Biographie

Hobrecht, Arthur

Herkunft: Westpreußen, Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Kommunalbeamter, Minister
* 14. August 1824 in Kobiertschyn, Kr. Preußisch Stargard
† 7. Juli 1912 in Berlin

Gleich für zwei Berliner Oberbürgermeister hintereinander war Breslau ein „Sprungbrett“ für Berlin: Arthur Hobrecht amtierte 1863-1872 als Oberbürgermeister von Breslau, bevor er anschließend nach Berlin berufen wurde, und Max v. Forcken­beck leitete als sein Nachfolger seit 1873 die Geschicke der schlesischen Hauptstadt, bevor er 1878 zum Oberbürgermeister der Reichshauptstadt ernannt wurde. Eine solche doppelte Nachfolge in zwei so hohen Ämtern dürfte es in der deutschen Verwaltungsgeschichte kaum noch einmal gegeben haben.

Arthur Hobrecht stammte aus Ostdeutschland, mit dem er zeitlebens in Verbindung blieb. Am 14. August 1824 als Sohn eines Gutsbesitzers in einem kleinen Dorf des westpreußischen Kreises Preußisch Stargard, etwa 40 km südlich von Danzig, geboren, besuchte er das Collegium Fridericianum und das Alt­städtische Gymnasium in Königsberg, wo er auch sein Jurastudium begann, das er in Leipzig fortsetzte und in Halle abschloss. Diese beiden Universitätsstädte bildeten in seiner beruflichen Laufbahn die „westlichsten“ Orte, was für preußische Beamte von damals sehr ungewöhnlich war, da sie in der Regel einige Jahre sowohl in den Westen als auch in den Osten versetzt wurden, um die gegensätzlichen Teile des Landes kennenzulernen. Hobrecht begann seinen Justizdienst 1844 zwar in Naumburg, was ja kaum „westlicher“ liegt als Halle, doch bereits die nächsten Stationen seiner Beamtenlaufbahn lagen wieder „im Osten“, und zwar als Gerichtsreferendar in Elbing, Braunsberg und Marienwerder. Im Jahre 1846 trat er in die Verwaltung über und wurde während der Typhusepidemie in Oberschlesien 1847/48 mit der Verwaltung des Landratsamtes in Rybnik betraut. Wahrscheinlich bildete sich dort bei ihm ähnlich wie bei Rudolf Virchow, der damals im Auftrag der Regierung die Ursachen dieser Epidemie untersuchen sollte, eine sehr antikatholische Einstellung, die er sein Leben lang, insbesondere während des Kulturkampfes, beibehielt. Nachdem Hobrecht anschließend bis Ende 1849 auch das Landratsamt in Grottkau kommissarisch geleitet hatte, wurde er von Schlesien 1850 nach Posen versetzt, wo er drei Jahre als Regierungsassessor tätig war. Von dort kehrte er nach Oberschlesien zurück, und zwar nach Gleiwitz, wo er 1853-1856 als „Spezialkommissarius“ amtierte. Für weitere vier Jahre berief man ihn anschließend wieder in seine westpreußische Heimat, nämlich an die Bezirksregierung in Marienwerder.

Wahrscheinlich hatte sich Arthur Hobrecht in seinen bisherigen Stationen so gut bewährt, dass man ihn 1860 als Referent ins preußische Innenministerium holte. Auch hier blieb er nur wenige Jahre, bis er im Februar 1863 auf Vorschlag des Innenministers Maximilian Graf v. Schwerin-Putzar vom Magis­trat der schlesischen Hauptstadt zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Diese Wahl erregte deswegen großes Aufsehen, da Hobrecht über den bisherigen Amtsinhaber Julius Elwanger mit 61 von 99 Stimmen haushoch siegte. Mit 38 Jahren war der westpreußische Jurist einer der jüngsten Oberbürgermeister Deutschlands. In den neun Jahren seiner Amtszeit erlebte Breslau den Übergang in das Kaiserreich und den Anstieg seiner Bevölkerung von etwa 140.000 Einwohnern um mehrere zehntausend auf etwa 220.000 Einwohner. Besondere Verdienste erwarb sich Hobrecht um die Erschließung neuer Wohngebiete und um die Verbesserung der Infrastruktur. Da er energisch für eine konfessionslose Schule eintrat, hatte er harte Auseinandersetzungen mit den konservativen Kräften der Stadt zu bestehen. Allgemein aber erfreute er sich großer Beliebtheit, so dass die Breslauer ihn ungern scheiden ließen. Sie benannten nach ihm eine Uferstraße, die an der Tiergartenstraße begann und bis zur Fürstenbrücke führte („Hobrechtufer“), und ebenso eine gewaltige Eiche, die zwischen Fürstenbrücke und Passbrücke stand.

