Biographie

Hippel (d.J.), Theodor Gottlieb von

Herkunft: Ostpreußen, Posener Land, Westpreußen
Beruf: preußischer Staatsrat, Regierungspräsident
* 13. Dezember 1775 in Gerdauen/Ostpr.
† 10. Juni 1843 in Bromberg

Als Neffe und Adoptivsohn des Dirigierenden Bürgermeisters von Königsberg Theodor Gottlieb von Hippel (1741 -1796), des auserlesenen Tischgenossen I. Kants und Intimfreundes J. G. Hamanns und J. G. Scheffners, hat der Bromberger Rat gleichen Namens die für seine Zeit wichtigsten Sprossen im Verwaltungs- und Regierungsapparat Preußens erklommen; er blieb jedoch, motiviert durch persönliche Lauterkeit und eine überdurchschnittliche Intelligenz, die ihn zeitlebens zur Unterscheidung zwischen Pflichten und Ehren befähigten, ein Mensch, der nie in den Vordergrund drängte, sondern aus der „zweiten“ Reihe ratend und helfend zu wirken suchte.

Theodor Gottlieb von Hippel, den man, um ihn vom berühmten gleichnamigen Königsberger Kriegsrat, Stadtpräsidenten und anonym schreibenden Verfasser des BuchsÜber die Ehe und der Lebensläufe nach aufsteigender Linie zu unterscheiden, im nachhinein den Jüngeren genannt hat, wurde als Sohn des lutherischen Pfarrers Gotthard Friedrich im ostpreußischen Gerdauen geboren. Die ersten zehn Jahre verlebte er im stillen Pfarrhaus der Eltern in Arnau, bis ihn der unverheiratete, inzwischen zum Oberbürgermeister der Landeshauptstadt aufgestiegene Oheim an Sohnes statt zu sich nahm und nach strengen Erziehungsprinzipien ganzheitlich auszubilden trachtete. Auf diese Weise kam er schon in früher Jugend mit den ortsansässigen Größen Kant, Hamann, Scheffner und Kraus in Berührung. Seine wichtigste Bekanntschaft wurde indessen der Nachbarjunge in der Junkergasse, der in der Folge zu musikalischem und dichterischem Weltruhm gelangende genialische E.Th.W. (A.) Hoffmann, mit dem ihn trotz dessen chaotischer Charakteranlage über Jahrzehnte eine schwärmerische Freundschaft verband, die einen tiefen Niederschlag in einem beiderseitigen Briefwechsel erfuhr. Mit sechzehn Jahren begann von Hippel, weiterhin unter peinlichster Aufsicht des Oheims, ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der Alma mater Albertina, wo er Kant und Kraus hörte. Bereits als Neunzehnjähriger trat er als Auskultator bei der Regierung in Marienwerder ein, wurde 1796 Referendar und anschließend, nach bestandener großer Staatsprüfung, Beamter in verschiedenen Verwaltungsstellungen. Schon 1798 war er ritterschaftlicher Deputierter im Landtag in Königsberg und ein Jahr später Land- und Kreisjustizrat mit Sitz und Stimme in der Kriegs- und Domänenkammer zu Marienwerder. 1798 heiratete er die noch nicht vierzehnjährige Jeannette von Rosenberg-Gruszynski, Tochter eines königlich polnischen Generals, die ihm neun Kinder schenken sollte. Der Onkel, der im April 1796 gestorben war, hinterließ ihm neben dem Adelsprädikat, einer ansehnlichen Bibliothek und einer herrlichen Gemäldesammlung alter Meister eine Erbschaft von rund 100000 Talern, allerdings mit der Bestimmung, daß das Vermögen durch ein Kuratorium überwacht und als Fideikommiß der Familie in Landgütern angelegt werde. Da er aber keine Begabung für die Verwaltung landwirtschaftlicher Güter besaß und diese ihn in der Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben störte, war der ihm zugefallene Grundbesitz bald schwer verschuldet; zudem trug ihm das Hinundhergerissensein zwischen Stadt- und Landleben eine lebenslang anhaltende Hypochondrie ein. Andererseits entwickelte er bereits um diese Zeit, darin dem Beispiel des Onkels folgend, eine bedeutende soziale und kulturelle Tätigkeit. So setzte er sich hilfreich für die Belange der ihm auf seinen Gütern Untergebenen ein, wie er sich überhaupt allgemein um die preußische Landbevölkerung sorgte. 1797 trat er in die Marienburger Freimaurerloge „Viktoria zu den drei gekrönten Türmen“ ein, 1803 wurde er Mitbegründer der Loge „Zur goldenen Harfe“ in Marienwerder. Des weiteren beschäftigten ihn vielerlei schriftstellerische Entwürfe, die vom empfindsamen Gedicht über politische und sozialkritische Traktate bis zur Logenrede reichten, die er jedoch, auch darin das Beispiel des Onkels beachtend, in der Regel nicht veröffentlichte. Um sich ganz seinen Gütern zu widmen, verließ er 1804 den Staatsdienst, doch wurden seine Vorsätze durch die napoleonischen Kriege, welche er mit Bangen vorausgesehen, zunichte gemacht. Mißernten, Naturkatastrophen, Einquartierungen, Requirierungen, Verwüstungen durchs Militär, Seuchen zerstörten seinen Besitz vollends. Dennoch bekundete von Hippel unter Einsatz seiner Person und des verbliebenen Vermögens einen seltenen patriotischen Edelmut. So erwarb er nach der Niederlage von Jena 1806 in staatlichem Auftrag 5000 Pferde, kaufte das von den Franzosen beschlagnahmte Salz auf eigene Kosten zurück, richtete den Kreis Marienwerder als großangelegten Lazarettplatz ein und verwendete sich für notleidende Soldatenfamilien. Zum andern führte er in der Kammer diskret einen verbissenen Kampf gegen die drückenden feindlichen Requirierungen; er plante eine Reform der Heeresverfassung sowie die landesweite Aufstellung einer Bürgerwehr, alles mit der geheimen Hoffnung, daß die Zeit heranreifen werde, in der Preußen und die deutschen Lande allesamt in der Lage wären, sich gegen die fremden Besatzer zu erheben. Dazu half er bis zum endgültigen Frieden bei der Gründung zahlreicher Feldlogen, für die er weiterhin Maurerreden verfaßte. Im September 1807 entwarf er einen flammenden Aufruf an die deutsche Jugend, den damals freilich niemand zu drucken wagte.

