystems für die Euklidische Geometrie gelang. Begriffe wie „Punkt“, „Gerade“, „Ebene“ werden dabei von aller Anschaulichkeit getrennt; man könne, soll er bemerkt haben, auch „Tische, Stühle oder Bierseidel“ sagen. Allein auf die Axiomatik kommt es an. So ging es Hilbert um Mathematik als Strukturzusammenhang und um das formale regelgeleitete Spiel. Er löste gleichsam mit den formalen Mitteln, die seiner Zeit zur Verfügung stand, die Platonische Forderung nach einer nicht auf Objekte, sondern die eidetische Gegebenheit bezogenen Mathematik ein.
War spätestens damit Hilberts Internationaler Rang etabliert, so machte er auf dem Zweiten Internationalen Mathematikerkongress in Paris im August 1900 dadurch von sich reden, dass er, entgegen allen Erwartungen, nicht die mathematischen Forschungsleistungen der Vergangenheit resümierte, sondern 23 ungelöste mathematische Probleme aus den unterschiedlichen Bereichen von der Geometrie bis zu Topologie und Algebra benannte und 10 von ihnen exponierte und detailliert vortrug. Er gab damit mehreren nachfolgenden Mathematikergenerationen die Agenda vor. Mittlerweile gelten 15 der 23 Probleme als gelöst, 3 als ungelöst und 5 als prinzipiell unlösbar: allen voran der Anspruch, einen Beweis für die Widerspruchsfreiheit der Axiome der Arithmetik liefern zu können (Hilberts 2. Problem). Es war die Leistung von Kurt Gödel gezeigt zu haben, dass es Sätze gibt, die weder beweisbar noch widerlegbar sind: Dies zeigte Gödel in seinem Unvollständigkeitssatz.
Hilbert lehnte jeden intuitionistischen Weg ab, wie ihn Brouwer wählte und Hilberts eigener Meisterschüler Hermann Weyl vertraten. Er berief sich stattdessen auf das Ziel, „die Mathematik sicher zu begründen“. So schrieb er: „Ich möchte der Mathematik den alten Ruf der unanfechtbaren Wahrheit, der ihr durch die Paradoxien der Mengenlehre verlorenzugehen scheint, wiederherstellen; aber ich glaube, dass dies bei voller Erhaltung ihres Besitzstandes möglich ist“. Das Hilbert-Programm zielte auf nicht weniger als die vollständige Herleitung der Mathematik aus einem widerspruchsfreien Axiomen-system. Auch wenn dieser Traum, eben durch den Gödelschen Unvollständigkeitssatz zerbrach, hielt Hilbert an der Maxime fest, die auch auf seinem Grabstein in Göttingen zu lesen ist: „Wir müssen wissen und wir werden wissen“. Unlösbare Probleme gebe es im Grunde nicht. Dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass er das Jahr 1900 mit einem Ausblick auf die neuen Probleme, ein „Plus ultra!“ verband und mit ungeheurem Arbeitsethos an dessen Einlösung mitwirkte. Das „Ignora-bimus“ ließ er nicht gelten. „Diese Überzeugung von der Lösbarkeit eines jeden mathematischen Problems ist uns ein kräftiger Ansporn während der Arbeit; wir haben in uns den steten Zuruf: Da ist das Problem, suche die Lösung. Du kannst sie durch reines Denken finden; denn in der Mathematik gibt es kein Ignorabimus“.
Seit etwa 1912 widmete sich Hilbert vor der Folie seiner provokanten Auffassung, dass die Physik für Physiker im Grunde zu schwierig sei, den Grundlagen mathematischer Physik. Sein Schüler Richard Courant edierte wesentlich aus den Vorlesungen Hilberts ein unter dem Kürzel Courant/Hilbert veröffentlichtes Grundlagenwerk, das für die mathematische Formulierbarkeit der immens expandierenden Physik, vor allem im Feld der Quantenmechanik, das fundamentale Werkzeug bereitstellte. In Göttingen verfolgte Hilbert die einschlägigen Entwicklungen im Einzelnen mit. Er arbeitete mit einem eigenen physikalischen Assistenten und auch mit dem späteren Pionier der Informatik, John von Neumann, eng zusammen.