Der „Sprung“ von Breslau nach Berlin im Jahre 1872 bedeutete für Arthur Hobrecht ähnlich wie für seinen Nachfolger v. Forckenbeck eine große Ehre. Auch hier konnte er sich bei der Verwirklichung seiner kommunalpolitischen Ziele ähnlich wie in Breslau auf eine vom liberalen Bürgertum getragene Stadtverordnetenversammlung stützen, der so bedeutende Köpfe des Freisinns wie Rudolf Virchow, Franz Duncker und Rudolf Gneist angehörten. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder, dem Baurat James Hobrecht (1825-1902), wollte der Oberbürgermeister nach dem Vorbild von Paris die Reichshauptstadt mit großen Boulevardringen und eingeschalteten Sternplätzen umbauen, womit beide jedoch auf großen Widerstand nicht nur in der Bevölkerung stießen. Auch als Befürworter einer Loslösung der Großstadt aus der Provinz Brandenburg und der Bildung einer eigenen Provinz „Groß-Berlin“ fand Hobrecht kaum Zustimmung. Von Erfolg gekrönt waren dagegen ähnlich wie in Breslau seine Bemühungen um die Verbesserung der Infrastruktur, insbesondere um den Ausbau der Kanalisation. Da der Oberbürgermeister eng mit seinem Bruder James zusammenarbeitete, lässt sich schwer ermessen, wer von beiden die größeren Verdienste um die Entwicklung der Reichshauptstadt aufzuweisen hat. In der „Hobrechtstraße“ im Bezirk Neukölln sind eben beide tüchtigen Brüder, die auch zu Ehrenbürgern von Berlin ernannt wurden, verewigt.

Als Oberbürgermeister der preußischen und der Reichshauptstadt war Arthur Hobrecht verständlicherweise bald weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden. Als Bismarck im März 1878 einen Nachfolger für den Finanzminister Otto v. Camphausen suchte, entschied er sich bald für den bewährten nationalliberalen Kommunalpolitiker Hobrecht, der dieses Amt jedoch kaum eineinhalb Jahre bekleidete. Der Grund für diese kurze Amtsdauer war ein innenpolitischer: Im Sommer 1879 kam es zu einem offenen Bruch des Reichskanzlers mit den Nat­io­nalliberalen, die seine Politik bisher unterstützt hatten. Mit ihm legten auch die beiden aus Schlesien stammenden Mi­ni­ster Adalbert Falk (Kultus) und Rudolf Friedenthal (Landwirtschaft) ihre Ämter nieder.

Doch zog sich Hobrecht längst nicht von der Politik zurück. Aus dem bewährten Verwaltungsbeamten wurde nun ein ebenfalls rasch aufsteigender Parlamentarier. Noch im Sommer 1879 zog er für den westpreußischen Wahlkreis Berent-Preu­ßisch Stargard (südlich von Danzig) in das Preußische Abgeordnetenhaus ein, in dem er bereits sechs Jahre später zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde. Es spricht für seine Fähigkeiten und sein Ansehen, dass er diesen verantwortungsvollen Posten bis zu seinem Tode im Jahre 1912, also ganze 27 Jahre, bekleiden konnte. Darüber hinaus fungierte er seine vier letzten Lebensjahre auch als Alterspräsident dieses preußischen Landesparlamentes.