Durch all dieses Wirken zog von Hippel die Aufmerksamkeit der wichtigsten politischen Verantwortlichen, nämlich Steins und Hardtenbergs, sowie Scharnhorsts, Gneisenaus und Clausewitzens, auf sich. Man rief ihn in den Staatsdienst zurück, ernannte ihn zum Landschaftsdirektor, anläßlich der Rückkehr der königlichen Familie nach Berlin zum Staatskommissar, zum Repräsentanten bei der Regierung, zum ständischen Mitglied einer neueingerichteten Notabelnversammlung, ja man trug ihm auf Vorschlag des Innenministers Graf Dohna den Posten des Kammerpräsidenten an, den er jedoch ausschlug. Seit 1811 kann er als enger Mitarbeiter des zum Staatskanzler aufgestiegenen Hardenberg angesehen werden, der ihn unbedingt als Vortragenden Rat in seinem Kabinett haben wollte. Wenn von Hippel auch dessen Staatsreformen nicht in allem vorbehaltlos bejahte, so wurde er ihm doch als Verbindungsmann zur Provinz unentbehrlich. Er entwarf Pläne und Denkschriften zur Reorganisation der Erziehung, der Volksbildung und der Landesuniversitäten, zu einem verbesserten Steuerwesen, schrieb über die künftige Außenpolitik.