Im Zusammenhang seiner Studien über die mathematischen Grundlagen der Physik hat Hilbert den Versuch unternommen, die beiden Naturkräfte, Gravitation und Elektromagnetismus, in einer einheitlichen Theorie zu erfassen. Hilbert präsentierte seine Lösung der Gravitationsgleichungen in einem Göttinger Vortrag am 16. November 1915 und reichte den Text unter dem Titel Die Grundlagen der Physik fünf Tage später bei der Göttinger Akademie der Wissenschaften ein. Einstein war von Hilbert persönlich zu diesem Vortrag eingeladen worden, kam aber nicht nach Göttingen und ließ sich nur das Hilbertsche Manuskript senden. Er sah darin die Lösung des Problems, an dem er seit Jahren gemeinsam mit Karl Grossmann vergeblich gearbeitet hatte. Den Wettlauf um die Präsentation der Allgemeinen Relativitätstheorie gewann Einstein. Obwohl die genauen Konstellationen nach wie vor in der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung umstritten sind, ist die Annahme plausibel, dass Einstein die Gleichungen seiner Theorie eingliederte und den Traktat am 25.11.1915 der Berliner Akademie einreichte. Die Publikation erfolgte deutlich schneller als jene des Hilbertschen Traktates. Zwar gab es keinen öffentlichen Prioritätenstreit, und es kam zu rascher Aussöhnung zwischen beiden. Hilbert blieb sich aber sehr wohl der Ersturheberschaft bewusst und bestand auch auf ihr. Es kam zu einer Entschuldigung Einsteins, der aber öffentlich unangefochten den alleinigen Ruhm für sich beanspruchen konnte. Die Wissenschaftshistorie verweist heute zu Recht auf die Ironie der Geschichte, dass seinerzeit keine Notwendigkeit gesehen wurde, die beiden physikalischen Grundkräfte zu vereinigen, was Einstein unterlassen hatte, was aber heute gerade die Ambition physikalischer Grundlagenforschung, etwa in der Stringtheorie, ist. Damit kommt Hilbert eine umso größere und bleibendere Bedeutung zu.
Im persönlichen Ethos folgte Hilbert einer Kantischen Sittlichkeit. Sie verband sich mit Toleranz, und der Abwehr von chauvinistischen oder antisemitischen Versuchungen des Zeitgeistes. So blickte er über Grenzen seiner Zeit hinaus: Die hochbegabte Emmy Noether erreichte sogar die Habilitation. Vorbereitet war dies durch Hilberts Eintreten für das Studium von Frauen. Jedes vernunftbegabte Wesen war nach Hilbert unabhängig von Glaube oder Geschlecht befähigt, Mathematik zu erlernen.
Hilberts Tod blieb in Deutschland weitgehend unbemerkt. Kaum ein Dutzend Menschen soll an seinem Begräbnis teilgenommen haben; seine Witwe starb zwei Jahre später in völliger Einsamkeit. In Amerika hingegen, wo viele seiner Schüler wirkten, erschienen eingehende Nachrufe und Würdigungen, unter anderem von Weyl und es fanden Gedenkveranstaltungen statt.
Werke: Grundlagen der Geometrie, Leipzig 1903. – Die Grundlagen der Physik, Göttingen 1915. – Grundzüge einer allgemeinen Theorie der linearen Integralgleichungen, Berlin 1912. – Gesammelte Abhandlungen, Band I: Zahlentheorie, Berlin 1932. Band II: Algebra, Invariantentheorie, Geometrie. Berlin 1933. Band III: Analysis. Grundlagen der Mathematik, Physik, Verschiedenes, Lebensgeschichte. Berlin 1935. – Gemeinsam mit W. Ackermann, Grundzüge der theoretischen Logik, Berlin 21938.
Lit.: Dietmar Dath, Höhenrausch. Die Mathematik des 20. Jahrhunderts in zwanzig Gehirnen, Frankfurt/Main 2003. – Constance Reid, Hilbert, Berlin 21972. – Kurt Reidemeister (Hrsg.), Hilbert-Gedenkband, Heidelberg/New York 1971. – Klaus P. Sommer, Wer entdeckte die Allgemeine Relativitätstheorie? Prioritätsstreit zwischen Hilbert und Einstein, in: Physik in unserer Zeit 36, 5, 2005, S. 230 ff.
Bild: https://www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/PictDisplay/Hilbert.html.
Harald Seubert