Doch scheint der Vollblutpolitiker Hobrecht mit dem Landtagsmandat nicht ausgelastet gewesen zu sein. Bei der Wahl zum 5. Reichstag im Herbst 1881 kandidierte er ebenfalls in seiner westpreußischen Heimat und gewann das Mandat für den Wahlkreis Stuhm-Marienwerder, den er aber bei der nächsten Wahl dem Kandidaten der Reichspartei, dem Posener Oberbürgermeister Waldemar Müller, überlassen musste. Als nach dem Tod des polnischen Reichstagsabgeordneten Ignaz v. Lyskowski im national hart umkämpften westpreußischen Wahl­kreis Graudenz-Strasburg eine Nachwahl anstand, kandidierte Hobrecht noch einmal und besiegte den polnischen Gegenkandidaten. Während er sein Mandat auch bei der Wahl zum 7. Reichstag im Februar 1887 zu behaupten vermochte, schaffte er das bei der nächsten (1890) dagegen nicht mehr. Auch einem dritten Parlament, nämlich dem Preußischen Herrenhaus, gehörte er noch an, und zwar 1865-1878 nacheinander als Oberbürgermeister der Städte Breslau und Berlin.

Von Hobrechts weiteren Ämtern seien nur zwei genannt: Vorsitzender der Nationalliberalen Partei (1891-1898) und Mitglied des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft Nationalzeitung (1890-1904). Im Jahre 1891 zählte er zu den Mitbegründern des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Es ist immerhin erwähnenswert, dass der wegen seiner Klugheit, seiner Bildung und Liebenswürdigkeit angesehene Politiker nebenbei noch Zeit fand, sich schriftstellerisch zu betätigen. Er schrieb einen zweibändigen historisch-politischen Roman, der 1885 unter dem Titel Fritz Kannacker erschien. Darüber hinaus verfasste er zusammen mit seinem dritten Bruder Max (1827-1899) Altpreußische Geschichten, die 1882 gedruckt wurden. Dieser Bruder betätigte sich übrigens ebenfalls politisch: Als Achtundvierziger musste er ins Ausland fliehen, ließ sich nach seiner Rückkehr als Geschäftsmann im brandenburgischen Rathenow nieder, amtierte dort lange Jahre als Stadtverordnetenvorsteher und vertrat 1873-1876 – wie sein Bruder Arthur als Nationalliberaler – den Wahlkreis Westhavelland im Preußischen Abgeordnetenhaus. Ebenso wie seine beiden Brüder Ar­thur und James in Breslau bzw. Berlin, so wurde auch Bruder Max zu einem Ehrenbürger gewählt, und zwar in Rathenow.

Zusammenfassend lässt sich von Arthur Hobrecht, der am 7. Juli 1912 in Berlin starb, sagen, dass er als bedeutender Kommunalpolitiker wesentlich die Entwicklung der preußischen Großstädte Breslau und Berlin mitbestimmt hat und als führender nationalliberaler Abgeordneter zu den bedeutenden Parlamentariern des Kaiserreiches zu zählen ist. Erwähnenswert ist eine verwandtschaftliche Besonderheit: In Berlin arbeitete Arthur Hobrecht mit seinem Bruder James zusammen und auf dem literarischen Sektor mit seinem Bruder Max. Dass drei Brüder zu Ehrenbürgern deutscher Städte gewählt wurden, das hat es wohl nicht ein zweites Mal gegeben.

Lit.: Ernst Kaeber, Die Oberbürgermeister Berlins seit der Steinschen Städteordnung, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte Berlins 1952, S. 53-114, dort S. 76-80. – Altpreußische Biographie, Bd. 1, 1941, S. 278-279 (Arthur Hobrecht), Bd. 3, 1975, S. 956-957 (James Ho-brecht). – NDB, Bd. 9, 1972, S. 280-281. – Deutsches Literatur-Lexikon, 3. Aufl., Bd. 3, 1979, S. 1270. – Klaus Schwabe (Hrsg.), Oberbürgermeister, Boppard 1981, Reg. – Bernhard Mann u.a. (Bearb.), Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1867-1918, Düsseldorf 1988, S. 183-184. – Birgit Fleischmann, Die Ehrenbürger Berlins, Berlin 1993, S. 100. – Bernd Haun-felder: Die liberalen Abgeordneten des Deutschen Reichstags 1871-1918, Münster 2004, S. 201-202.

Helmut Neubach