Als einer der Ersten erkannte der vielfach Tätige die Schwächen der französischen Armee, so daß er es immer mehr als seine hauptsächliche Aufgabe ansah, das Reich psychologisch auf eine kommende Erhebung vorzubereiten. Er war es auch, der schließlich den von Gneisenau unterstützten Vorschlag machte, der Monarch möge sich in einer öffentlichen Rede an das Volk wenden. Man übertrug ihm daraufhin den Entwurf eines Textes, dem Friedrich Wilhelm III. am 17. März 1813 mit einigen Änderungen den berühmt gewordenen Titel An mein Volk gab und der drei Tage später als Kriegsmanifest im Druck verbreitet wurde. Heinrich von Treitschke hat dazu gesagt: „So hatte noch nie ein unumschränkter Herrscher zu seinem Lande geredet. Ein Hauch der Freiheit, wie er einst die äschyleischen Kriegslieder der Hellensöhne erfüllte, wehte durch die schlichten, eindringlichen Worte, die der geistvolle Hippel in guter Stunde entworfen hatte.“ Während des anschließenden Feldzugs gelang es Hippel des weiteren, durch eine Verordnung zu der vom König am 10. März ins Leben gerufenen Stiftung des Eisernen Kreuzes die Anbringung von Gedenktafeln zu Ehren der gefallenen Kriegshelden in sämtlichen Gotteshäusern Preußens zu bewirken. Mit den verbündeten Heeren zog er 1814 in Paris ein, bat jedoch nach Friedensschluß wiederum um seine Entlassung. Hardenberg erreichte es indessen, daß er die Stelle eines Vizepräsidenten, dann eines Chefpräsidenten bei der Westpreußischen Regierung in Marienwerder annahm, wo er die Verwaltung neu ordnete. Später wirkte er bis 1837 als Regierungspräsident in Oppeln. Während dieser Jahre unterhielt er weiterhin eine rege Logentätigkeit, indem er an fast allen bedeutenden Orten, an denen er weilte, als Redner, Meister vom Stuhl oder Ehrenvorsitzender amtierte und einen Teil seiner Maurerreden veröffentlichte, u.a. 1842 Gelegenheitsworte, in verschiedenen Freimaurer-Logen gesprochen. Im Maurerbund sah er – wie sein Onkel – „eine geheime Ehrenlegion, welche die Unverletzbarkeit des Staates und seiner Verfassung und die Ehrfurcht gegen das Oberhaupt desselben nicht bloß beschwört, sondern durch die Tat zu besiegeln bereit ist“. In diesem Sinne ließ er 1838 Beiträge zur Geschichte Friedrich Wilhelms III. und drei Jahre später Beiträge zur Charakteristik Friedrich Wilhelms III. erscheinen. Dieselbe edle Gesinnung bestimmte ihn – hier sich unmißverständlich vom Antisemitismus des Onkels distanzierend —, als einer der Ersten im Preußen des 19. Jahrhunderts tatkräftig für eine Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden einzutreten. Sein Memorandum Vorwärts oder rückwärts in der Juden-Emanzipation (1842) trug wesentlich dazu bei, dieser bis dahin gesellschaftlich benachteiligten Volksgruppe den Zugang zu den höheren Verwaltungs- und Militärämtern zu ermöglichen. Zudem schenkte er der Stadt Königsberg, als sein Landbesitz nach 1835 der Zwangsversteigerung anheimfiel, die Gemäldesammlung des Oberbürgermeisters, die bis zum Untergang 1944 ein Glanzstück der Schausammlungen der Hauptstadt Ostpreußens ausmachte.

Seine letzten Jahre verbrachte Hippel in Bromberg. Auf dem alten evangelischen Friedhof, der heute verschwunden ist, fand er seine letzte Ruhestätte. Um die Jahrhundertwende errichtete ihm die Stadt ein Denkmal.

Joseph Kohnen